Landtagswahl 2023:"Jetzt kann er wieder lachen"

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Froh und erleichtert: Maximilian Böltl, der direktgewählte CSU-Kandidat im Stimmkreis München-Land Nord, mit seinem Mann Thomas Gierlich. (Foto: Anna-Maria Salmen)

Ziemlich früh am Wahlabend ist klar, wer zu den Gewinnern zählt und wer zu den Verlierern. Dennoch erleben die Kandidaten und ihre Anhänger ein Wechselbad der Gefühle.

Von Iris Hilberth, Annette Jäger, Martin Mühlfenzl, Anna-Maria Salmen und Lisa Wimmer, Landkreis München

Es ist ein denkwürdiger Wahlabend für Bayern: Ministerpräsident Markus Söder muss sich mit knapp 37 Prozent der Stimmen zufriedengeben, die AfD festigt bayernweit Platz zwei, Grüne und Freie Wähler kämpfen um Rang drei. Und die FDP verpasst den Wiedereinzug ins Maximilianeum. Auch im Landkreis München stürzen die Liberalen ins Bodenlose, genau wie die SPD. Die CSU-Kandidaten Kerstin Schreyer und Maximilian Böltl erringen die Direktmandate, die Grünen werden zweitstärkste Kraft, auch wenn sie ihren großen Erfolg von 2018 nicht wiederholen können. Während die Freien Wähler in etwa so abschneiden wie vor fünf Jahren, kann die AfD im Landkreis nur marginal Zugewinne verbuchen.

Anspannung bei der CSU

Es dauert an diesem Abend bis die Anspannung abfällt bei Maximilian Böltl (CSU). Der 40-Jährige hat sich mit Parteifreunden im Feldkirchner Hotel Bauer versammelt, im "Herzen des Stimmkreises", wie der Kirchheimer Bürgermeister sagt, der in München-Land Nord als Direktkandidat antritt und damit Nachfolger des langjährigen CSU-Landtagsabgeordneten Ernst Weidenbusch im bayerischen Landtag werden will.

Auf einer großen Leinwand läuft das Fernsehprogramm - und beinahe verpasst man es, als die erste Prognose einläuft. Denn noch wenige Sekunden vor 18 Uhr spielt die Musikgruppe. Gerade noch rechtzeitig bittet Böltls Wahlkampfleiter das Trio, eine Pause einzulegen. Dennoch bleiben der Kandidat und seine Anhänger lange verhalten, auch als erste Ergebnisse für den Stimmkreis München-Land Nord auf der Leinwand eintrudeln.

Von Anfang an liegt Böltl vor seiner schärfsten Konkurrentin Claudia Köhler von den Grünen, erst noch knapp mit 29,5 Prozent zu 25,5 Prozent. Der Vorsprung des 40-Jährigen wächst jedoch beinahe mit jedem neu ausgezählten Stimmbezirk. Mit wachsendem Balken sinkt dann auch Böltls Anspannung. Als er um kurz nach halb acht auf über 34 Prozent springt, brandet erstmals Jubel im Saal auf. "Jetzt kann er wieder lachen", hört man Böltls Ehemann Thomas Gierlich sagen.

Der Kirchheimer selbst stimmt kurz darauf zu, wirkt deutlich entspannter. Ja, jetzt sei er zuversichtlich, sagt er - zumal sein Kerngebiet, die Gemeinden Kirchheim, Aschheim und Feldkirchen, zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht ausgezählt ist. Mit seinem Optimismus soll Böltl Recht behalten: Der Balken klettert weiter, über 35, 36, 37 Prozent. Jede neue Marke wird im Saal mit Applaus zur Kenntnis genommen. Entsprechend begehrt ist Böltl: Ununterbrochen wird er zwischen den Stehtischen angesprochen, lächelt in Selfie-Kameras, posiert für Fotos.

Pfiffe bei den Grünen

Als um kurz nach 20 Uhr die neueste Hochrechnung auf dem riesigen Bildschirm über der Bühne in der Muffathalle aufleuchtet, geht ein Raunen durch den Saal. Auch am Biertisch, an dem sich die Grünen aus dem Landkreis München versammelt haben, verdrehen so manche die Augen, Pfiffe hallen durch den Raum. Die AfD hat sich in diesem Moment deutlich an den Grünen vorbeigeschoben - und so ziemlich allen wird klar: Die Ökopartei wird im neuen Landtag nicht mehr zweitstärkste Kraft sein. "Und das ist echt erschreckend", sagt der Oberschleißheimer Markus Büchler, der nach der Hochrechnung vor der Muffathalle kurz einmal durchschnauft.

Die Halle ist an diesem denkwürdigen Abend dennoch proppenvoll - und die Stimmung zwar nicht ausgelassen, aber entspannt. Ganz nach dem Motto: Irgendwie ist es doch noch gut gegangen. Am Landkreis-Tisch bläst auch der Unterhachinger Anton Hofreiter, der ehemalige Fraktionschef der Grünen im Bundestag, noch einmal die Backen auf. Dann entschwindet der Toni, wie sie ihn hier allen nennen, unauffällig durch den Ausgang.

Freude bei den Grünen: Markus Büchler mit Claudia Roth in der Muffathalle. (Foto: Catherina Hess)

Durchatmen heißt es auch für Büchler und seine Kollegin Claudia Köhler aus Unterhaching. Beide sitzen seit fünf Jahren im Landtag und werden mit stabilen persönlichen Ergebnissen im Landkreis auch ziemlich sicher wieder dem Parlament angehören. "Das wird reichen, das muss reichen", sagt Büchler beim Blick aufs Handy, wo er die neuesten Ergebnisse aus seinem Stimmkreis betrachtet.

Dann setzt er noch einmal an und attackiert den Ministerpräsidenten so, wie es Markus Söder in den vergangenen Wochen im Wahlkampf gegen die Grünen getan hat. Dauerhafte Hetze habe Söder über seine Partei ausgeschüttet. "Da müssen wir mit unserem Ergebnis wirklich zufrieden sein", sagt Büchler - und setzt gleich nach: Klar wolle seine Partei regieren. "Aber nicht mit Markus Söder. Das kann ich mir persönlich überhaupt nicht vorstellen", sagt der Oberschleißheimer.

Eine Einschätzung, die die überwiegende Mehrheit in der Muffathalle teilen dürfte, in der es erst still wird, als Markus Söder auf dem Bildschirm erscheint, dann Pfiffe - und im Anschluss etwas Beifall, als der Spitzenkandidat der Grünen, Ludwig Hartmann, spricht. Vor fünf Jahren ist da noch flächendeckender Jubel ausgebrochen.

Bangen bei den Freien Wählern

Seit zwei Legislaturperioden ist Nikolaus Kraus (Freie Wähler) aus Ismaning Mitglied des bayerischen Landtags. Bei der Wahl am Sonntag bangt der Direktkandidat im Stimmkreis München-Land Nord dennoch um seinen Wiedereinzug. Er selbst rechnet sich eine 50:50-Chance aus, den Sprung ins Maximilianeum über die Liste zu schaffen. Er habe zwar einen guten Listenplatz, doch dieser werde oft überbewertet: "Das wird richtig spannend für mich", so der Landwirt.

Zittern bei der SPD

Bei der ersten Prognose um 18 Uhr ist Florian Schardt noch nicht im Landratsamt, der Direktkandidat der SPD im Stimmkreis München-Land Nord kommt etwas zu spät. Angesichts der Tatsache, dass dies ein langer Abend für ihn werden dürfte, ein verzeihlicher Fauxpas. Am Ergebnis, so der Ottobrunner, gebe es nichts schön zu reden. "Ich habe mich innerlich schon darauf eingestellt, die Demoskopen haben ja einen Job nahe an der Prognose gemacht", so Schardt in einer ersten Reaktion. Aber natürlich sei es schmerzhaft, wenn eine der größten deutschen Parteien, die noch dazu den Kanzler stellt, unter zehn Prozent ins Ziel kommt. Was das für ihn persönlich bedeutet, sei noch nicht abzusehen. Viel hänge am Zweitstimmen-Ergebnis, sagt Schardt. "Die Chance ist noch da, es ist möglich. Aber zum jetzigen Zeitpunkt vollkommen unmöglich zu sagen", so der Otttobrunner über seine Chancen, noch in das Maximilianeum einzuziehen.

Gute Miene zum schlechten Abschneiden: SPD-Kreis-Chef Florian Schardt mit der bisherigen SPD-Landtagsabgeordneten Natascha Kohnen. (Foto: Claus Schunk)

Enttäuschung bei der FDP

Kurz bevor die ersten Hochrechnungen um 18 Uhr vorliegen, prosten sich die Liberalen noch freudig optimistisch zu: "Auf fünf Prozent", heißt es beim Weißbier im Ella im Lenbachhaus, wo sich die bayerische FDP trifft. Auch Marco Deutsch und Katharina Diem, die Direktkandidaten im Stimmkreis München-Land Süd und München-Land Nord, zeigen sich noch hoffungsvoll, "die FDP kommt knapp rein", meint Diem überzeugt. Wenige Minuten später ist es aus mit der Hoffnung: Die ersten Prognosen werden mit einem lauten Aufstöhnen der Liberalen aufgenommen, dann ist nur noch Stille, alle starren auf die Bildschirme, drei Prozent tun dann doch weh.

Katharina Diem hat sich da auf die Terrasse des Lokals zurückgezogen. "Das ist eine große Lücke, die kann man nicht mehr schließen", meint sie enttäuscht mit Hinblick auf die Fünf-Prozent-Hürde. Auch Marco Deutsch ist das Lächeln im Gesicht etwas gefroren. Der Wahlkampf war anstrengend und kräfteraubend, sagt er. Die Landkreis-FDP sei sehr sichtbar gewesen. An den Wahlkampfständen habe es gutes Feedback und viel Zuspruch gegeben, das hat auch Katharina Diem so empfunden. Die Bundespolitik hat das FDP-Ergebnis in Bayern stark beeinflusst, da sind sich beide sicher. Die gescheiterten Direktkandidaten schielen aber noch auf die Ergebnisse in ihren Stimmkreisen. Auch wenn es mit dem Einzug in den Landtag nichts mehr wird, zählt das Stimmkreisergebnis, es gibt einen Wink, ob man als Kandidat wahrgenommen wurde, sagt Deutsch.

Nicht geschafft: die FDP-Kandidaten Katharina Diem und Marco Deutsch. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Es überrascht mich, dass es so wenige Stimmen sind, ich hätte mir besseres Feedback erwartet", sagt Diem. Besser heißt: mehr als zehn Prozent. Ob das punktuell gelingt, wird eine lange Nacht zeigen. Erst mal steht für Katharina schon die nächste Wahl an, sagt sie: "Am Dienstag ist Elternbeiratswahl."

Freudenstimmung bei der AfD

Im Landkreis München reiht sich die AfD nach den ersten Ergebnissen im nördlichen Stimmkreis hinter CSU, Grünen und Freien Wählern auf Rang vier (10,4 Prozent) und im südlichen Stimmkreis hinter der SPD auf den fünften Platz (7,8 Prozent) ein. Christina Specht, Direktkandidatin der AfD im Stimmkreis München-Land Nord, spricht dennoch von Freudenstimmung: "Wir haben natürlich ein gutes Ergebnis erwartet. Jetzt ist es aber noch besser ausgefallen."

Grund für die positive Überraschung könnte sein, so vermutet es Specht, dass sich die Leute noch nicht trauen würden, sich in der Öffentlichkeit zu outen, AfD zu wählen. Die AfD werde als böse und unwählbar dargestellt, sagt sie. Specht rechnet mit mindestens 30 AfD-Abgeordneten, die nach dieser Wahl in den Landtag einziehen könnten: "Vorher haben wir mit relativ wenigen Leuten die Haupt-Opposition gemacht, jetzt wären wir eine starke Fraktion."

"Wir sind drin", schallt es durch das Foyer des Landratsamts. Eine fröhliche Gruppe von Vertretern und Vertreterinnen von "Die Partei" bricht kurz nach 18 Uhr in Jubel aus, als die erste Hochrechnung auf dem Bildschirm angezeigt wird. 6,5 Prozent für "Sonstige", wenn das kein Grund zur Freude ist. Überhaupt sind die Männer und Frauen der Partei, allesamt im Ausgehgewand, grau und rot. "Das tragen wir immer bei wichtigen Terminen", verrät eine Vertreterin. Zu neunt sind sie ins Landratsamt gekommen und damit wohl die zahlenmäßig größte Gruppe an diesem Abend. Und die mit der besten Stimmung. "Wir werden auch die meisten Stimmen holen", sagt sie im Brustton der Überzeugung, dass man das fast glauben könnte.

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Von SZ-Autoren

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