Reisefotograf Jürgen Haberhauer:Camping mit Dracula - und viel bessere Gründe, nach Rumänien zu reisen

Jürgen Haberhauer erkundet seit Jahren regelmäßig das Land. Er zeigt großartige Natur und traurige Bären, herausgeputzte Städte und echte Improvisationskünstler.

Von Irene Helmes

16 Bilder

Rumänien für Serie "Reise-Fotografen"

Quelle: Jürgen Haberhauer

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Die Karpaten, nebelverhangen und fast menschenleer - sie prägen bei vielen das Bild Rumäniens als Reiseziel. Auch der 40-jährige Jürgen Haberhauer liebt diese Landschaft.

Als der deutsche Fotograf zum ersten Mal mit seiner heutigen Frau, die aus Rumänien stammt, dorthin kam, hatte er ansonsten kaum eine Vorstellung davon, was ihn erwartete. Doch die zwölf Jahre, in denen die beiden seither immer wieder kreuz und quer durchs Land gefahren sind, haben ihm einen Schatz an Eindrücken und Geschichten geschenkt: von den extremen Kontrasten zwischen Metropolen und Dörfern, über trinkfreudige und schweigsame Gastgeber, schöne und zerstörte Natur, hin zu neu erblühenden Orten und natürlich die Sache mit Dracula.

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Die Leute "wissen sich zu helfen" in Rumänien, sagt Haberhauer - und diese Mentalität beeindruckt ihn, ganz besonders auf dem Land. Im Apuseni-Gebirge im Westen etwa wird dieser umgestürzte Strommast aus Beton kurzerhand als Brücke für Fußgänger weiterverwendet.

Gerade das Unperfekte hat in Haberhauers Augen seinen eigenen Charme. Oft schlicht aus Mangel an Alternativen würden Rumänen Dinge so lange nutzen wie möglich. Das habe sie zu "Meistern der Improvisation" gemacht. "Sie sehen es sportlich", sagt der Fotograf.

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Bis zur Perfektion herausgeputzt präsentieren sich hingegen seit einiger Zeit die Innenstädte in der Region Siebenbürgen, wie etwa in Sibiu (Hermannstadt) oder Timișoara. Die deutsche Minderheit der Siebenbürger Sachsen spielt dort immer noch eine große Rolle. Hier ein Platz in Braşov in der Sommersonne des vergangenen Augusts.

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Weniger blankpoliert geht das Leben noch in den Dörfern der Region Maramureș seinen Gang. 2013 landete Haberhauer im äußersten Norden dank einer Zufallsbekanntschaft bei diesem betagten Schnapsbrenner-Paar. "Da mussten wir natürlich probieren." Ehe er sich versah, wurde ihm ein großes Wasserglas in die Hand gedrückt - randvoll mit der Spezialität des Hauses. "Ist nicht so ganz meins, aber anscheinend schmeckt er gut", erinnert sich der Fotograf lachend.

Überhaupt, das Einschenken und Nachschenken: Für Haberhauer, der eigentlich kaum Alkohol trinkt, ist die Trinkfreudigkeit der Gastgeber eine der größten Herausforderungen. Am ehesten könne man sich als Gast mit Hinweis auf Gesundheitsprobleme aus der Affäre ziehen. Schlicht und einfach abzulehnen nach dem Motto "es reicht jetzt" werde dagegen mit schiefen Blicken quittiert.

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In der Maramureș gibt es neben den Dörfern mit ihren Schnapsbrennern noch viele andere Anblicke, die wie aus der Zeit gefallen wirken. Die dampfbetriebenen Loks etwa, die seit den 1930er Jahren durch die Bergwälder schnaufen. Sie dienen bis heute dazu, Männer zum Baumfällen zu transportieren - und die wertvollen Stämmen wieder zurück ins Tal zu bringen.

Inzwischen fahren die "Mocănițăs" auch Touristen durch die Gegend. Doch was wenige von diesen wissen: Für einen Bruchteil des Preises der Sightseeing-Tickets können auch Fremde reguläre Fahrscheine kaufen und im Morgengrauen mit den Waldarbeitern aufbrechen. Man müsse allerdings Zeit mitbringen, sagt Haberhauer, immer wieder bleibe die Bahn liegen und werde spontan repariert. Die Fahrt geht so bis ins Grenzgebiet zur Ukraine - und abends rollt der Zug fast von alleine zurück, so schwer sind die Waggons dann beladen mit dem Holz des Tages.

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Schon zu Zeiten der Ceaușescu-Diktatur war Bukarest sehr weit weg für die Menschen der Maramureș. Damals wie heute, erklärt der Fotograf, versorgen sie sich in ihrer Abgeschiedenheit möglichst gut selbst.

Der freundliche Herr im Bild etwa hat auf seinem Grundstück einen eigenen Ziehbrunnen, ein kleines Gewächshaus und Hühner - hier legte er gerade saures Gemüse für den Winter ein. Er sei sehr stolz auf seine Zutaten aus der Natur, erzählt Haberhauer.

So war dieser Rumäne unbewusst seiner Zeit voraus. Nun, da der Agrotourismus bei Europäern immer beliebter wird, kann er auch Gäste beeindrucken und hat eine kleine Öko-Pension eröffnet - eine Art späte Belohnung für die nachhaltige Lebensweise.

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Über solch kleinen, persönlichen Tourismus hinaus ist dagegen längst der vielleicht berühmt-berüchtigste Ort Rumäniens. Das Dorf Bran sei die meiste Zeit des Jahres ein verschlafenes, entspanntes Örtchen in malerischer Umgebung, sagt Haberhauer - doch im Sommer "quält sich von morgens bis abends eine Autoschlange durch". Denn alle wollen sie sehen: die sogenannte Dracula-Burg von Bran.

Bram Stoker hat sich für seinen berühmten Roman wohl an ihr orientiert, ansonsten ist nicht viel dran an der Verbindung mit der historischen Figur Vlad III.. Egal, es gibt inzwischen einen Dracula-Campingplatz, einen Dracula-Supermarkt, eine kleine Geisterbahn, einen Jahrmarkt mit Horrormasken - "es wird mit der Legende gespielt und dabei so übertrieben, dass man es eigentlich gar nicht ernstnehmen kann", sagt Haberhauer.

Die eigentliche Burg hingegen biete durchaus historische Führungen, und das Dorf sei ihm und seiner Frau jedes Mal eine Reise wert. Nur eben außerhalb der Hauptsaison - ganz generell empfielt Haberhauer Mai oder September und Oktober als ideale Reisezeit.

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Zwar werden immer mehr internationale Reisende neugierig auf Rumänien. Aber noch seien die meisten Touristen, die sich während der langen Sommermonate an den beliebtesten Sehenswürdigkeiten drängen, Rumänen, erzählt Haberhauer: Einheimische, und solche, die zum Arbeiten ausgewandert sind und zumindest ihren Urlaub in der Heimat verbringen.

Dieses Bild entstand im Sommer 2011 in den Munții Bucegi am Rand der Südkarpaten. Damals "waren wir, abgesehen von ein paar Schäfern, die einzigen Menschen dort", erinnert sich Haberhauer. Im Sommer 2016 sei er dann geradezu "erschrocken" über den Andrang: Inzwischen führt eine asphaltierte Straße sowie eine Seilbahn zur Felsformation Babele (den "Großmüttern") und der sogenannten Bucegi-Sphinx. Die Kehrseite der wachsenden Beliebtheit: Verbotsschilder zeugen davon, dass es immer schwerer wird, die Natur vor den Menschen zu schützen - und diese vor sich selbst. Denn viele Besucher hätten von Klettern offenbar wenig Ahnung, so Haberhauers Eindruck.

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Eine Überlieferung sagt, dass Stefan der Große im 15. Jahrhundert einst verkündete, für jeden Sieg gegen das Osmanische Reich ein Kloster erbauen zu lassen. Dutzende aus seiner Zeit sind erhalten, einige der sogenannten Moldauklöster zählen heute zum Unesco-Welterbe.

Hier in Vărătec fing Haberhauer im Frühjahr 2015 den Moment ein, in dem sich eine alte Frau vor den Ikonen im Klostergang verneigte. Die religiösen Stätten erfahren seit dem Ende der kommunistischen Herrschaft auch wieder mehr Zulauf von jüngeren Leuten, sagt Haberhauer.

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Neben diesen kulturellen Schätzen verfügt Rumänien über ein vielfältiges Naturerbe, auch jenseits der Karpaten. Das Donaudelta im Südosten zählt neben dem australischen Great Barrier Reef und den Galapagosinseln zu den artenreichsten Gebieten der Welt. Fast wäre es schon zerstört worden. Doch die Revolution kam dazwischen, bevor Diktator Ceaușescu das Delta für die Landwirtschaft trockenlegen lassen konnte.

Ganz besonders im Frühjahr sei die Gegend wunderschön, erzählt Haberhauer, dann kehren die Zugvögel aus dem Süden zurück.

Doch der Artenreichtum ist erneut gefährdet, trotz strenger Schutzvorgaben. Durch hohe Preise auf den Märkten sei illegales Fischen durchaus lukrativ, hat der Deutsche erfahren. Das Bewusstsein für die Schäden ist nicht bei allen ausgeprägt. Viele Fischer sehen statt der Menschen immer noch die vermeintlich vielfräßigen Pelikane als größte Bedrohung der Fischbestände, wie ein einheimischer Naturschützer dem Fotografen erzählte.

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Fischer, die ihre Familientradition legal fortsetzen, gibt es natürlich auch noch. Haberhauer hatte im Frühjahr 2015 das Glück, mit einem von ihnen durch das Delta schippern zu dürfen. Schon Dans Großvater und Vater ernährten ihre Familie durch die Fischerei, er selbst sei passenderweise "ein schweigsamer Geselle, der am liebsten die meiste Zeit des Tages in Ruhe im Delta verbringt".

Die Wasserwelt ist geheimnisvoll und schwer durchschaubar für Menschen, immer wieder ändern sich die möglichen Wege für Boote. Haberhauer war beeindruckt von der großen Ortskenntnis des stillen Dan. Und wo er selbst "von Weitem nur einen hellen Fleck" ausmachte, "vielleicht eine Plastiktüte, vielleicht ein Tier", erkannte der Fischer sofort, um welchen Vogel es sich handelte.

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So romantisch und wild das ländliche Rumänien teils noch ist, so wild wuchert der Kapitalismus in den Großstädten. Wie hier in Bukarest gehören längst überdimensionale Werbeflächen für große Marken zum modernen Straßenbild. Hauseigentümer, weiß Haberhauer zu berichten, verhängten auch gerne großzügig die Fenster ihrer Mieter mit solchen Bannern, so dass diese für die Dauer der Aktion kaum mehr Licht sehen.

Das Leben in der Stadt macht gerade ältere Rumänen nicht unbedingt glücklich, hat der Fotograf gemerkt: Er kennt viele, die den Städten wieder den Rücken kehren, um auf dem Land "ihre Ruhe zu haben". Viele junge Leute hingegen - noch darauf angewiesen, Jobs zu finden - verlassen weiterhin in umgekehrter Richtung ihre Heimatorte zugunsten der Ballungsräume.

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Doch so sehr das weite Land Sehnsuchtsort ist, gibt es auch aus der vermeintlichen Idylle Deprimierendes zu berichten. In einem Dorf in der Region Banat etwa erzählten Bewohner Haberhauer, man könne mit einem Streichholz das Wasser anzünden, das aus dem Hahn fließe. Denn in Teilen des Banat wird Erdöl gewonnen (man denke an den Film "Toni Erdmann") - und die Auswirkungen auf die Umwelt sind hochumstritten.

Haberhauer weiß von einer älteren Frau, die aus Angst stets nur mit Wasser aus dem Supermarkt kochte. Als sie schwerkrank wurde, musste sie von Nachbarn versorgt werden, die Leitungswasser verwenden. Sie klagte darüber, vergiftet zu werden, verweigerte die Nahrung und hat inzwischen alle Kraft verloren, erzählt der Fotograf. Andere sagten lakonisch: "Wir trinken das seit Jahrzehnten und leben immer noch."

Der Unmut über vieles, was in Rumänien schiefläuft - über die Korruption und Misswirtschaft -, ist aber groß und allgegenwärtig, weiß er aus zahlreichen Gesprächen. Viele sagten, ihr Land werde "verramscht". Ein Beispiel: Überall stehen fertige Autobahnbrücken, doch das Geld für die eigentlichen Straßen ist verschwunden. Überrascht haben ihn deshalb die großen Demonstrationen im Land nicht, die zuletzt stattfanden.

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Ein weiteres Thema, das Haberhauer spürbar am Herzen liegt, sind die Tiere. "Straßenhunde sieht man überall in Rumänien", sagt Haberhauer, "und das Problem ist komplex." Viele Rumänen weigerten sich weiterhin, ihre Wachhunde kastrieren zu lassen, es gebe zu wenige Regeln und überhaupt sei das Thema unbeliebt. Vieles werde durcheinandergebracht - denn in Haberhauers Erfahrung sind die unbeliebten Straßenhunde weniger aggressiv als vielmehr so verschüchtert, dass sich viele nicht einmal von Futter locken ließen. Gefährlich seien hingegen aggressive Hütehunde.

Vereinzelt gibt es Initiativen, die sich zu kümmern versuchen: Haberhauer etwa kennt eine Familie, die in Băile Herculane mit Hilfe einer deutschen NGO Straßenhunde in einer kleinen Scheune versorgt.

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Wilde Braunbären sind für Mitteleuropäer etwas ganz Besonderes, in Rumänien gilt das weniger. Die Kehrseite: Als Attraktionen für Gäste werden manche Tiere noch heute unter grausamen Umständen in Hinterhöfen von Herbergen und Gaststätten gehalten, erzählt Haberhauer. Doch es gibt eine Gegenbewegung und inzwischen auch ein Gesetz gegen private Haltung.

Auf diesem Gebiet nahe Zărnești werden befreite Bären und Wölfe aufgenommen, die eine Auswilderung nicht mehr überstehen würden. Der Bär Max etwa verlor in Gefangenschaft sein Augenlicht. Inzwischen wird sein Refugium selbst zu einer neuen Attraktion: Sogar internationale Reisegruppen machen Halt und tragen durch ihren Besuch zur Finanzierung des Reservats bei. Eine weitere Geschichte, die zeigt, wie in Rumänien aus etwas Schlimmem etwas Besseres gemacht wird.

Bilder von ihren Touren durch Rumänien, Russland und weitere Länder zeigen Jürgen und Ruth Haberhauer unter anderem auf ihrer Website, 2016 hat er die Fotografie zum Hauptberuf gemacht. Neue Reisen sind momentan nach Zentralasien, in die Mongolei und den äußersten Osten Russlands geplant.

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Quelle: Illustration Jessy Asmus

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In dieser Serie stellt SZ.de interessante Reisefotografen vor. Bislang ging es mit ihnen in die Metropolen der Welt, nach Vietnam, tief unter die Meeresoberfläche, zu indigenen Stämmen auf den Philippinen und mitten in die deutsche Städtelandschaft, an Vulkankrater sowie zur wahren Seele der Eisberge, nach Südamerika, Hongkong, nach Taiwan, Island, Bangladesch, in die US-Südstaaten, nach "Senegambia" und Rio de Janeiro sowie in den glühenden Sommer von Tadschikistan. Weitere Episoden zeigten bereits Reisen durch Schottland, Afrika, Armenien, Myanmar, Rumänien, Iran, Spitzbergen und Georgien sowie die Lieblingsorte eines Globetrotters, der alle Unesco-Welterbestätten abbilden will.

© SZ.de/kaeb/sks
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