Soziales:Zuerst ein Dach über dem Kopf

SPD-Fraktion fordert Umdenken im Kampf gegen Obdachlosigkeit

Von Johann Osel

Die SPD im Landtag fordert die Staatsregierung zu mehr Anstrengungen im Kampf gegen Obdachlosigkeit und zu kreativen Konzepten auf. Natascha Kohnen, wohnungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, bemängelt, dass sich in der Antwort des Sozialministeriums auf eine Anfrage zum Thema schon die Datenbasis als unzureichend erwiesen habe. Aktuelle Zahlen über Obdachlosigkeit in Bayern stammen demnach von Mitte des Jahres 2017; neuere Erhebungen sind erst Anfang 2022 vorgesehen. "Das ist angesichts der bereits seit Monaten andauernden Corona-Krise inakzeptabel. Gerade aufgrund der verschärfenden Rahmenbedingungen für obdachlose Menschen in der Krise brauchen wir jetzt belastbare Zahlen, um sinnvoll gegensteuern zu können", sagt Kohnen. Die Antwort des Ministeriums hatte erwähnt, dass die Versorgungsstrukturen für Betroffene durch die Pandemie "teilweise eingeschränkt" sind, die Hygieneregeln begrenzten etwa die Aufnahme in Einrichtungen.

Kohnen pocht auf das kürzlich vom EU-Parlament ausgegebene Ziel, Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 quasi zu beseitigen. Ein Leuchtturmkonzept diesbezüglich sei "Housing first", wodurch es in Finnland fast keine Obdachlosigkeit mehr gebe. Das Prinzip: Erst bekommen Obdachlose eine eigene Wohnung (keine Notunterkunft), dann beginne Re-Integration zum Beispiel durch Sozialarbeit. Bedingungsloses Wohnen sozusagen. Auf der Grundlage werden Probleme angegangen, Arbeitssuche, Teilhabe, Schulden, Gesundheit, vielleicht ein Drogenentzug - und nicht umgekehrt. Es geht laut Kohnen aber auch um weichere Faktoren: So zeige die Erfahrung, dass Wohnungslose den langen Prozess der Unterkunftssuche oft psychisch überhaupt nicht durchhielten. In Wien, hierzulande aber auch in Bremen und Berlin, liefen bereits Modellprojekte von "Housing first".

"Wir müssen umdenken", sagt Kohnen, der Freistaat müsse das steuern. Konkret solle er für "Housing first" Kapazitäten bereitstellen; mittelfristig auch aus dem Bestand der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft Bayernheim. Kürzlich war über Anfragen von Grünen und FDP zwar bekannt geworden, dass bisher kaum Bayernheim-Wohnungen entstanden sind und das ambitionierte Ziel von Ministerpräsident Markus Söder (2000 Einheiten bis Ende dieses Jahres) verfehlt wird. Für die kommenden Jahre lässt sich aber doch von einigen Tausend neuen Wohnungen ausgehen. 20 Prozent des Bayernheim-Bestands für "Housing first" stellt sich Kohnen vor. Das finnische Beispiel zeige, wie viel erfolgreicher die soziale Eingliederung mit einem Dach über dem Kopf laufe.

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