Das Politische Buch:Die wichtigsten Bücher des Jahres

Lesezeit: 11 min

(Foto: Imago/Bearbeitung: Esther Driehaus/Imago)

Die Top 20 der Redaktion "Das Politische Buch" zeigen, welche Analysen zum Multikrisen-Jahr 2023 aus der Masse hervorstechen. Und sie stellen Spitzentitel zu den Krisen vor, die möglicherweise bald bevorstehen.

Von Robert Probst

Von Kriegen und Krisen - so könnte man das politische und auch das Buchjahr 2023 zusammenfassen. Den Markt dominierten auch diesmal Analysen über Putins Politik, der Krieg Russlands gegen die Ukraine dauert unvermindert an. Besonderes Augenmerk lag dabei auf Deutschlands Erdgasabhängigkeit von Russland und wie sie zustande kam. Die Debatte um den Zustand der Demokratie angesichts von grassierendem Populismus und autoritären Tendenzen nahm an Schärfe zu, ebenso der Streit um den richtigen Umgang mit "illegaler Migration". Und dann begann im Herbst ein neuer Nahost-Krieg mit unabsehbaren Folgen für die Menschen dort und die Diskussionskultur in der ganzen Welt.

Alles in allem also wieder ein düsteres Jahr - das trotzdem oder genau deshalb zahlreiche Buchperlen hervorgebracht hat. Positiv lässt sich eine Renaissance der politischen Biografie verzeichnen sowie einige innovative Zugänge, wie Zeitgeschichte auch erzählt und vermittelt werden kann. Die Redaktion des Ressorts "Das Politische Buch" hat die wichtigsten und besten Bücher noch einmal herausgesucht und mit einer durchaus subjektiven Rangfolge versehen. Die ausführlichen Rezensionen sind jeweils am Ende des Textes verlinkt.

1. Platz: Frank Trentmann: Aufbruch des Gewissens (S. Fischer)

Frank Trentmann: Aufbruch des Gewissens. Eine Geschichte der Deutschen von 1942 bis heute. Übersetzt von K. Schuler, S. Reinhardus, H. Dedekind, H. Lutosch und F. Reinhart. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2023. 1036 Seiten, 48 Euro. E-Book: 22,99 Euro. (Foto: S. Fischer Verlage)

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten viele Deutsche das Bedürfnis, endlich wieder "gut" sein zu wollen oder zumindest nicht in aller Welt weiterhin als Nazis und Mörder zu gelten. Doch wie stellten sie sich dabei an? Der in London lehrende Historiker Frank Trentmann hat dazu eine monumentale, von 1942 bis 2022 reichende Moralgeschichte vorgelegt, die ihresgleichen sucht. Über 80 Jahre folgt Trentmann dem echten oder vermeintlichen Läuterungsprozess der Deutschen. Im Mittelpunkt stehen die Menschen und ihre Sorgen, Ängste und Überzeugungen, die aus zahllosen Primärquellen geschöpft werden. Dieses anregende, überaus materialreiche und trotz der Länge gut lesbare Werk erzählt von den oft quälenden, immer widersprüchlichen, zuweilen auch bewundernswerten Versuchen der Deutschen, an einem positiven Selbstbild zu arbeiten. Ein faszinierendes und tiefschürfendes Buch.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

2. Platz: Christina Morina: Tausend Aufbrüche (Siedler)

Christina Morina: Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er-Jahren. Siedler Verlag, München 2023. 400 Seiten, 28 Euro. E-Book: 19,99 Euro. (Foto: Siedler)

Ein ziemlich großer Frühjahr- und Sommeraufreger war dieses Jahr (mal wieder) der Umgang mit der DDR-Vergangenheit auf dem Sachbuchmarkt. Dirk Oschmann und Katja Hoyer hatten dazu aufsehenerregende, aber auch extrem umstrittene Analysen vorgelegt. Wie wohltuend dagegen, wenn zur Abwechslung mal Studien auf die Fakten schauen. So wie es die Historikerin Christina Morina mit ihrem Buch "Tausend Aufbrüche" getan hat. Unaufgeregt, ohne Polemik - dafür mit vielen quellenbasierten Argumenten. In dieser fulminanten Ost- und Westdeutschland vergleichenden Demokratiegeschichte seit den Achtzigern lässt sich vieles lernen über das sehr unterschiedliche Staatsverständnis in Ost und West, warum der Wunsch nach einer neuen Verfassung nach 1990 scheiterte und woran sich ostdeutscher Eigensinn festmachen lässt. In der Ost-West-Debatte 2023 klarer Punktsieger.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

3. Platz: Nikolai Epplée: Die unbequeme Vergangenheit (Suhrkamp)

Nikolai Epplée: Die unbequeme Vergangenheit. Vom Umgang mit Staatsverbrechen in Russland und anderswo. Aus dem Russischen von Anselm Bühling. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 598 Seiten, 30 Euro. E-Book: 25,99 Euro. (Foto: Suhrkamp)

Ein aktuelles Buch aus Russland über nicht aufgearbeitete Staatsverbrechen der Stalinzeit? Nikolai Epplées Buch, 2020 erschienen und nun auf Deutsch publiziert, ist eine kleine Sensation. Hier wird Grundsätzliches zum Umgang ganzer Gesellschaften mit Verbrechen und Traumata herausgearbeitet. Weite Teile des Buches lesen sich wie ein Psychogramm Russlands der Gegenwart. Doch die Analyse weist über die Realität des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hinaus. Es geht auch um die Zukunft, in der sich die russische Zivilgesellschaft den Verbrechen stellen muss, die nicht nur unter der Herrschaft Stalins, sondern nun auch ganz aktuell in ihrem Namen in der Ukraine verübt werden. Das ungewöhnlichste, aber wohl klarsichtigste Russlandbuch 2023.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

4. Platz: Reinhard Bingener und Markus Wehner: Die Moskau-Connection (C.H. Beck)

Reinhard Bingener, Markus Wehner: Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit. Verlag C.H. Beck, München 2023. 304 Seiten, 18 Euro. E-Book: 12,99 Euro. (Foto: C.H. Beck)

Das ganz große Thema des ersten Halbjahres in Deutschland: Putin und sein Erdgas. Kaum war der Winter überstanden, waren die Schuldigen für die deutsche Abhängigkeit von Russland schnell ausgemacht - die Sozialdemokraten. Die FAZ-Redakteure Reinhard Bingener und Markus Wehner haben in ihrer scharfen Analyse alles zusammengetragen, was sich vor allem gegen Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel, Manuela Schwesig und andere SPD-Politiker vorbringen lässt. Natürlich nimmt dabei die Freundschaft oder das "Netzwerk" Schröder-Putin breiten Raum ein. Doch viele weitere Details lassen erkennen, wie naiv oder mutwillig hier das Land in die Abhängigkeit des Kreml-Herrschers gebracht wurde. Eines der erfolgreichsten Bücher zum Thema, auch wenn es die Rolle der Union dabei ziemlich unterbelichtet gelassen hat.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

5. Platz: Janka Oertel: Ende der China-Illusion (Piper)

Janka Oertel: Ende der China-Illusion. Wie wir mit Pekings Machtanspruch umgehen müssen. Piper Verlag, München 2023. 304 Seiten, 24 Euro. E-Book: 23,99. (Foto: Piper)

Das zweite Großthema dieser Zeit nach dem Ukraine-Krieg war der immer größer werdende Konflikt des Westens mit China. Auch auf diesem Feld gibt es immer mehr warnende Bücher über falsche Vorstellungen von Pekings Politik - am schärfsten wohl das der Sinologin Janka Oertel. "Ende der China-Illusion" zerstört mit sehr guten Argumenten auch die letzten wohlmeinenden Anschauungen über das China von Xi Jinping, ein Land, "das einfach nicht so werden will, wie wir es gerne hätten". Ob China-Versteher solche Bücher lesen, sei dahingestellt, die Lektüre wäre aber ein gutes Gegengift gegen Selbstbetrug und Bequemlichkeit.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

6. Platz: Volker M. Heins, Frank Wolff: Hinter Mauern (Suhrkamp)

Volker M. Heins, Frank Wolff: Hinter Mauern. Geschlossene Grenzen als Gefahr für die offene Gesellschaft. Suhrkamp Verlag (edition suhrkamp), Berlin 2023. 197 Seiten, 18 Euro. E-Book: 17,99 Euro. (Foto: Suhrkamp)

Kurz vor Jahresende hat sich die Europäische Union auf eine grundlegende Reform des Asylrechts geeinigt. Ziel ist es dabei, die irreguläre Migration in die EU einzudämmen. Und auch sonst war das Jahr geprägt von hartem Streit über eine echte oder gefühlte Überforderung der Kommunen und der Menschen durch Geflüchtete. Dass aber Abschottung, wie jeder weiß, das Problem nicht löst, das buchstabieren Volker M. Heins und Frank Wolff in ihrem eindrucksvollen Essay "Hinter Mauern" aus. Aber ihre Analyse geht noch einen Schritt weiter. Denn die Autoren erklären, was mit Gesellschaften passiert, die "illegale Migration" mit aller Macht eindämmen wollen: Akzeptanz von Gewalt, Gewöhnung an Rechtsbruch und nicht zuletzt Beschädigung der Demokratie. Und das kann ja eigentlich auch niemand wollen.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

7. Platz: Oliver Bullough: Der Welt zu Diensten (Kunstmann)

Oliver Bullough: Der Welt zu Diensten. Wie Großbritannien zum Butler von Oligarchen, Kleptokraten, Steuerhinterziehern und Verbrechern wurde. Aus dem Englischen von Sigrid Schmid und Rita Gravert. Verlag Antje Kunstmann, München 2023. 272 Seiten, 26 Euro. E-Book: 20,99 Euro. (Foto: Kunstmann)

Folge dem Geld und finde die Verbrecher. Nach dieser Devise hat nicht nur die britische Journalistin Catherine Belton "Putins Netz" (und Siegerin dieser Bestenliste 2022) aufgedeckt. Auch ihr Kollege Oliver Bullough weiß, wie man Oligarchen und Kleptokraten aufspüren kann. Man muss dazu nur in der City of London recherchieren. Das hat Bullough gemacht und erklärt auf verständliche, teilweise amüsante Weise, wie Großbritannien sich sehr bewusst zum Butler von Bösewichten mit sehr viel Geld gemacht hat und selbst davon profitiert. Und dann bei unbequemen Fragen gern wegschaut. Ein Wirtschaftskrimi zum Kopfschütteln und Aufregen.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

8. Platz: Andrea Erkenbrecher: Oradour und die Deutschen (De Gruyter)

Andrea Erkenbrecher: Oradour und die Deutschen. Geschichtsrevisionismus, strafrechtliche Verfolgung, Entschädigungszahlungen und Versöhnungsgesten ab 1949. Eine Publikation des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin. De Gruyter Oldenbourg Verlag, Berlin 2023. 674 Seiten, 129 Euro, E-Book: 84,95 Euro. (Foto: De Gruyter)

Eines der schlimmsten Kriegsverbrechen deutscher Soldaten war das Massaker von Oradour am 10. Juni 1944. Das Gemetzel in dem französischen Dorf kostete mehr als 600 Menschen das Leben, wenige Verbrechen des Zweiten Weltkriegs sind besser belegt. Und dennoch wurde vor deutschen Gerichten kein Verantwortlicher je zur Rechenschaft gezogen. Wie es dazu kam, das hat die Historikerin Andrea Erkenbrecher 20 Jahre lang erforscht. Niemand dürfte die Geschichte des Vertuschens und Verleugnens in der Nachkriegszeit besser kennen als sie. Nicht nur hatten die Soldaten und Vorgesetzten ihre Leute an wichtigen Stellen der frühen BRD sitzen, auch die Justiz war nicht so recht interessiert an Recht und Sühne in solchen Fällen. Das alles hat Erkenbrecher so nüchtern aufgeschrieben, dass man am Ende der Lektüre erst recht fassungslos ist.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

9. Platz: Gertrude Lübbe-Wolff: Demophobie (Klostermann)

Gertrude Lübbe-Wolff: Demophobie. Muss man die direkte Demokratie fürchten? Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt 2023. 212 Seiten, 24,80 Euro. (Foto: Klostermann-Verlag)

Der teils besorgniserregende Zustand der Demokratie in einigen Ländern und was man gegen Rechtsruck und Populismus tun könnte, füllt seit einigen Jahren ganze Bibliotheken. So auch dieses Jahr. Aus der Masse ragte die Streitschrift der ehemaligen Richterin am Bundesverfassungsgericht, Gertrude Lübbe-Wolff, heraus. In "Demophobie" dekliniert sie durch, wie sinnvoll es sein könnte, in Deutschland zumindest fallweise die kollektive Klugheit des Souveräns in Anspruch zu nehmen. Gemeint sind damit nicht nur, aber auch Bürger- und Volksabstimmungen. Wer die vielen Gegenargumente, die man hier vorbringen kann, kennt, weiß, dass es viel Überzeugungskraft und kluge Analyse braucht, um sie zu entkräften. Beides gelingt hier auf großartige Weise.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

10. Platz: Saul Friedländer: Blick in den Abgrund (C.H. Beck)

Saul Friedländer: Blick in den Abgrund. Ein israelisches Tagebuch. Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. Verlag C.H. Beck, München 2023. 237 Seiten, 24 Euro. E-Book: 17,99 Euro. (Foto: C.H. Beck)

Der 7. Oktober wird auch im Rückblick die große Zäsur des Jahres 2023 bleiben. Für Bücher über das brutale Gemetzel der Hamas und den anschließenden Krieg in Gaza ist es noch zu früh, doch Analysen über die Politik der vergangenen Jahre in Israel und was dabei schiefgelaufen ist, gibt es einige. Heraus sticht dabei das "Tagebuch" des Holocaust-Überlebenden und Publizisten Saul Friedländer, der sich vor allem dem Rechtsruck des Kabinetts Netanjahu und den Massenprotesten gegen die Justizreform widmet. Friedländers "Blick in den Abgrund" macht deutlich, wie sehr sich Benjamin Netanjahu von der Demokratie entfernt hat. Und der Ausblick könnte eine Blaupause dafür sein, welche Friedenslösung nach dem Krieg im Nahen Osten möglich ist.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

11. Platz: Gunter Hofmann: Willy Brandt (C.H. Beck)

Gunter Hofmann: Willy Brandt. Sozialist, Kanzler, Patriot. Eine Biographie. Verlag C.H. Beck, München 2023. 517 Seiten, 35 Euro. E-Book: 27,99 Euro. (Foto: C.H. Beck)

Das Genre der politischen Biografie ist zuletzt ein wenig ins Hintertreffen geraten, weil viele Autoren lieber der aktuellen Nachrichten-Krisen-Lage hinterherhecheln. Wie wohltuend ist da doch die Lektüre einer tiefschürfenden Betrachtung über eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der ehemalige Zeit-Redakteur Gunter Hofmann kannte den Kanzler Willy Brandt sehr gut und das merkt man der Biografie in jeder Zeile an. Man kommt dem Politiker, der stets das "bessere Deutschland" suchte und doch oft ein Fremder blieb im Land, sehr nahe. Und ohne Aktualität kommt das Buch natürlich auch nicht aus: Wer wissen will, warum die Ostpolitik Brandts nicht direkt zu den Putin-Verstehern von heute führt, bekommt hier jede Menge Argumente.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

12. Platz: Gesine Dornblüth, Thomas Franke: Jenseits von Putin (Herder)

Gesine Dornblüth, Thomas Franke: Jenseits von Putin. Russlands toxische Gesellschaft. Herder Verlag, Freiburg 2023. 208 Seiten, 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro. (Foto: Herder)

Wie Nikolai Epplée schauen Gesine Dornblüth und Thomas Franke auf die russische Gesellschaft bei ihrer Suche nach Erklärungen, warum Putins Angriffskrieg auf die Ukraine im Land weitgehend unterstützt oder teilnahmslos toleriert wird. Anders als viele sogenannte Experten haben die beiden Osteuropakenner Kontakte ins Land - und liefern erschreckende Beweise für eine "toxische" Gesellschaft, die sich gern an die Sowjetzeit erinnert und Gewalt als Lösung für Probleme durchaus akzeptiert. Das aufrechte Häuflein Oppositioneller wird sich dieser Kremlherrschaft nicht widersetzen können, so das Urteil der beiden. Und, was vielleicht perspektivisch noch wichtiger und beängstigender ist: Das Land werde sich auch nach dem Diktator Putin eher nicht ändern.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

13. Platz: Claudia Kemfert: Schockwellen (Campus)

Claudia Kemfert: Schockwellen. Letzte Chance für sichere Energien und Frieden. Campus Verlag, Frankfurt 2023. 310 Seiten, 26 Euro. E-Book: 23,99 Euro. (Foto: Campus)

Wie ist Deutschland eigentlich vor langer Zeit in die Abhängigkeit von russischem Erdgas geraten? Wer sich das alles noch einmal gut informiert erzählen lassen will, kann außer der sehr politischen Analyse von Reinhard Bingener und Markus Wehner auch zum Buch der Energieökonomin Claudia Kemfert greifen. In "Schockwellen" zeichnet sie akribisch nach, wie die deutsche Regierung das billige Gas des Machthabers Wladimir Putin gerne nahm und bei allem anderen nach dem Motto lebte: Wird schon gutgehen. Weil es nicht gutging, zitterten die Deutschen 2022/23 ein wenig vor einem kalten Winter. Aber dass nun viel mehr geschehen muss bei der Energiewende, als anderswo Erdgas aufzutreiben, macht Kemfert auch klar. Ihre kluge und kämpferische Abrechnung mit den "Fossilen" zeigt auf, was dem Klima (und der Politik) wirklich helfen würde.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

14. Platz: Philip Banse, Ulf Buermeyer: Baustellen der Nation (Ullstein)

Philip Banse, Ulf Buermeyer: Baustellen der Nation. Was wir jetzt in Deutschland ändern müssen. Ullstein Verlag, Berlin 2023. 384 Seiten, 22,99 Euro. E-Book: 18,99 Euro. (Foto: Ullstein)

Nicht nur der Zustand der Welt, auch der Blick auf Deutschland ließ manche Menschen dieses Jahr verzweifeln. Nur Stillstand und Ampel-Murks allüberall und das dafür täglich, so erschien es oft. Auch wenn wie jedes Jahr die Apokalypse dann doch ausblieb, gibt es ja durchaus einiges zu reparieren und reformieren in der Republik. Die Autoren Philip Banse und Ulf Buermeyer tun das mit wachem Blick für die Problematik, aber eben auch ohne polemische Überspitzung. Den Machern des viel gelobten Podcasts "Lage der Nation" ist hier eine Analyse in acht Kapiteln gelungen, die die Schwachstellen klar benennt, aber durchaus auch attestiert, die Baustellenrepublik sei ein "im Kern attraktives und funktionierendes Land".

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

15. Platz: Ilko-Sascha Kowalczuk: Walter Ulbricht, Teil 1 (C.H. Beck)

Ilko-Sascha Kowalczuk: Walter Ulbricht. Der deutsche Kommunist. (1893-1945). Verlag C.H.Beck, München 2023. 1006 Seiten, 58 Euro. E-Book: 49,99 Euro. (Foto: C.H. Beck)

Ein Buch mit 1000 Seiten und ohne Bilder über einen Kommunisten, der später die DDR anführte - das mag auf den ersten Blick nicht gerade attraktiv erscheinen. Zumal der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk im Sommer nur den ersten Teil seiner Walter-Ulbricht-Biografie bis 1945 vorgelegt hat, der zweite Teil soll im Frühjahr 2024 folgen. Dennoch lohnt sich die Lektüre unbedingt, denn Kowalczuk hat offenbar jedes Archiv nach Fakten über den oft als dröge wahrgenommenen Mann mit der Fistelstimme durchstöbert und auch einiges Neues entdeckt. So war Ulbricht in seinen KPD-Zeiten in der Weimarer Republik durchaus einflussreicher als bisher angenommen, ebenso später im Moskauer Exil. Zudem war er absolut kompromisslos und letztlich viel mehr als Stalins treuer Parteisoldat. Damit ist die Biografie eigentlich eine große Geschichte des Kommunismus im frühen 20. Jahrhundert.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

16. Platz: Peter Seibert: Demontage der Erinnerung (Metropol)

Peter Seibert: Demontage der Erinnerung. Der Umgang mit dem jüdischen Kulturerbe nach 1945. Metropol Verlag, Berlin 2023. 400 Seiten, 26 Euro. E-Book: 21 Euro. (Foto: Metropol-Verlag)

Wie gingen die Deutschen eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust mit den baulichen Relikten jüdischer Kultur um? Respektvoll und sensibel? Mitnichten! Was der Kulturwissenschaftler Peter Seibert in seinem Buch "Demontage der Erinnerung" zusammengetragen hat für die Jahre bis 1988, ist ein beschämendes Zeugnis sowohl für die BRD als auch für die DDR. Da, wo noch Synagogen standen, brauchte man plötzlich Platz für Kinos, Geschäftshäuser, Parkplätze oder Weinstuben. Nicht immer ging es dabei um Antisemitismus, oft war es auch reine Gedankenlosigkeit ohne jedes Bewusstsein für die Geschichte. Gerade in diesen Wochen und Monaten wäre es gut, sich damit auseinanderzusetzen, mit welcher Empathielosigkeit auf jüdisches Leben in Deutschland über Jahrzehnte geblickt wurde.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

17. Platz: Wolfgang Benz: Allein gegen Hitler (C.H. Beck)

Wolfgang Benz: Allein gegen Hitler. Leben und Tat des Johann Georg Elser. Verlag C.H. Beck München, 2023. 224 Seiten, 27 Euro. E-Book: 19,99 Euro. (Foto: C. H. Beck)

Der Hitler-Attentäter Georg Elser ist trotz vieler Bemühungen noch immer eine der unbekannteren Personen aus dem Widerstand. Nun hat der Historiker Wolfgang Benz, wie Elser selbst von der Ostalb stammend, seinem schwäbischen Landsmann ein weiteres würdiges Denkmal gesetzt. Einfühlsam und in bester Kenntnis der Menschen auf der Alb schildert Benz das Leben des Kunstschreiners, der ohne große Bildung und ohne politische Agenda seinem Gewissen folgte und 1939 zur Tat schritt - zu einem Zeitpunkt, als andere Hitlergegner noch zögerten und zauderten. Besonders wertvoll ist, wie Benz die Nachgeschichte des Attentats in der Bundesrepublik beleuchtet. Denn hier erfährt man auch, warum Elser zu Unrecht so lange hinter dem militärischen Widerstand zurückstehen musste. Ein sehr persönliches Benz-Buch.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

18. Platz: Sabine Fischer: Die chauvinistische Bedrohung (Econ)

Sabine Fischer: Die chauvinistische Bedrohung. Russlands Kriege und Europas Antworten. Econ Verlag Berlin, 2023. 288 Seiten, 24,99 Euro. E-Book: 20,99 Euro. (Foto: Econ)

Erstaunlicherweise gab es - nachdem bereits im ersten Kriegsjahr zahlreiche Annäherungsversuche erschienen waren - auch 2023 noch weitere ziemlich gute Putin-Erklärbücher. Hier fügt die Analyse von Sabine Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik den Deutungen eine durchaus treffende Facette hinzu. Demnach basiert das Regime des Kremlherrschers auf einem "extremen Männlichkeitskult". Der Hintergrund für Russlands Vernichtungskrieg gegen die Ukraine sei eine Mischung aus Nationalismus, Sexismus und Autokratie. Und diese Politik ist sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet - Europa und der Westen müssten sich hier stärker rüsten, fordert Fischer, denn Russlands Chauvinismus macht, wie man sieht, nicht an seinen Westgrenzen Halt.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

19. Platz: Manfred Görtemaker: Rudolf Hess (C.H. Beck)

Manfred Görtemaker: Rudolf Hess. Der Stellvertreter. Eine Biographie. Verlag C.H. Beck, München 2023. 758 Seiten, 38 Euro. E-Book: 28,99 Euro. (Foto: C.H. Beck)

Viele sahen den Mann lange Zeit nur als Sonderling. Berühmt vor allem für seinen Schottlandflug 1941 und für sein späteres langes Leben im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis. Doch Rudolf Hess war wirklich der Stellvertreter Hitlers - das belegt der Historiker Manfred Görtemaker in der ersten seriösen Biografie über diese NS-Größe. Hess, so arbeitet der emeritierte Professor aus Potsdam nach mehreren Dekaden intensiver Forschung und Sichtung vieler bisher unbeachteter und unzugänglicher Quellen akribisch auf, hatte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die NS-Politik. Görtemaker räumt übrigens nebenbei mit allerlei Mythen auf, die den Mann umranken. Vor allem der Schottlandflug war keineswegs aus reiner Friedensliebe erfolgt, vielmehr aus Sorge um seinen "Führer".

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

20. Platz: Florian Bieber: Pulverfass Balkan (Ch. Links)

Florian Bieber: Pulverfass Balkan. Wie Diktaturen Einfluss in Europa nehmen. Verlag Ch. Links, Berlin 2023. 248 Seiten, 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro. (Foto: Ch. Links)

Seit dem Jugoslawien-Krieg Anfang der 1990er-Jahre haben viele Menschen sich nicht mehr mit dem Balkan beschäftigt. Hie und da schaut man wieder mit sorgenvollem Blick in die Region, wenn es etwa zwischen Kosovaren und Serben wieder mal zu Gewalt kommt. Dass es sich aber lohnt, sich mit dem Balkan näher zu befassen, zeigt einmal mehr der Südosteuropa-Kenner Florian Bieber. In seiner scharfen Analyse stellt er nämlich zwei Punkte heraus: einmal die Fehler, die die EU in den vergangenen Jahren dort gemacht hat (und das waren nicht wenige). Aber vor allem, warum diese von Europa sträflich vernachlässigte Region nun zunehmend zum Tummelplatz von autokratischen und diktatorischen Regimen wie Russland und China wird.

Die ausführliche Rezension lesen Sie hier.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusLiteratur-Tipps
:Die besten Bücher des Jahres von Münchner Autorinnen und Autoren

Ob Roman, Sachbuch, Lyrik oder Graphic Novel - eine Auswahl empfehlenswerter Werke, die im Jahr 2023 von Münchner Schriftstellerinnen und Schriftstellern erschienen sind.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: