Öffentlichkeitskampagne:Weggeschickt nach Vergewaltigung - das soll in München nicht mehr passieren

Lesezeit: 3 Min.

Mit Plakatmotiven wie diesem will die Stadt über die Akutversorgung von Opfern sexueller Gewalt aufklären. Keine Frau darf in der Notaufnahme einer Klinik abgewiesen werden. (Foto: Bureau Birgit Mayer)

Stadt, Mediziner und Beratungsstellen wollen Frauen nach der Tat besser helfen. Unter anderem soll ein Code-Satz sicherstellen, dass sie schnelle Hilfe in den Kliniken bekommen - dort sollen auch Spuren gesichert werden, die später wichtig sind für einen möglichen Prozess.

Von Nicole Graner

Nicht immer wird eine Vergewaltigung als medizinischer Notfall eingestuft. Immer wieder werden Frauen, die sich nach einem sexuellen Übergriff überhaupt trauen, in die Notaufnahme einer Klinik zu gehen, dort abgewiesen. Das Gesundheitsreferat der Stadt, sieben Münchner Kliniken und der Frauennotruf haben sich zusammengetan, um eine Versorgungslücke in der Landeshauptstadt zu schließen - und betroffene Frauen besser zu informieren.

Eine Öffentlichkeitskampagne soll helfen, damit Opfer von sexueller Gewalt oder ihre Bezugspersonen genau wissen, wohin sie sich wenden können und wo medizinische Soforthilfe in München gewährleistet ist. Mit Flyern, Postkarten und Plakaten soll darauf aufmerksam gemacht werden. "Wir wollen, dass die Stadtgesellschaft davon erfährt", sagt Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek (SPD). Am Montag wurde das Projekt "Akutversorgung nach Vergewaltigung" im Rathaus vorgestellt.

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Die Zahlen sind erschreckend. Jede siebte Frau erfährt laut einer Studie in Deutschland strafrechtlich relevante sexualisierte Gewalt. 300 Vergewaltigungen werden laut Zurek in München im Jahr erfasst. Die Dunkelziffer ist hoch. Nicht jede Frau spricht über diese schlimme Erfahrung, nicht jede bringt eine Vergewaltigung zur Anzeige. Denn zwei Drittel der Täter kommen aus dem häuslichen Umfeld.

"2022 meldeten sich über alle Gewalterfahrungen hinweg 50 Prozent der Frauen erst innerhalb eines halben Jahres bei uns", sagt die Geschäftsführerin des Frauennotrufs, Maike Bublitz. Rund 300 Betroffene wenden sich pro Jahr an die Beratungsstelle. Dort hilft ein Team, hört zu, unterstützt dabei, die Folgen der Vergewaltigung zu verarbeiten, sucht nach Lösungen, wie es weitergehen könnte. Alles ist vertraulich, und wenn es die Frau möchte, auch anonym.

Glaubt mir jemand? Viele Frauen, die vergewaltigt worden sind, wollen nicht darüber reden - oder erst Monate nach der Tat. (Foto: Bureau Birgit Mayer)

Eine Vergewaltigung sei so schambehaftet, sagt Bublitz, die Hürde, darüber zu reden, so groß. Sehr oft hätten die Frauen auch das Gefühl, mitschuldig zu sein. Und sie appelliert an alle, denen sich vergewaltigte Frauen anvertrauen: "Glaubt ihnen, wenn sie so etwas sagen."

Frauennotruf und Gleichstellungsstelle haben immer wieder auf Versorgungslücken in der medizinischen Akutversorgung hingewiesen. Im Jahr 2019 folgten Anträge von SPD und Grünen im Stadtrat, das Thema aufzugreifen. 2020 wurde das Gesundheitsreferat beauftragt, ein Konzept zur Akutversorgung nach einer Vergewaltigung vorzulegen. In einer Arbeitsgruppe mit Vertretern von Kliniken und Rechtsmedizin sowie dem Frauennotruf wurde zum Beispiel ein standardisierter Dokumentationsbogen für die Kliniken erarbeitet, der genau festlegt, was alles bei einer Akutversorgung abgefragt werden muss. Und wie. Das helfe den Ärzten in den Kliniken im Umgang mit der Situation, sagt Zurek.

"Ich möchte bitte dringend eine Fachärztin sprechen": Dieser Satz signalisiert zum Beispiel in der Notaufnahme der München Klinik Harlaching, dass die Frau dringend vertrauliche Hilfe braucht. (Foto: Bureau Birgit Mayer)

Kliniken und Beratungsstellen arbeiten jetzt verstärkt zusammen und tauschen sich aus. Auch seien laut Zurek Ärzte und medizinisches Personal der sieben Kliniken geschult worden, um Sicherheit im Umgang zu gewinnen, wenn eine Frau wegen einer Vergewaltigung Hilfe in der Notaufnahme sucht. "Ich möchte bitte dringend eine Fachärztin sprechen." Dieser Satz ist zum Beispiel im Notfallzentrum der München Klinik Harlaching ein Code. Jede Frau, die ihn sagt, wird sofort vertraulich medizinisch versorgt. "Abweisungen dürfen nicht mehr passieren", sagt Geschäftsführerin Bublitz. "Sonst kommen die Frauen nicht mehr wieder."

Das eine ist die medizinische Akutversorgung, das andere eine vertrauliche Spurensicherung, die wichtig ist, um den Täter später ausfindig machen zu können und eine Anzeige zu unterstützen. Das Gesundheitsreferat finanziert daher Spurensicherungs-Kits und beliefert die Kliniken damit. So können "gerichtsfeste" Befunde gemacht werden, wie Bublitz sagt. Und die Frauen müssten nach einer Vergewaltigung nicht zusätzlich noch in die Rechtsmedizin. Auch könnten sie sich Zeit lassen, in Ruhe überlegen, ob sie eine Anzeige erstatten wollen oder nicht. Die Spuren werden sechs Monate gesichert.

Dass die Frauen den Mut aufbringen, die Spuren innerhalb von 72 Stunden sichern zu lassen - dafür will die Kampagne besonders werben. "Es ist so wichtig", sagt Zurek. "denn sonst läuft trotz einer Anzeige vielleicht hinterher alles ins Leere, weil keine Befunde da sind". In den sieben Kliniken sei man jetzt geschult, Erstversorgung und Spurensicherung nach einheitlichen Vorgaben und im Vertrauen durchzuführen. Damit hoffen Zurek und Bublitz, aus der hohen Dunkelziffer herauszukommen.

Auf dem Flyer sind die sieben Kliniken als Anlaufstelle angegeben: die München Kliniken Harlaching, Neuperlach und Schwabing, die LMU-Kliniken in der Innenstadt und in Großhadern, das TU-Klinikum rechts der Isar und das Klinikum Dritter Orden. Auch Informationen finden sich darin, wie sich Frauen nach sexualisierter Gewalt verhalten können. Je offener in der Gesellschaft mit dem Thema Vergewaltigung umgegangen werde, darin sind sich Zurek und Bublitz einig, umso mehr sei eine Vergewaltigung kein Tabuthema mehr, sondern immer ein medizinischer und seelischer Notfall.

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