Armut:Wenn es kein Zuhause mehr gibt

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Die meisten wohnungslosen Menschen in Bayern leben in München. Ein Obdachloser bat mit diesem Schild um Hilfe. (Foto: Ralph Peters/imago)

Seit Jahren nimmt die Zahl von wohnungslosen Bayern zu, Experten nennen die Lage "prekär". Welche Probleme die Situation verschärfen und wo es Fortschritte gibt.

Von Max Weinhold, Nürnberg

"Die Lage ist prekär", sagt Stephanie Watschöder. Sie ist bei der Caritas Fachreferentin für die Koordination der Wohnungslosenhilfe in Südbayern und stellt fest: "Die Belastung ist hoch." Und zwar bei der sogenannten ordnungsrechtlichen Unterbringung. Dabei handelt es sich um jene Form von Beherbergung, die Menschen angeboten wird, wenn sie nicht über eigenen Wohnraum verfügen oder ihr Mietvertrag keine Gültigkeit mehr besitzt.

Das klingt alles ziemlich technisch, ist in Bayern, Stand Januar 2022, aber für 17 910 Menschen Lebensrealität. Im Jahr 2014 waren es noch 12 053, drei Jahre später schon 15 517. Der bayerische Städtetag nennt das "besorgniserregend". Die Kosten seien in fast allen Lebensbereichen gestiegen und mit ihnen die Zahl der Menschen die Hilfe bräuchten, sagt auch Caritas-Fachreferentin Watschöder. Die Hilfsangebote würden inzwischen wieder genauso sehr nachgefragt wie vor Corona, zum Teil sogar stärker.

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Wie viele Personen im Freistaat wirklich auf der Straße, also auch nicht in einer Notunterkunft leben, das vermag die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei nicht zu sagen. Es existieren nur Schätzungen, im Wohnungslosenbericht der Bundesregierung 2022 ist von deutschlandweit etwa 37 400 Menschen die Rede.

Genauere Erkenntnisse bringt die Anfrage zu den 17 910 Wohnungslosen in bayerischen Unterkünften. Etwa diese: Mehr als 5000 gehören einer Familie mit Kind an. "Das ist ein Riesenthema", sagt Watschöder. Betroffene Kinder begännen früh, Dinge zu verheimlichen, sich zu schämen. "Wenn die beste Schulfreundin einen zu Hause besuchen will - nimmt man die dann mit in die Notunterkunft?", fragt sie. Und verzichtet auf eine Antwort. Auf die Situation von wohnungslosen Kindern blickt auch der Städtebund mit Sorge, in solchen Fällen wiege das Fehlen eines eigenen Lebensmittelpunktes besonders schwer.

Fast drei Jahre lang in der Notunterkunft

Am häufigsten von der Wohnungslosigkeit betroffen sind Männer, sie machen gut zwei Drittel der Personen in den Unterkünften des Freistaats aus. Nur etwa ein Drittel aller besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Bemerkenswert ist der lange Aufenthalt in den Unterkünften, im Schnitt dauert dieser in Deutschland zwei Jahre und zehn Monate.

In Bayern kommen auf 1000 Einwohner 1,4 Personen in einer Notunterkunft, der Freistaat liegt damit im Mittelfeld. Zum Vergleich: In den Stadtstaaten Berlin und Hamburg sind es gar 7,1 respektive 10,4 Menschen pro 1000 Einwohner. Die meisten wohnungslosen Menschen leben auch in Bayern in den großen Städten: Auf München (knapp 9000, Stand Januar 2022) folgt mit großem Abstand Nürnberg (1910) vor Augsburg (765) und Würzburg (390).

In Würzburg stellen sie seit Jahren "leicht steigende Zahlen" fest, die heuer bei 442 Wohnungslosen in Unterkünften angelangt sind. "Und wie wahrscheinlich überall ist die Verknappung bezahlbaren Wohnraums ein Problem", sagt Christian Weiß, Sprecher der Stadt. In Würzburg kommen Menschen ohne Obdach unter anderem in älteren, zu diesem Zwecke bereitstehenden Wohnungen unter.

Dass es an bezahlbarem Wohnraum mangelt, zeigen Zahlen wie diese: 2020 und 2021 bewilligte die bayerische Staatsregierung die Förderung zum Bau von 9040 Sozialwohnungen - im selben Zeitraum fielen 9421 aus der Mietpreisbindung. Immerhin ist festzustellen, dass die jährliche Förderung von Sozialwohnungen seit 2012 deutlich zugenommen hat.

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10 000 bezahlbare Wohnungen wollte die Landesregierung bis Ende 2024 neu bauen. Doch 93 Prozent der Wohnungen könnten nicht rechtzeitig fertiggestellt werden.

Dennoch: "Das größte Problem bleibt der fehlende bezahlbare Wohnraum", sagt Stephanie Watschöder von der Caritas. Eine Einschätzung, zu der auch die Obdachlosenhilfe Bayern kommt, eine vom Sozialministerium geförderte Arbeitsgemeinschaft, die Hilfsprojekte in ganz Bayern vorantreibt. Trotz des Ausbaus an ambulanten Beratungsstrukturen werde es "ohne eine Trendwende am Mietwohnungsmarkt" nicht gelingen, die Wohnungslosigkeit einzudämmen, heißt es in ihrem Sachbericht 2022. Dabei hat es sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, die Wohnungs- und Obdachlosigkeit mithilfe eines nationalen Aktionsplans bis 2030 zu überwinden - aktuell nur schwer vorstellbar.

Immerhin, Stephanie Watschöder sieht auch Fortschritte. Etwa bei der Art der Unterbringung. Es gebe zunehmend spezifische Angebote für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen: Unterkünfte für Menschen mit psychischen Krankheiten, für Frauen, Familien, Personen mit Hunden. Zudem hätten sich die Beratungsangebote seit der Gründung der Obdachlosenhilfe Bayern verbessert. "Man muss zu den Leuten", sagt Watschöder. Für Menschen in Notlagen, die etwa einen Bescheid zur Zwangsräumung erhalten hätten, seien die bürokratischen Hürden zu hoch, um sich dagegen zu wehren. Viele würden ihre Ansprüche nicht kennen, nicht jeder verstehe den Inhalt aller zwölf Sozialgesetzbücher. Watschöder hält daher einen "flächendeckenden Ausbau von aufsuchender Beratungsstruktur" für notwendig.

Denn, so heißt es auch vom bayerischen Städtebund, noch immer seien Betroffene oftmals nicht für Hilfe erreichbar, wenn sie etwa suchtkrank seien oder wegen Haustieren nicht in Unterkünfte dürften. "Diese Personengruppen zu erreichen und keiner zusätzlichen Gefährdung durch Kälte und Kriminalität auszusetzen, ist insbesondere in Großstädten ein drängendes Problem."

Stephanie Watschöder begrüßt, dass die Dimensionen der Wohnungslosigkeit besser sichtbar würden, wenngleich auch der Wohnungslosenbericht aus dem vergangenen Jahr noch Unschärfen habe. So weist dieser etwa für die Stadt Memmingen null untergebrachte Personen aus - auf Nachfrage sagt eine Sprecherin der Stadt, man beherberge immer zwischen 30 und 50 Personen. Auch im Landkreis Hof weiß man nicht recht, warum die Tabelle keinen einzigen Wohnungslosen in Unterkünften ausweist. Eines jedenfalls wird deutlich, Watschöder drückt es so aus: "Das Problem wird uns noch eine Weile erhalten bleiben."

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