Reisefotograf Michael Runkel:Schönheit, die glücklich und traurig macht

Der Globetrotter Michael Runkel ist dabei, alle Unesco-Welterbestätten abzubilden. Er zeigt persönliche Highlights, die teils vor der Zerstörung stehen - und erzählt von seinem extremen Traum.

Von Irene Helmes

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(Foto: Michael Runkel)

"Ich wollte nie Orte abhaken, mich hat ihre Schönheit fasziniert", sagt Michael Runkel. Diese Klarstellung wäre bei den meisten überflüssig, bei diesem Berufsfotografen nicht: Nach bald 30 Jahren auf Achse zählt er längst zu den meistgereisten Menschen der Welt. In nur 14 UN-Mitgliedsstaaten hat er noch keinen Fuß gesetzt. 1993 war Runkel als Student in Kambodscha unterwegs, das sich gerade von den Roten Khmer freikämpfte. Im damals völlig vom Dschungel überwucherten, touristenlosen Angkor packte ihn die Begeisterung für Fotografie. Erst mit der Zeit entwickelte er den Ehrgeiz, zu sehen, wie weit er kommen kann. Und vor kurzem fragte ihn jemand: "Wussten Sie, dass bis zum heutigen Tag viel mehr Menschen im Weltall waren als in allen Ländern der Welt?". Dies selbst zu erreichen, sieht er inzwischen als Lebenswerk. Seine zweite Leidenschaft: das Welterbe. Noch etwa 400 der aktuell etwa 1050 Unesco-Stätten fehlen, dann kann er einen kompletten Bilderkatalog dazu vorlegen - allein von ihm fotografiert. Die Liste vereint den Reiz der Kulturdenkmäler wie hier in Samarkand an der alten Seidenstraße ...

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(Foto: Michael Runkel)

... und den Zauber der Natur, wie auf der Halbinsel Kamtschatka an der russischen Pazifik-Küste. "Ein aktiver Vulkan neben dem anderen, absolut faszinierend", schwärmt Runkel. Im Bild: der Gorely. Selbst bei einem anderthalbstündigen Rundflug mit einem Helikopter habe er kein einziges Haus und keinen Weg gesehen, nichts als Wildnis. An einem See in der Gegend lebten das ganz Jahr über 1500 Grizzly-Bären, die sich von den riesigen Mengen an Lachsen ernähren - "wirklich ganz außergewöhnlich".

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(Foto: Michael Runkel)

Ein steinerner Palast im "absoluten Nirgendwo" Mikronesiens - Einheimische nennen die Ruinen von Nan Madol "das Venedig des Pazifiks". Runkel war 2012 dort und fragte sich, wie es möglich ist, dass diese menschliche Leistung auf den Inselchen vor der Hauptinsel Pohnpei nicht längst auf der Unesco-Liste stand. Der Antrag sei von der Regierung "verbummelt" worden, erklärten ihm Einheimische. 2016 war es dann endlich soweit (und mit dem Welterbestatus kam gleichzeitig das Label "gefährdet"). Dennoch hat Runkel bei dieser Benennung gemischte Gefühle, so überfällig er sie findet. Denn es bereitet ihm "immer wieder extreme Bauchschmerzen", wie viele Stätten wegen des Titels "ausgeschlachtet werden". Die Yúngāng-Grotten in China mit ihren Abertausenden steinernen Buddha-Statuen seien ein Beispiel dafür, wie ein großartiger Ort nach und nach zerstört werde durch rücksichtslose Geldmacherei und Massentourismus.

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(Foto: Michael Runkel)

Andererseits: "Das ist eben leider der Lauf der Zeit", sagt Runkel. Das stetige Wachsen des globalen Tourismus sei schlicht nicht aufzuhalten. "Kann man es ändern? Nein!", so der Fotograf: "Und wer sind wir, dass wir anderen sagen könnten, dass sie nicht mehr reisen sollen?" Man könne nur so gut wie möglich Schutzmaßnahmen ergreifen. Und längst nicht alle Welterbestätten werden automatisch überrannt. Nicht weit von Moskau etwa liegen in relativer Ruhe die historischen Kirchen und Festungen, die den sogenannten "Goldenen Ring" Russlands bilden. Tagelang kann man dort entlangreisen an Orte wie Susdal (hier im Bild). "Einer schöner als der andere", so Runkel, "sehr empfehlenswert".

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(Foto: Michael Runkel)

Dass Welterbe außerdem keinen Museumscharakter haben muss, sondern unverzichtbarer Teil des Alltags bleiben kann, beweisen die Reisterrassen von Banaue auf den Philippinen. Tausend Jahre sind sie alt und doch wie eh und je Teil des Lebensstils, erzählt Runkel. Von Manila aus gelangen Besucher nach zehn bis zwölf Stunden Busfahrt dorthin, der nächste Flugplatz ist weit weg. Durch diese Abgeschiedenheit habe sich der "Charme des Ursprünglichen erhalten", so der Fotograf.

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(Foto: Michael Runkel)

Seit 1978 führt die Unesco ihre Rote Liste zum "gefährdeten" Welterbe. Eine gute Idee, aber allzu oft wirkungslos, findet Runkel. Zu häufig stünden politische und ökonomische Interessen dem Schutzgedanken im Weg. Verantwortlichen vor Ort klarzumachen, dass sie die Einnahmen durch Touristen verlieren, wenn sie die Attraktion nicht pflegen und erhalten, sei bei Problemen letztlich "das einzige Druckmittel, das wirklich funktioniert", so seine Einschätzung. Und auch das nur, wenn es um genug Gäste geht. Seinen Besuch im Virunga-Nationalpark im Kongo (seit 1994 auf der Roten Liste) im vergangenen November nennt er als bedrückende Erfahrung: Die Eintrittsgebühren wurden zu diesem Zeitpunkt von 400 auf 200 Dollar halbiert. Auf Runkels Nachfrage sagten ihm Einheimische: Man fürchte angesichts bevorstehender Wahlen neue Gewaltausbrüche im Kongo - und wolle vorher noch so viele Touristen wie möglich anlocken und Geld für schlechte Zeiten zur Seite legen Die ruandische Seite nennt Runkel als "absolutes Positivbeispiel", was die Unesco bewirken kann in Bezug auf Tierschutz und die Schaffung von Lebensgrundlagen. Selbst viele einstige Wilderer seien dadurch zu Fremdenführern geworden.

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(Foto: Michael Runkel)

Die nubischen Pyramiden von Meroe, im Sudan auch "Schwarze Pyramiden" genannt, sind in Runkels Augen "noch viel schöner als die ägyptischen". Denn dort wirken die Kulturdenkmäler durch die Nähe zum Moloch Kairo aus vielen Blickwinkeln längst nicht mehr so eindrucksvoll wie auf perfekten Postkartenausschnitten. Hier dagegen bleibt die Pracht aus jeder Perspektive ungetrübt - dank der Lage mitten im Wüstensand.

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(Foto: Michael Runkel)

Zu der riesigen Zitadelle La Ferrière auf Haiti hörte Runkel eine grausame Geschichte: Der Bauherr habe alle, die Anfang des 19. Jahrhunderts am Bau der Geheimgänge beteiligt waren, nach der Vollendung töten lassen, um sie für immer zum Schweigen zu bringen. Die steile Wanderung auf den Berg Chaine Bonnet sei heute noch äußerst anstrengend, zur Belohnung gebe es einen großartigen Rundumblick über die Insel.

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(Foto: Michael Runkel; Michael Runkel)

Wie sehr Architektur und Kultur zusammenhängen, fand Runkel im algerischen Tal M'Zab besonders eindrücklich. Nicht nur die kaum veränderten Wüstenorte als solche schließen sich seit dem 10. Jahrhundert nach außen ab, sondern auch die Traditionen. So sei etwa, sofern man überhaupt in eines der Dörfer hineinkomme, aufs allerstrengste das Fotografieren der vollverschleierten Frauen verboten. Hier das Dorf Beni Isguen.

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(Foto: Michael Runkel)

Viele Weitgereiste hielten die Lord-Howe-Insel für die schönste der Welt, sagt Runkel. Von Sydney aus ist sie problemlos mit dem Flieger erreichbar - und doch bleibt das Vogel- und Fischparadies intakt. Das wird nach Einschätzung des Fotografen sogar so bleiben - denn hier ist genau festgelegt, dass immer nur wenige hundert Menschen gleichzeitig auf die Insel kommen dürfen. Hotels gibt es nicht, eine Kommerzialisierung des Tourismus durch große Konzerne ist durch die strikte Selbstbestimmung der Einheimischen ausgeschlossen, berichtet Runkel begeistert. Im Bild: Mount Gower und Mount Lidgbird, mit 875 beziehungsweise 777 Metern die höchsten Erhebungen.

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(Foto: Michael Runkel; Michael Runkel)

Eine seiner außergewöhnlichsten Reiseerfahrungen war Nordkorea. Runkel überquerte 2010 die Grenze in die abgeschottete Diktatur von China aus - und plötzlich sei alles dunkel gewesen. Im wörtlichen Sinn: ohne die gewohnte Beleuchtung, ohne die allgegenwärtige Werbung, ohne Automassen. Rund um die Uhr war ein "persönlicher Bewacher" bei ihm, der Pass wurde direkt bei der Einreise kassiert. Trotzdem: Auch hierher würde er sofort wieder reisen, so sich die Gelegenheit bietet. Und er brachte unter anderem dieses Bild der historischen Tempel aus der Goryeo-Dynastie in Kaesŏng mit.

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(Foto: Michael Runkel)

Im afrikanischen Malawi, einem der ärmsten Länder der Welt, besuchte Runkel den Malawisee, von Touristen noch nicht beachtet. Gerade die unbekannten Orte sind nach Runkels Erfahrung die besonders interessanten - und umgekehrt hat er sich an anderen Stellen schon gefragt, wie sie jemals auf die Unesco-Liste kommen konnten. Ein "Running Gag" auf seinen Asienreisen seien die Ausgrabungen der historischen Parther-Stadt Nisa in Turkmenistan. "Das war wirklich das uninteressanteste Stück Erde, bestimmt einst ein wichtiger Ort - aber nun ist da nichts mehr zu sehen, es liegen ein paar Steine aufeinander." Die Auszeichnung solcher Stätten könne er sich nur durch politischen Druck der Bewerber erklären.

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(Foto: Michael Runkel)

Wie extrem stolz Menschen in aller Welt auf ihre besonderen Orte sind, die noch heute die Welt beeindrucken, das strahlt stellvertretend dieser Tuareg aus. Runkel fotografierte ihn vor einem Steinbogen im libyschen Wüstengebirge Tadrart Acacus, dessen Felsenmalereien bis zu 14 000 Jahre alt sind. Diese Landschaft nennt Runkel sein "Highlight unter den großen Wüsten", seit er 2006 dort war - und würde so gerne noch vieles dort sehen, doch bekanntlich ist die Region momentan "leider nicht mehr bereisbar". Seit 2016 findet auch sie sich auf der Roten Liste. Armut und Konflikte beschäftigen Runkel merklich, und doch sagt er: "Ich versuche, das nicht zu nahe an mich heranzulassen, sonst ist es schon extrem frustrierend".

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(Foto: Michael Runkel)

Auf die Frage nach Lieblingsorten gibt der Globetrotter eine für viele sicher überraschende Antwort: Jemen. "Das ist für mich immer eines der Länder gewesen, die mich absolut fasziniert haben". Er schwärmt von der Ursprünglichkeit der Hauptstadt Sanah mit ihren verzierten Lehmbauten, den Menschen in traditionellen Trachten, die er noch 2014 bewunderte - mittlerweile ist sie kriegsgebeutelt und "leider dabei, zerstört zu werden". Das Archipel Sokotra liegt nicht weit vor der Küste Somalias, gehört aber ebenfalls zu Jemen und gilt als "unbekanntes Galapagos des Indischen Ozeans", mit einer ganz eigenen, wenn auch weniger vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt. Bei einer Bootstour sah Runkel plötzlich weit und breit nur noch springende Delfine um sich.

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(Foto: Michael Runkel)

So dramatisch die Lage in Welterbestätten wie Sanah oder Aleppo ist, so heiter geht es zum Glück noch anderswo zu: 2012 besuchte Runkel Ouro Preto im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais zum Karneval. "Und als der vorbei war, haben sie einfach weitergefeiert, weil es gerade so toll war", erinnert er sich lachend. Was Runkel bei seinen Weltreisen im Verlauf der vergangenen drei Jahrzehnte immer mehr beklagt, ist allerdings das "Abnehmen der Vielfalt", der Verlust von Eigenheiten und Identität der Kulturen. Umso mehr jagt er weiter dem Besonderen nach. Mittlerweile hat Runkel mehr als 1,7 Millionen Bilder in seinem Repertoire. Mit seiner Frau und kleinen Tochter kam er im Herbst von einer einjährigen Reise um die Welt zurück nach Nürnberg und ist nun wieder von dort aus mehrere Monate pro Jahr unterwegs. Seine Arbeit zeigt er unter anderem hier auf seiner Website und auf Facebook.

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)

In dieser Serie stellt SZ.de interessante Reisefotografen vor. Bislang ging es mit ihnen in die Metropolen der Welt, nach Vietnam, tief unter die Meeresoberfläche, zu indigenen Stämmen auf den Philippinen und mitten in die deutsche Städtelandschaft, an Vulkankrater sowie zur wahren Seele der Eisberge, nach Südamerika, Hongkong, nach Taiwan, Island, Bangladesch, in die US-Südstaaten, nach "Senegambia" und Rio de Janeiro sowie in den glühenden Sommer von Tadschikistan. Weitere Episoden zeigten bereits Reisen durch Schottland, Afrika, Armenien, Myanmar, Rumänien, Iran, Spitzbergen und Georgien sowie die Lieblingsorte eines Globetrotters, der alle Unesco-Welterbestätten abbilden will.

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