Reisefotograf Jörg Rüger:Mitternacht auf Spitzbergen

Im Sommer erleuchtet die Sonne eine Welt ohne bunte Farben, die abgeschottet vom Rest erscheint - aber es nicht ist, wie Jörg Rüger zeigt.

Von Katja Schnitzler

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Reisefotograf Jörg Rüger Fotograf Spitzbergen Norwegen Arktis

Quelle: Jörg Rüger

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In Spitzbergen beschleicht Besucher das Gefühl, das Ende der Welt gefunden zu haben. Weiter nördlich kommt tatsächlich nicht mehr viel, außer dem Nordpol. Im Süden würde ein Schiff irgendwann auf Norwegen stoßen, zu dem Spitzbergen oder Svalbard, die "Kühle Küste", offiziell gehört. Dazu ist die Inselgruppe noch ein fast menschenleerer Ort, in dem auch im Sommer keine bunten Farben von der Schönheit der gedämpften Blau-, Grau-, Silber- und Brauntöne ablenken. Dass Hinterlassenschaften der Zivilisation dennoch selbst Spitzbergen erreichen, erkannte Fotograf Jörg Rüger, als er an den Stränden genauer hinsah.

Im Bild: Kolonie von Dickschnabellummen in den Klippen von Alkefjellet - Zehntausende Vögel brüten hier im Sommer. Besucher können zwar staunen, sollten dabei aber nicht den Mund offenstehen lassen, wenn sie nach oben blicken.

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Spitzbergen liegt "ganz günstig" für den Müllstrom, erklärt Jörg Rüger. Der fotografische Autodidakt hatte an einer Schiffsreise an der westlichen und nördlichen Küste Spitzbergens bis hoch ins Polareis teilgenommen, die nicht nur Naturschauspiele zum Ziel hatte. Auch zwei Strände wurden in dieser Woche angesteuert, welche zuvor die Regionalregierung bestimmt hatte: Unter dem Motto "Cleaning the shores" sammelten die Reisenden auf Danskøya und Smeerenburg den angeschwemmten Zivilisationsmüll in große Säcke - allein an einem Nachmittag kamen mehr als sieben Kubikmeter zusammen, vom Einwegfeuerzeug über Flaschen bis zu zerrissenen Tauen.

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"Die Natur wirkt unberührt, man fühlt sich losgelöst von allem - und wird dann vom Müll eingeholt", erzählt Rüger, der aber auch seine eigene Reise selbstkritisch sieht. Kindliche Neugier habe ihn nach Spitzbergen getrieben und die Suche nach "Lost Places", nach verlassenen Orten für sein Fotoprojekt. Das Müllsammeln während der einwöchigen Kreuzfahrt sei natürlich ehrenwert, aber auch ein Feigenblatt: "Immerhin waren wir ja auf einem großen Dieselschiff unterwegs - das lässt mich schon zwiespältig zurück", gesteht der Bremer, der inzwischen in Berlin lebt.

Im Bild: Expeditionsschiff "Ortelius" am Pier von Longyearbyen

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Dieses Eiland im Norden Spitzbergens ist das letzte vor der offenen arktischen See. Sie soll eine der Inseln sein, die Entdecker Willem Barents auf der Suche nach der Nordostpassage im Juni 1596 sichtete. Mit einem Blick wird klar, wie Barents auf den Namen für Spitzbergen kam.

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Doch auch etwas anderes wird auf einen Blick deutlich, etwa in diesem Fjord zwischen Longyearbyen und Pyramiden, einer russischen, weitgehend verlassenen Bergwerkssiedlung: Schnee und Eis haben sich bis auf die Gipfel der Berge zurückgezogen. Pyramiden war einer der Hauptgründe, weshalb Jörg Rüger im nordischen Sommer nach Spitzbergen kommen wollte. Die Reederei hatte ihm aber nicht fest zusagen können, dass die Siedlung mit dem Schiff erreichbar sein würde, ob des vielen Eises. "Als wir Anfang Juni dort waren, gab es aber gar kein Eis mehr, nur noch Treibstücke, die von Gletschern abgebrochen waren", berichtet Jörg Rüger. So fand er eine Landschaft vor, in der die Farbe Weiß statt zu dominieren eher Akzente setzte.

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"Gerade für die Population der Eisbären ist das natürlich ein großes Problem", sagt Rüger. Es sei die Frage, ob sich die Tiere schnell genug umstellen könnten. Dieses sehr schlanke Eisbärenweibchen mit dem prosaischen Namen "Nummer 74", das dem Ort seit vielen Jahren treu ist, trafen die Besucher auf Danskøya an. An ihrem Hals sieht man noch die Spuren eines Senderhalsbandes, das ihr Forscher angelegt hatten.

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Die Bärin teilt sich den Lebensraum mit den Robben auf Danskøya, während sie auf den Winter wartet. Dann kann sie die Tiere leichter jagen, wenn sie zum Atmen ans Eisloch kommen. Bis dahin raubt die Bärin etwa Vogelnester aus, frisst Aas oder auch Pflanzen.

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Andere Eisbären wie dieses satte und sichtbar zufriedene Männchen im Norden von Spitzbergen wandern dem abtauenden Eis hinterher, so dass sie auch im Sommer Robben fangen können - hier ist von der Beute kaum mehr als der Knochen übriggeblieben.

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Bei jedem Spaziergang sollten Menschen auf Spitzbergen eine Waffe dabei haben und auch Signalraketen, um die streng geschützten Eisbären im Notfall verscheuchen zu können, ohne sie zu verletzen. Selbst wer einen Bären in Notwehr tötet, muss sich hinterher dafür verantworten und darlegen, dass alle Abschreckungsversuche fehlgeschlagen waren. Auch in Städten wie Longyearbyen streunen immer wieder Polarbären umher.

Und erst recht in einer verlassenen schwedisch-finnischen Forschungsstation in Kinnvika am Murchisonfjord, die aus ein paar Hütten, einem Schuppen und natürlich einer Sauna bestand. Der rote Stuhl vor dem Tor ist übrigens die Toilette, auf der man sich nicht unbewaffnet niederlassen sollte: Hungrige oder auch nur neugierige Eisbären nehmen wahrscheinlich wenig Rücksicht auf dringende menschliche Bedürfnisse.

In Panik versetzte Jörg Rüger allerdings ein weitaus kleineres Tier.

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Eigentlich sehen Küstenseeschwalben ganz harmlos aus. Bis man ihrem Nest zu nahe kommt, wie es Jörg Rüger passierte: "Ich bin nur noch vor den angreifenden Vögeln weggerannt, bin gestolpert, gefallen, wieder hoch und nur weiter - ja, ich denke, es war Panik." Was seine durchaus amüsierten Mitreisenden nicht gesehen hatten, der Fotograf aber schon: eine TV-Dokumentation, in der hungrige Eisbären die Eier der Küstenseeschwalben rauben wollten. "Die Vögel haben dem Bären den Schädel blutig gehackt."

Nach seinem viel zu schnellen Abgang klärte ihn die Schiffsbesatzung auf, wie man bei einer Seeschwalben-Attacke den Kopf schützt: Einen Regenschirm, Rucksack oder irgendetwas anderes darüber halten, da die Tiere stets den höchsten Punkt angreifen.

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An seinem ganz persönlichen Highlight, dem "Lost Place" Pyramiden (benannt nach dem markanten Gipfel) angekommen, verstärkte das Wetter den Eindruck der Verlassenheit noch. In der kaum noch bewohnten, aber von Tagestouristen gerne angesteuerten ehemaligen Bergbausiedlung am Billefjord wähnt man sich mehr in Russland denn in Norwegen. In der Ebene stehen Plattenbauten, im russischen Hotel wird russisches Essen serviert - die Sowjets förderten hier einst Kohle. "Mich fasziniert die Atmosphäre an solchen von Menschen verlassenen Orten, sie machen mich neugierig", sagt Jörg Rüger - diese Fremde habe gleich einen doppelten Reiz.

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Im Dauerlicht des nordischen Sommers und unter tief hängenden Wolken ist die Stimmung auf dem sowjetischen Friedhof noch schöner - und schauriger.

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Quelle: Jörg Rüger

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Doch wenn die Wolken aufreißen, verleiht das Licht der Landschaft in all ihren Details eine strahlende Klarheit, wie hier dem Monacobreen-Gletscher im Liefdefjord. Dieser Gletscher erhielt seinen Namen zu Ehren von Fürst Albert I. von Monaco und ist nicht nur schön anzuschauen, sondern auch spannend für Forscher: Er gehört zu den sogenannten "Surge(Wellen)-Gletschern" und fließt einige Jahre lang erheblich schneller als sonst, bis er wieder langsamer wird - zuletzt in den 1990er Jahren, als sich das Eis bis zu fünf Meter am Tag vorwärts schob.

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Quelle: Jörg Rüger

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Der Eindruck von Klarheit wurde getrübt, je näher Jörg Rüger diesen 30 Walrössern kam - zumindest olfaktorisch: "Die Kolonie riecht so fischig wie früher der Hafen." Selbst in hundert Metern Entfernung noch; die Reisenden hielten Abstand, um die Tiere nicht aufzuschrecken.

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Quelle: Jörg Rüger

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Dafür kommen Rentiere und Vögel (rechts im Bild) der Siedlung in Longyearbyen ganz nahe - das Bild ist übrigens in einer sommerlichen Mitternachtsstunde aufgenommen. Die ehemalige Kohlebergwerks-Siedlung ist eine der nördlichsten Siedlungen der Welt. Heute leben dort etwas mehr als 2000 Menschen. Noch immer wird hier Kohle gefördert, allerdings bei weitem nicht mehr so viel wie in den Hochzeiten. Dafür ist der Ort zum Ausgangspunkt für Touren auf Spitzbergen geworden.

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Quelle: Jörg Rüger

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Die Kälte ließ diese Steine in feine Scheiben zerspringen, dazwischen sprießt karge arktische Flora. Auch wenn nicht ganz Spitzbergen zu den "Verlorenen Orten" zählt, die Rüger sucht, so kann die Landschaft doch völlig verlassen wirken - bis man genauer hinsieht.

Jörg Rüger ist als Autodidakt zur Fotografie gekommen, um seine Reisen und seine urbanen Entdeckungen in "schönen Ruinen" mit anderen zu teilen. Mehr Bilder sind hier zu finden www.sichtbarkeiten.de.

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Quelle: Illustration Jessy Asmus

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In dieser Serie stellt SZ.de interessante Reisefotografen vor. Bislang ging es mit ihnen in die Metropolen der Welt, nach Vietnam, tief unter die Meeresoberfläche, zu indigenen Stämmen auf den Philippinen und mitten in die deutsche Städtelandschaft, an Vulkankrater sowie zur wahren Seele der Eisberge, nach Südamerika, Hongkong, nach Taiwan, Island, Bangladesch, in die US-Südstaaten, nach "Senegambia" und Rio de Janeiro sowie in den glühenden Sommer von Tadschikistan. Weitere Episoden zeigten bereits Reisen durch Schottland, Afrika, Armenien, Myanmar, Rumänien, Iran, Spitzbergen und Georgien sowie die Lieblingsorte eines Globetrotters, der alle Unesco-Welterbestätten abbilden will.

© SZ.de/edi/dd
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