Urlauber fühlen sich oft wie in einer Filmkulisse, so schön, so spektakulär, so geheimnisvoll wirkt ihr Reiseziel. Und bisweilen stehen die Besucher tatsächlich an einem Drehort - manche aus Zufall. Und andere, weil sie genau hierher wollen, an diese begehbare Grenze zwischen Realität und Fiktion. Den meisten reicht es, auf den Spuren ihrer Helden zu wandeln. Der Hamburger Reisejournalistin Andrea David nicht: Sie hält Filmfotos in der Hand und sucht am Schauplatz so lange, bis sie die Szene in die Szenerie ganz genau einpassen kann. Die Bilder wirken wie ein Brandbeschleuniger, entfachen erst recht die Fantasie der Betrachter: Diese vergleichen nicht nur, was es wirklich gibt und was Szenenbildner nachträglich eingefügt haben. Zugleich sehen sie die Figuren und ihre Geschichten vor sich, aber auch die Schauspieler; sie können sich vorstellen, wie sich das Filmteam hier auf den Felsen verteilt hat, um das "Lied von Eis und Feuer" zum Bildschirm-Leben zu erwecken - mit der achten Staffel endet die Fantasyserie "Game of Thrones". An diesem GoT-Drehort in Larrybane, Nordirland, wurde der riesige Parkplatz vor den Klippen zum Turnierplatz, auf dem sich Brienne von Tarth (Gwendoline Christie, rechts) als würdige Kämpferin erweist, in einer anderen Episode zum Lager von Renly, in dem Catelyn Stark (Michelle Fairley, links) ein Abkommen schließt.
An einem Drehort zu stehen, ist für Andrea David immer etwas Außergewöhnliches. Doch wie es sie berührt, hängt davon ab, wie sehr sie einen Film oder eine Serie mag. "Von 'Game of Thrones' bin ich auch Fan, da ist es toll zu sehen, dass die Kulissen nicht nur am Computer entstanden sind." Das sei ähnlich wie bei einem Fan, der seinen Lieblingsschauspieler im realen Leben treffe, "plötzlich findet man sich selbst in dieser Kulisse wieder". So wird aus Audley`s Castle hoch über dem Strangford Lough das Lager von Robb Stark (Richard Madden) - die kleine Burg sieht über den grünen Wiesen Nordirlands weitaus friedlicher aus als im Film.
"Mich fasziniert an 'Game of Thrones', aber auch am 'Herrn der Ringe', dass es eine fiktive Welt ist und man trotzdem ein Pendant in der realen Welt vorfindet", sagt Andrea David, die etwa einmal im Monat auf Reisen ist. Für einen Film in New York bekommen reale Schauplätze einen Auftritt sozusagen als sie selbst. Aber bei Fantasy-Geschichten existieren die Orte erst einmal nur in der Vorstellung der Autoren und der Leser - und Location-Manager suchen den Ort auf der Welt, der am besten dazu passt. Deshalb bahnt sich Jon Snow (Kit Harington) seinen Weg am See Mývatn auf Island durch den Schnee - Besucher können sich hier tatsächlich einbilden, in seine Fußstapfen zu treten.
Wobei es sein kann, dass Orte, die im Film eine Einheit sind, in Wirklichkeit weit auseinander liegen: So bastelten etwa die Location-Scouts den Strand von Drachenstein - eigentlich die Playa de Itzurun bei Zumaia im Baskenland, mit geriffelten Felslinien, die wie Drachenrücken im Wasser verschwinden - an den Fuß des Felsens, auf dem im Film die Burg Drachenstein steht. Doch dieser ist ganz woanders.
Der Weg den Felsen hinauf, auf dem Jon Snow auf Daenerys Targaryen (Emilia Clarke) trifft, beginnt nicht an jenem Strand, sondern knapp hundert Kilometer entfernt auf der Insel Gaztelugatxe. Auf der Spitze steht in der Serie natürlich nicht das ehemalige Kloster San Juan, seinen Platz nimmt dank digitalem Filmtrick Burg Drachenstein ein.
Während also bisweilen sogar die Blütenranken an der Mauer dieselben wie im Film sind (hier hat das kroatische Arboretum in Trsteno seinen Auftritt als Gärten des Roten Bergfrieds), kann man andere Drehorte kaum wiedererkennen. Enttäuscht ist Andrea David davon nicht, "weil ich staune, was daraus gemacht wurde". Und auch ihre Leser schreiben ihr eher, dass sie überrascht seien, wieviel von der Kulisse echt sei. Denn Serien- und Filmliebhaber gingen sowieso davon aus, dass das meiste getrickst sei, "besonders bei James-Bond-Filmen, da geht er im einen Land zum Gebäude rein und kommt im anderen Land hinten wieder raus". Das mache aber den Abgleich mit der Realität noch spannender. Denn Andrea David inszeniert nicht nur GoT-Drehorte: "Ich finde es schön, die Filmszene zurück an den Ort ihrer Erstehung zu bringen, Fiktion und Wirklichkeit ein bisschen verschmelzen zu lassen in einem Bild." Inzwischen ist dieses Bild-im-Bild-Konzept zu ihrem Markenzeichen geworden, vor allem für ihre 350 000 Abonnnenten auf Instagram, aber auch für Leser ihrer Reiseberichte auf filmtourismus.de. Zum ersten Mal kam sie in Kambodscha auf die Idee.
Eigentlich hatte Andrea David die Fotos dabei, um den tatsächlichen Drehort leichter zu finden: Selbst wenn Einheimischen der Filmtitel nichts sagt, erkennen sie doch oft die Felsen oder Gebäude auf dem Szenenbild. In Angkor Wat musste sie sich aber erst einmal überwinden, den Guide zu fragen, wo die riesige Baumwurzel so dekorativ hinter Lara Croft (Angelina Jolie) über die Mauer rankt. "Ich hatte schon Skrupel, schließlich hatte unser Führer gerade ausgiebig von der reichen Geschichte dieses Ortes berichtet - und ich wollte nur nach 'Tomb Raider' fragen", erzählt sie. Doch offenbar war sie nicht die Erste, die sich für den Drehort interessierte, der Guide führte sie gelassen zu dem sehenswerten Baum. Hier hielt die Bloggerin das Foto so, dass sie den richtigen Aufnahmewinkel fand - und hatte die Idee zum Bild im Bild. Dasselbe versuchte sie auf ihrer anschließenden Thailandreise, das Ergebnis postete sie, "so wurde das nach und nach zu meinem Markenzeichen". Heute versucht sie, an jedem Drehort mindestens eine solche Aufnahme hinzubekommen. "Ich freue mich schon, wenn ich es schaffe, genau die richtige Stelle zu finden." Und manchmal sei sie überrascht, wie viele Details noch nach Jahrzehnten denen im Film entsprechen.
Als die "Filmtouristin", wie sie sich selbst nennt, etwa nach Hope im kanadischen British Columbia kam, in dem 30 Jahre zuvor der erste "Rambo"-Film mit Sylvester Stallone gedreht worden war, ruhte das riesige Eingangsschild "Gateway to Holidayland" immer noch neben der Straße. Übrigens heißt der Ort mit dem im Film trügerischen Namen "Hope" tatsächlich sowohl real als auch fiktional so - nur liegt er für John Rambo in den USA. Wer allerdings derzeit im "Kellerman Resort" (Mountain Lake Lodge) von "Dirty Dancing" eincheckt, dem fehlt ein Detail in der Natur: Das Hotel bemüht sich laut Andrea David zwar sehr, die Kulissen so original wie möglich zu erhalten. Doch auf eines hat es keinen Einfluss: Wegen eines geologischen Phänomens verschwindet der namensgebende See am Hotel alle paar Jahre und füllt sich dann erst wieder - derzeit stehen Besucher nicht nur am Ufer auf dem Trockenen.
Zudem sind nicht alle Drehorte öffentlich zugänglich, "darauf weise ich extra hin", so Andrea David. Ebenso wenn Szenen auf privaten Grundstücken spielten und nur von der Straße fotografiert werden können, wobei sie selbst darauf achtet, dann auf keinen Fall Menschen aufzunehmen. Ihr selbst sei es aber schon öfter passiert, dass die Eigentümer heraus- und mit ihr ins Gespräch kamen und "ich auf einen Kaffee hereingebeten wurde und Hintergrundgeschichten zu den Dreharbeiten erfahren habe". Manchmal braucht es ein wenig Glück, um zum Drehort zu gelangen: Dieser Teil des Fort Manoel auf Malta, in dem König Joffrey (Jack Gleeson) vor dem Tempel "Große Septe" über Ned Stark (Sean Bean) richtet, kann nur im Rahmen einer Tour besichtigt werden. "Damit ich dieses Foto machen konnte, kam eigens eine Dame herbeigeeilt mit einem Schlüssel, um mich einzulassen - gerade noch rechtzeitig, bevor ich zum Flughafen musste."
Doch nicht alle freuen sich über die Neugier der Urlauber auf Drehorte im realen Leben: So wurde die Maya Bay auf der thailändischen Insel Ko Phi Phi, Schauplatz von "The Beach" mit Leonardo DiCaprio, für Besucher geschlossen - die Natur muss sich von den Urlaubern erholen. Eine gute Entscheidung, findet Andrea David, die selbst vor vier Jahren in der Nebensaison dort und von dem völlig ungeregelten Andrang schockiert war, "jeder, der eine Bootstour dorthin anbieten wollte, konnte das auch". So sei nicht nur die Natur zu Schaden gekommen, auch für die Touristen selbst sei der Strand kein schönes Erlebnis mehr gewesen im Gedränge. Auch Dubrovnik in Kroatien hat das Problem, zu beliebt zu sein. Doch da sieht Andrea David in den Filmtouristen eher eine Chance, die in Dubrovnik im "wahren Königsmund" unterwegs sein wollen - allerdings nicht auf einem "Bußgang" zum Roten Bergfried wie Cersei Lannister (Lena Headey): Das größte Problem seien die vielen Touristen in der Hauptsaison sowie die Kreuzfahrtschiffe, die Tausende auf einmal in die enge Altstadt entließen. Um mehr Menschen dazu zu bringen, lieber in der Vor- und Nachsaison nach Dubrovnik zu reisen, "könnte man die Drehort-Touren nur dann anbieten". Schließlich könne man die Stadt nicht wie "The Beach" zur Erholung absperren, die Leute aber animieren, nicht ausgerechnet zur Hauptreisewelle zu kommen.
An manchen Drehorten wiederum ist Andrea David ganz allein - zunächst. Sie war auf Vancouver Island am Long Beach auf den Spuren von "Twilight" mit Bella Swan (Kristen Stewart) und Jacob Black (Taylor Lautner), der sich in einen Wolf verwandeln kann. "Da tauchte plötzlich ein Wolf auf, hundert Meter entfernt. Er hat mich gesehen und ich habe ihn gesehen - und dann ist er ganz gemächlich an mir vorbei spaziert". Eine Mitarbeiterin des Tourismusamtes sagte ihr am nächsten Tag, in ihren zehn Jahren auf der Insel sei ihr noch kein einziger Wolf begegnet.
Allerdings war Andrea David froh, dass sie im kanadischen Stoney Nakoda Nation Reserve keinem Bären begegnete. Es war zwar schon kalt, aber noch waren nicht alle Raubtiere im Winterschlaf. Hier halfen ihr eine Location Managerin und ein Mitglied des Stammes der Stoney Nakoda, Drehorte von "The Revenant" mit Leonardo DiCaprio zu finden - etwa für die Eröffnungsszene am Ghost River. Einige der Stammesangehörigen waren an dem "Überfall" auf die Trapper als Statisten beteiligt. Sind die Drehorte nicht bekannt, forscht Andrea David bei Tourismusbehörden und Produktionsfirmen nach, sie bekommt Tipps von Lesern und sucht vor Ort, bis sie die richtige Einstellung gefunden hat.
Ein Fan ihrer Bilder-im-Bild ermöglichte es ihr, mit einem Besucherpass die Universal Studios in Los Angeles zu besuchen. Andrea David wollte unbedingt ein Bild von Marty McFly (Michael J. Fox) vor der legendären Rathausuhr aufnehmen, in die im Film "Zurück in die Zukunft" der Blitz einschlägt und so den Zeitsprung des DeLorean ermöglicht. Wer eine Tour über das Studiogelände bucht, kann Pech haben: Wird in der Nähe gedreht, muss der Rathausplatz umfahren werden.
Ihr Bild-im-Bild macht Andrea David auch privat, nur für sich: Sie lässt alte Urlaubsfotos mit der Wirklichkeit verschmelzen, wenn sie wieder Ferienorte aus ihrer Kindheit besucht - "oder auch nur um zu sehen, was sich in den vergangenen zehn Jahren verändert hat". Ein Wandel der Zeit, den man auch den Darstellern der Filme um Harry Potter (Daniel Radcliffe, hier vor Alnwick Castle in England) anmerken würde: Sie spielten ihre Rollen ebenfalls zehn Jahre lang. Andrea David lebt mit ihrer Familie in Hamburg, tourt aber auf der Suche nach Reisegeschichten und -fotos regelmäßig durch die Welt. Gerade besucht sie neue Game-of-Thrones-Drehorte. Der Reiseblog erscheint auf ihrer Seite filmtourismus.de, die Bilder veröffentlicht sie auch auf Facebook und Instagram.
In dieser Serie stellt SZ.de interessante Reisefotografen vor. Bislang ging es mit ihnen in die Metropolen der Welt, nach Vietnam, tief unter die Meeresoberfläche, zu indigenen Stämmen auf den Philippinen und mitten in die deutsche Städtelandschaft, an Vulkankrater sowie zur wahren Seele der Eisberge, nach Südamerika, Hongkong, nach Taiwan, Island, Bangladesch, in die US-Südstaaten, nach "Senegambia" und Rio de Janeiro sowie in den glühenden Sommer von Tadschikistan. Weitere Episoden zeigten bereits Reisen durch Schottland, Afrika, Armenien, Myanmar, Rumänien, Iran, Spitzbergen und Georgien, nach Mexiko und Sudan sowie an die Lieblingsorte eines Globetrotters, der alle Unesco-Welterbestätten abbilden will.