Reisefotograf Claas Jähne:Sprachlos in Bangladesch

Die Ruhe der Moscheen, große Gesten armer Menschen und Metallmonster, die das Meer verseuchen - Claas Jähne hat eindrucksvolle Bilder aus einem Land der Extreme mitgebracht.

Von Irene Helmes

13 Bilder

Living Bangladesch

Quelle: Claas Jähne

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Wie angenehm müssen sich die weißen Steine anfühlen, als der Gläubige barfuß darüber geht. Moscheen sind nicht nur spirituelle Rückzugsorte, sie spenden Kühle und Ruhe in einem extrem heißen und lauten Land, hat der Fotograf Claas Jähne in Bangladesch beobachtet. Licht und Schatten prägen auch die Bilder, die er von einer Reise dorthin mitgebracht hat.

Das Baitul Mokarram ("Das heilige Haus") in der Hauptstadt Dhaka ist Bangladeschs größte Moschee, Zehntausende finden darin Platz. Sie hat Ähnlichkeit mit der Kaaba in Mekka, ist in ihrer quadratischen Architektur untypisch für die Region, aber im Inneren "unglaublich liebevoll und verschnörkelt", erzählt Jähne. Die meisten der 160 Millionen Menschen im Land sind Muslime. Doch nicht weit entfernt vom Baitul Mokarram, ...

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... ebenfalls im Zentrum Dhakas haben auch andere ihren Platz: Hindus im ältesten und berühmtesten Tempel der Stadt. Der Dhakeshwari-Tempel aus dem 11. Jahrhundert ist der zehnarmigen Göttin gewidmet und vermutlich Namensgeber der Stadt selbst. Gläubige zünden rituell Kerzen an. Im Hintergrund ist in der Trennwand das indische Sonnenzeichen zu erkennen. Jähne hat das Zusammenleben der Hindu-Minderheit mit der muslimischen Mehrheit als äußerst friedlich beobachtet. Unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit: Außerhalb ihrer Rückzugsorte wartet auf alle ein extrem harter Alltag. Die Reise aus einem der reichsten in eines der ärmsten Länder der Welt war eine Gratwanderung.

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Was ein Leben im Slum bedeutet, sei etwas, worauf man sich nicht wirklich vorbereiten könne, weiß Jähne rückblickend. Er erkundete die Realität unter der Führung seines Guides Nannu, den er über Kontakte vermittelt bekommen hatte. Gleich am ersten Tag, als der Berliner in Bangladesch eintraf, führte Nannu ihn in die Wellblechviertel der Hauptstadt. Denn das sei eben Teil des Lebens im Lande. Jähne beschreibt rückblickend ein Wechselbad der Gefühle, nicht zuletzt Scham. Dennoch hält er Hinsehen für besser als Wegsehen.

Einer der ersten Eindrücke: Ein Junge trägt eine Schale mit Wasser "aus einer halbwegs sauberen Quelle". Gutes Trinkwasser ist ein Luxus. Die Szene war, merkte der Fotograf, typisch für den Alltag direkt an Bahnschienen, wo gelebt, gekocht und geschlafen wird, während alle zehn Minuten ein Zug vorbeifährt. Im Hintergrund sind Hochhäuser zu sehen, doch billige Wohnungen gibt es nicht annähernd genug.

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Die schockierenden Lebensverhältnisse liegen in erster Linie am eklatanten Mangel an Wohnraum in der rasant wachsenden Megacity Dhaka. Denn in den Slums, die Jähne gesehen hat, lebten "keine Verstoßenen", sondern Mitglieder der Gesellschaft, die arbeiten und Familie haben, aber keinen anderen Platz finden. Er habe völlig verblüfft beobachtet, wie Männer im Anzug mit Aktenkoffer gegen Abend in die Wellblechhütten heimgekommen seien. So gut sie können, versuchen sich die Slumbewohner die Situation erträglich zu gestalten - etwa mit diesem selbstgebauten Waschhaus zur gemeinschaftlichen Nutzung.

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In einem Land, in dem Tourismus keine Rolle spielt, fiel der Deutsche unwillkürlich auf. So sehr, dass die Einheimischen regelmäßig innehielten und sich alle Augen auf Jähne richteten. Oft folgte dann eine Einladung, erinnert er sich. Wie hier in einem typischen Mini-Supermarkt an einer Straße in der Stadt Barishal. Der Besitzer brühte frischen Tee auf, der üblicherweise mit einer Ziegenmilchpaste getrunken wird. Dank seines Übersetzers kamen Gespräche zustande. Stets weigerten sich die Bengalen standhaft, ihren Gast zahlen zu lassen und legten stattdessen für die Einladung zusammen. Eine kleine, große Geste.

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Das Leben in Bangladesch spielt sich in weiten Teilen am und auf dem Wasser ab. Hier in Sakrail, dem Heimatdorf von Guide Nannu, warten Fischer auf Booten täglich darauf, dass die Gezeiten ihnen kleine Fische in die Netze spülen. Fürs eigene Abendessen oder zum Weiterverkauf.

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Oft legen kleine schwimmende Märkte an. Dieser Händler hatte Früchte und zwei Gänse im Angebot. Die Boote fahren die Woche über auf Flüssen und im Delta auf und ab. Die Landschaft wird von unzähligen Reisfeldern geprägt, auf denen das Grundnahrungsmittel angebaut wird.

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Vom Urwald in Bangladesch ist kaum etwas übrig. Die meisten Gebiete Bangladeschs sind längst für Ackerland und Industrie abgeholzt, doch in den Chittagong Hill Tracts ist noch zu erahnen, wie das Land früher aussah. Bei Bandarban im Südosten des Landes kletterte Jähne für dieses Bild auf einen Mobilfunkmast.

Die Gegend ist gleich in mehrfacher Hinsicht besonders: Mehr oder minder autonom leben dort dreizehn Volksgruppen, die anders als die Bengalen nicht indischen, sondern tibetisch-burmesischen Ursprungs und zumeist Buddhisten sind.

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Die Rechte dieser sogenannten Jumma waren zu Kolonialzeiten geschützt. Seit Bangladeschs Unabhängigkeit aber wuchsen die Konflikte mit der Zentralregierung, immer wieder bis zu gewaltsamer Eskalation. Für Jähnes Reise bedeutete das, dass er während seines Abstechers in ihre Provinz einen Polizisten an die Seite bekam, zu seiner eigenen Sicherheit, wie es hieß. Überall sei Militärpräsenz zu spüren gewesen. Sein Eindruck der Jumma war dennoch ein ganz anderer: Noch nie habe er friedlichere und so naturverbundene Menschen erlebt.

Ihre Lebensweise ist in diesem Bild zu erahnen - es zeigt eines der klassischen Holzhäuser der Gegend, von der Decke hängen Blumen, die getrocknet werden.

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Doch die idyllischen Chittagong Hills sind bedroht. Gezielt ließ der Staat in der eigentlich so ländlichen Provinz Fabriken bauen, um die Bevölkerung aus deren Traditionen heraus ins Industriezeitalter zu holen. So gibt es in Bandarban inzwischen große Nähereien wie diese, in denen Kleidung auch für Deutschland produziert wird. Hier habe er eine Ahnung bekommen von den berüchtigten Arbeitsbedingungen im Land, auch wenn es sich offenbar um einen als vorzeigbar empfundenen Betrieb handelte, den ihm der Chef persönlich präsentierte. Ein "bedrückendes Gefühl" habe er trotzdem gehabt, erinnert sich Jähne, beim Anblick der offensichtlichen Akkordarbeit etwa, und angesichts der Abwässer, die direkt in die Umgebung abgeleitet wurden.

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Was Jähne außerdem zu sehen bekam, war, "welche Monster der Mensch erschafft und dann so rücksichtslos wieder auseinandernimmt". Denn ebenfalls in der Chittagong-Gegend werden seit Jahrzehnten solche Schiffsungetüme entsorgt - in einer apokalyptisch wirkenden Abwrackwerft. Kurz vor der Aufnahme dieses Bildes sah er selbst, wie ein Teil aus dem Rumpf gerissen wurde und ins Wasser fiel. Ein Moment, der ihm unter die Haut ging. Es ist das Küstengewässer des Indischen Ozeans, das man hier sieht, von einem Ölfilm bedeckt und verseucht. Hier wird weder auf Natur noch Mensch Rücksicht genommen: Ein Arbeiter ist links oben an Deck zu erkennen, offensichtlich ohne jede Schutzkleidung.

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Quelle: Claas Jähne

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Es habe ihm in vielerlei Hinsicht die Sprache verschlagen, sagt Jähne rückblickend auf diesen Tag. Seine erste Reise durch Bangladesch war 2013 nach drei Wochen zu Ende, das Land beschäftigt ihn aber weiter. Vor allem die erlebte Gastfreundschaft hat den heute 28-jährigen Jähne dazu bewegt, selbst aktiv zu werden. Mit anderen hat er den Verein MADE IN BANGLADESH e.V. gegründet, der im Heimatdorf seines Guides zum Beispiel eine Schule und einen Brunnenbau unterstützt. Denn viele Menschen erkranken, weil sie verschmutztes Flusswasser trinken müssen. Ende des Jahres ist die nächste Reise vor Ort geplant - für das Projekt, und um fotografisch stärker in die Tiefe zu gehen. Dann will Jähne einzelne Menschen in ihrem Alltag begleiten.

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Quelle: Illustration Jessy Asmus

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In dieser Serie stellt SZ.de interessante Reisefotografen vor. Bislang ging es mit ihnen in die Metropolen der Welt, nach Vietnam, tief unter die Meeresoberfläche, zu indigenen Stämmen auf den Philippinen und mitten in die deutsche Städtelandschaft, an Vulkankrater sowie zur wahren Seele der Eisberge, nach Südamerika, Hongkong, nach Taiwan, Island, Bangladesch, in die US-Südstaaten, nach "Senegambia" und Rio de Janeiro sowie in den glühenden Sommer von Tadschikistan. Weitere Episoden zeigten bereits Reisen durch Schottland, Afrika, Armenien, Myanmar, Rumänien, Iran, Spitzbergen und Georgien sowie die Lieblingsorte eines Globetrotters, der alle Unesco-Welterbestätten abbilden will.

© SZ.de/kaeb/dd
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