Kulturpolitik:Ein Opernhaus im NS-Hufeisen

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Auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände am großen Dutzendteich in Nürnberg stehen links der Serenadenhof, rechts das Dokumentationszentrum und dahinter die unvollendete Kongresshalle der NSDAP. (Foto: Norbert Probst/imago)

Über Monate hat Nürnberg gestritten, wo das Interim fürs Musiktheater genau hinkommen soll - innerhalb oder außerhalb des kolossalen Kongressbaus der Nazis. Nun hat eine Jury eine wegweisende Empfehlung abgegeben.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Den Richard-Wagner-Saal im "Le Meridien Grand Hotel" dürften viele Nürnberger zeit ihres Lebens nie kennenlernen, was schade ist. Ausstaffiert mit sechs Kronleuchtern hat man ständig den Eindruck, Thomas Mann sollte gleich um die Ecke biegen, in seinem Schlepptau Felix Krull. Wenn die nicht für überbordenden Reichtum berühmte Stadt Nürnberg so einen Saal kapert, dann muss wohl etwas Spezielles im Schwange sein. Und das ist es ja auch: Dass das Operninterim, dieses bundesweit beäugte Großprojekt, aufs ehemalige NS-Reichsparteitagsgelände soll, ist bereits klar - aber wohin nun genau?

Rachel Salamander strahlt an diesem Donnerstagabend und das liegt, soweit zu erkennen ist, nicht an der beachtlichen Ausleuchtung durch die sechs Kronleuchter. Der ganze Tag, die stundenlange Jurydebatte, am Ende das einmütige Votum, "das nimmt mich emotional mit", sagt die Publizistin. Salamander war Teil der Jury, zu deren Besetzung man der Stadt Respekt zollen darf. Josef Schuster etwa, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, eilt der Ruf voraus, konsequent eine Meinung zu vertreten - seine eigene. Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, hatte in einem SZ-Gespräch noch vor einigen Monaten zu erkennen gegeben, nicht restlos überzeugt zu sein von den damals noch schattenhaften Plänen der Stadt für ein Interim auf historisch kontaminiertem Areal.

Norbert Frei wiederum, Historiker an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, hatte 2014 für einen kontrollierten Verfall der Zeppelintribüne, ebenfalls auf dem Ex-NS-Areal gelegen, plädiert - und damit den bis heute gültigen Plänen der Stadt Nürnberg dezidiert widersprochen. Ein Gremium von Ja-Sagern installiert zu haben, wird man der Stadt da schwerlich vorwerfen können. Und doch kommt dieses zu einer konsensualen Empfehlung, Rahel Salamander spricht anschließend von einem "historischen Moment".

Der Wortlaut, den Oberbürgermeister Marcus König (CSU) am Ende vorträgt, mag etwas gestelzt klingen. Aber er dürfte die Stadt künftig prägen: "Das Entscheidungsgremium im Gutachterverfahren ,Ausweichspielstätte für die Musik- und Tanztheatersparten des Staatstheaters Nürnberg' hat in nichtöffentlicher Sitzung am 30. Juni 2022 die Empfehlung ausgesprochen, den Ergänzungsbau für das Interim von Oper und Tanz des Staatstheaters Nürnberg im sogenannten Innenhof der Kongresshalle zu platzieren." Und weiter: "Das Gremium empfiehlt, den Ergänzungsbau - der Bühnenraum, Orchestergraben, Zuschauerraum und Nebenräume umfasst - an der nordwestlichen Innenseite des Kongresshallen-Torsos zu verorten." Wer darum weiß, wie leidenschaftlich um exakt diesen Punkt - soll man das Interim innerhalb oder außerhalb des hufeisenartigen NS-Wundmals verorten - gerungen wurde in Nürnberg, der muss gespannt sein auf die vorgetragenen Gründe.

Visualisierung zum Juryentscheid, wo das Nürnberger Operninterim in der ehemaligen NS-Kongresshalle hinkommen soll. Blau sind diverse von Architekturbüros vorgeschlagene Orte gekennzeichnet, die rote Umrandung dürfte in etwa den voraussichtlichen Platz des künftigen Hauses markieren - sollte der Stadtrat dem Vorschlag der Jury zustimmen. (Foto: Stadt Nürnberg)

Die Jury, insgesamt neun Mitglieder aus Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft, sei überzeugt davon, dass der nun empfohlene Platz eine "funktionale und architektonische Verschränkung" mit dem Bestand der Torso gebliebenen Kongresshalle, in dem wesentliche Funktionsräume der Oper untergebracht werden sollen, garantiere. Der Ort am nordwestlichen - also stadtseitigen - Innenraum des Hufeisens habe zudem das Potenzial, dazu beizutragen, "diesen historisch kontaminierten Ort wahrzunehmen" und "im demokratisch künstlerischen Sinn zu nutzen".

Die seit dem Jahr 2001 bestehende Intervention von Günther Domenig, dem Architekten des viel gerühmten Doku-Zentrums in einem der beiden Kopfbauten, werde dabei "in ihrer Wirkung nicht geschmälert"; und die Gesamtwirkung des - gerade im Gegensatz zu der Kongresshallen-Außenseite kariös und unfertig wirkenden - Innenhofs durch den Opernbau nur "unwesentlich beeinträchtigt".

Insbesondere gegen diese letztere These waren Vertreter der Erinnerungskultur Sturm gelaufen. So hatte etwa der Historiker Bernd Windsheimer von "Geschichte für Alle" in einem SZ-Interview dargestellt, warum sein Verein, der Führungen übers Ex-NS-Areal organisiert, exakt um jene Gesamtwirkung bange. Das "Scheitern des NS-Größenwahns" sei demnach im Innenhof "nicht nur verstandesmäßig erfahrbar, sondern auch sinnlich wahrzunehmen". Man fürchte, der Einbau einen Opernhauses "würde das nachhaltig verändern". Die SPD, die zusammen mit der CSU das Rathausbündnis bildet, hatte sich dem 2021 angeschlossen: Die Kongresshalle sei kein "x-beliebiger Ort", nirgendwo anders als eben im Innenhof könne "das Scheitern der NS-Diktatur derart greifbar vermittelt werden".

Ein Bruch des schwarz-roten Bündnisses droht nicht mehr

Sah es da noch so aus, als könnte in dieser Grundsatzentscheidung sogar das schwarz-rote Bündnis in Gefahr geraten, haben sich die Wogen inzwischen geglättet. Die SPD beeilte sich noch am Freitagvormittag zu erklären, man akzeptiere den Vorschlag. Die SPD habe auf einen Ideenwettbewerb gedrängt, dieser spiegele nun das Ringen um den besten Platz, auch wenn sich das Juryvotum nicht mit dem Plädoyer der Partei decke. Nürnbergs Parteichef Nasser Ahmed geht davon aus, die SPD werde sich am 20. Juli im Stadtrat der Empfehlung anschließen. Ein Bruch des Bündnisses droht demnach nicht mehr.

Tatsächlich präferierten auch die acht beteiligten Architekturbüros, die der Jury Vorschläge machten, unterschiedliche Platzierungen. Spektakuläres war auch dabei, so schlugen Glöckner Architekten eine "Dekonstruktion der Postkartenkulisse" vor - und zwar mit einem Bau der Oper auf dem südlichen Kopfbau. Ein international beachtetes "Störbild" schwebte dem Büro vor, in der Jury soll das freilich auf wenig Gegenliebe gestoßen sein. Insgesamt hielten sich die Vorschläge für einen Ort innerhalb oder außerhalb des NS-Baus in etwa die Waage. Auffällig ist, dass niemand für einen Bau im Südosten, direkt am Ufer des Dutzendteichs, plädierte - eine Variante, die Lucius Hemmer, Intendant der Nürnberger Symphoniker, ins Gespräch gebracht hat. Ökologische Bedenken dürften der Grund für die Reserviertheit der Architekten sein.

Nürnbergs Baureferent Daniel Ulrich hofft nun, dass sich die beteiligten Architekturbüros auch mit Entwürfen am präferierten Ort beteiligen. Denn eines wollten OB König, Baureferent Ulrich sowie Kulturreferentin Julia Lehner betont wissen. In dieser ersten Runde ging es nur um das Wohin. Noch nicht um das Wie.

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