Biografie über FPÖ-Chef Herbert Kickl:Der Aggressor aus Kärnten

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Sieht sich selbst als "Hund, der anschlägt, wenn Gefahr lauert": FPÖ-Chef Herbert Kickl. (Foto: Christian Bruna/Getty Images)

Gernot Bauer und Robert Treichler zeichnen ein erhellendes und erschreckendes Bild des österreichischen Rechtspopulisten Herbert Kickl: Taktiker, Demagoge, Ideologe und nicht zuletzt "Zerstörer Europas".

Rezension von Cathrin Kahlweit

Es ist bereits Wahlkampf in Österreich, obwohl erst Ende September ein neuer Nationalrat und damit eine neue Regierung gewählt wird. Aber die rechtspopulistische FPÖ liegt in Umfragen stabil ganz vorn bei 30 Prozent. Und ihr Spitzenkandidat für die Europawahl, Harald Vilimsky, hat gerade auf dem Wiener Landesparteitag der FPÖ gesagt: "Man stelle sich einen roten Knopf vor, um Österreich aus dem EU-Irrsinn herauszuholen. Ich würde keine Millisekunde zögern, auf diesen Knopf zu drücken." Dann forderte er, die Provokation bewusst auskostend, einen EU-Kommissar für "Remigration".

Und so muss man nur in die Pressemitteilungen der konkurrierenden Parteien an einem ganz gewöhnlichen Montagmorgen schauen, um zu sehen, wo der gemeinsame politische Feind steht: ganz weit rechts. Die liberalen Neos wollen ein "Nein zum Öxit" in die Präambel eines künftigen Koalitionsvertrags schreiben. Der ÖVP-Generalsekretär wettert, FPÖ-Chef Herbert Kickl habe in seiner einzigen bisherigen Regierungsfunktion als Innenminister unter Sebastian Kurz zwischen 2017 und 2019 einen "desaströsen Scherbenhaufen" hinterlassen. Und die SPÖ warnt, mit seinen "Orbanisierungsfantasien" wollten Kickl und die FPÖ "Menschenrechte beschneiden, die Pressefreiheit einschränken und politische Gegner auf Fahndungslisten setzen".

Der Strache-Ibiza-Skandal? Vergessen

Es ist also nicht untertrieben, wenn man feststellt, dass der österreichische Politikbetrieb beim Gedanken an den möglichen Wahlsieg einer Partei, die mit den rechtsextremen Identitären marschiert und mit der AfD paktiert, einigermaßen hyperventiliert. Und dass allseits verzweifelt nach einem Rezept gesucht wird, um die Rechtspopulisten zu stellen, die fünf Jahre nach dem Ibiza-Skandal um ihren Ex-Chef Heinz-Christian Strache offenbar tun und sagen können, was sie wollen, ohne die Sympathien eines Drittels der Wähler zu riskieren. Was für die AfD in Deutschland, deren Wählern ihre zunehmend rechtsextreme Ausrichtung entweder egal oder sogar willkommen ist, bekanntlich auch gilt.

Und so könnte sich das Buch von Gernot Bauer und Robert Treichler in einer Zeit, in welcher der Rechtspopulismus überall in Europa regelrecht boomt, als überaus nützlich erweisen. Sie haben nicht nur eine Biografie von Parteichef Herbert Kickl geschrieben, sondern auch noch gleich die Pläne der europäischen Rechtsnationalen und Rechtspopulisten für die "Zerstörung Europas" mitanalysiert. Denn den einen, Kickl, gibt es nicht ohne das andere, das EU-Bashing. Viktor Orbán ist dafür das beste Beispiel.

Traum vom "Volkskanzler": Herbert Kickl im April auf einer Parteiveranstaltung in Wien. (Foto: Christian Bruna/Getty Images)

Bauer und Treichler sind Redakteure beim österreichischen Magazin Profil. Ihnen ist mit "Kickl und die Zerstörung Europas" (das an diesem Montag in die Buchläden kommt) eine präzise, umfassende, sachliche - und ziemlich gruselige - Zusammenschau all dessen gelungen, was Kickl, seine Herkunft, seinen ideologischen Unterbau und seine Bedeutung für die Partei ausmacht. Denn man darf den kleinen, unscheinbaren Mann, der unumstritten an der Spitze einer Oppositionspartei in einem kleinen europäischen Land steht, nicht eine Sekunde unterschätzen. Und die Pläne, die seine politischen Freunde und er für Österreich und Europa haben, auch nicht. Sie arbeiten seit vielen Jahren daran. Und sie sind zunehmend erfolgreich.

Den privaten Kickl kennt man kaum

Kickl hat nicht mit den beiden Journalisten geredet; er redet überhaupt selten mit Journalisten, es sei denn, sie kommen aus dem medialen Umfeld seiner eigenen Partei und stellen nicht zu viele kritische Fragen. Zum Glück sind Bauer und Treichler viel zu erfahren und gut vernetzt, um sich davon abschrecken zu lassen. Und so enträtseln sie das menschliche Enigma Herbert Kickl, den Mann, der nie über sein Privatleben redet, der am liebsten allein in die Berge geht, Stück um Stück. Was am Ende herauskommt, ist einigermaßen irritierend, ja erschreckend.

Kickl stammt aus einer Arbeiterfamilie im kärntnerischen Radenthein. Er hatte früh einen Hang zum Militärischen, wollte sogar mal auf eine Militärakademie gehen. Aber wie sein Philosophiestudium sowie den Wehrdienst bei den Gebirgsjägern, die er beide abbrach, zog er auch diesen Plan nicht bis zum Ende durch. In seiner Jugend war er, anders als im Erwachsenenalter, durchaus populär als "guter Kumpel", er hatte einen Freundeskreis, war beliebt. Was immer später geschehen ist, warum der mittlerweile 55-Jährige sich stark veränderte - es bleibt im Dunkeln.

Erst Haiders, danach Straches rechte Hand

Denn Kickl, der als Studienabbrecher und "Universaldilettant" bei der FPÖ anheuerte und dann im Dunstkreis des schillernden FPÖ-Stars Jörg Haider aufstieg, entwickelte sich zu einem misstrauischen Einzelgänger. In der Partei war er bald unverzichtbar und nach dem Bruch von Jörg Haider mit der FPÖ auch unter deren neuem Chef, Heinz-Christian Strache, ein wichtiger Manager und Ideologe: intellektuell überheblich und belehrend, wie die Autoren feststellen, und zugleich oft "unsicher und sensibel". Schnell angefasst, oft krank, anspruchsvoll bis zur Selbstausbeutung gegen sich selbst und andere. Er trinkt nicht, geht nicht feiern. Seine Frau und seinen Sohn sieht man praktisch nie in der Öffentlichkeit.

Einst im Hintergrund: Herbert Kickl (rechts) mit dem damaligen Parteichef Heinz-Christian Strache im Jahr 2019. (Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Und so bleibt vor allem der politische Kickl, der beobachtet, beschrieben, analysiert werden kann. Ein Mann, der sich gern mit seinen Philosophiekenntnissen und seiner Vorliebe für Hegel brüstet, der die "zerstörerische Wirkung der 68er", den "Gender-Irsinn" und den "Woke-Wahnsinn" bekämpft, der wirklich glaubt, eine "laute und gut vernetzte Minderheit" wolle den Menschen ihre Art zu leben rücksichtslos "aufzwingen". Toleranz ist für ihn Gleichgültigkeit - und Patriotismus nennt er Geborgenheit.

Vor allem ist Kickl Taktiker und Stratege zugleich, ein geschickter Rhetor mit einem Hang zum aggressiven Wortspiel, ein Macher im Dauerkampagnenmodus. Für die FPÖ, die er nach dem Rücktritt Straches in der Folge der Ibiza-Affäre übernommen hat, erweist er sich als Segen: Der Mann, dem nie mehr als die zweite Reihe zugetraut wurde, wird zum begabten Aufwiegler und Anführer, der genau weiß, wie man Massen bewegt und Gegner provoziert. Er nutzt die Migrations-, aber mehr noch die Corona-Krise dazu, Anhänger bei den Nichtwählern, aber auch bei frustrierten Konservativen und Sozialdemokraten zu sammeln. Seine Partei ordnet sich, anfangs zögernd, später ob des Erfolgs beeindruckt, schnell unter.

Gegen "Woke-Wahnsinn" und "Gender-Irrsinn"

Der Kärntner habe, schreiben Bauer und Treichler, ein "Aggressionspotenzial" wie kein anderer Spitzenpolitiker. Sich selbst beschreibt Kickl als einen "Hund, der anschlägt, wenn Gefahr lauert", und die Gefahr sieht er in einem "System", das alle verachtet und ausgrenzt, die nicht so sind wie die woke "selbsternannte Elite", die er hasst und die das "normale Empfinden der Menschen" zerstöre.

Gernot Bauer, Robert Treichler: Kickl und die Zerstörung Europas. Zsolnay-Verlag, Wien 2024. 256 Seiten, 25 Euro. E-Book: 18,99 Euro. (in den Buchläden ab Montag, 15. April) (Foto: Zsolnay)

Das Gegenteil sind laut Kickl: die "Normalen". Abgesehen davon, dass auch die ÖVP, die sich in Diktion und Forderungen der FPÖ zunehmend annähert, gern über die "Normalen" schwadroniert, ist der Rechtspopulist selbst alles andere als ein "Normaler": Er lebt seit Beginn seiner Berufstätigkeit von genau diesem "System", hat nie außerhalb von Partei und Politik gearbeitet, verdient viel Geld mit seinen Jobs in Partei und Parlament, kassierte jahrelang von der Wiener FPÖ monatlich 10 000 Euro für "Medienberatung".

Jederzeit bereit zur Kanzlerschaft

Die FPÖ unter Herbert Kickl, schreiben die Profil-Redakteure, sei jederzeit bereit für die Übernahme von Regierung und Kanzlerschaft. Vorbereitungen für den Herbst 2024 liefen, seit Kickl die Partei übernommen habe. Um ein Wahlprogramm zu entwickeln, seien längst überall im Land Arbeitsgruppen eingerichtet worden, ein Headhunting für Minister und Apparat habe begonnen. Massive Steuersenkungen sollen versprochen, Sozialleistungen nur noch an österreichische Staatsbürger ausgezahlt werden. Wie das gegenfinanziert wird, ob das rechtmäßig ist - egal. Kickl, so die Autoren, strebe eine "strategisch herbeigeführte Schwächung der Demokratie" an. Und es sei beileibe nicht sicher, ob man den "leicht empörten, kleinen Mann aus Kärnten" eines Tages für seine Großmäuligkeit belächeln - oder ob er Europa das Fürchten lehren werde.

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