Die bayerische Staatsregierung sieht nach der Lockerung der 10-H-Abstandsregel einen Schub für neue Windkraftanlagen. Unter anderem sollen im Frankenwald und im Chemiedreieck in Südostbayern zwei neue große Windparks entstehen, wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Dienstag nach einer Sitzung des Kabinetts sagte. In ganz Bayern seien nun bis zu 340 Anlagen in Planung, angefragt oder teils kurz vor der Genehmigung: "Es weht tatsächlich ein frischer Wind für den Wind."
Die "Heimatenergien" seien insgesamt "voll in der Umsetzung", sagte Söder als Bilanz für das Jahr 2022. Bei der Photovoltaik soll Bayern zum "Sonnenland Nummer eins" werden, auch europaweit. Der beschleunigte Ausbau aller erneuerbaren Energien sei "zentrale Stellschraube" zur Energieversorgung, aber auch um "die ambitionierten bayerischen Klimaschutzziele zu erreichen", hieß es im Kabinettsbericht. Ein Hinweis nicht ohne Grund: Am Nachmittag stand im Landtag die Verabschiedung des reformierten Klimaschutzgesetzes auf der Tagesordnung - das nicht unumstritten ist. Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann tadelte es als "unverbindlich, ambitionslos und verantwortungslos".
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Es ist der Abschluss eines Jahres, in dem die Energiepolitik auch landespolitisch so großen Raum einnahm wie selten zuvor - wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine und dem Wegfall von russischem Gas. Zwischen der Ampel-Koalition in Berlin und der Staatsregierung gab es harsche Differenzen - etwa um die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vom Sommer, wonach jedes Bundesland eine verbindliche Windrad-Quote zugewiesen bekommt. Am Dienstag erneuerte Söder auch seine Kritik an der Ampel, die drei verbliebenen Atomkraftwerke nur bis Mitte April nächsten Jahres laufen zu lassen. Ihm sei "völlig schleierhaft", wieso sich der Bund weigere, die Realität anzuerkennen.
Die Staatsregierung entschied sich dieses Jahr zu einer Reform der 10-H-Regel, wonach ein Windrad mindestens das Zehnfache seiner Höhe vom nächsten Wohnort entfernt sein muss. Jahrelang wollte die CSU nicht daran rütteln. Zwar gilt 10 H auch in Zukunft; aber jetzt muss in bestimmten Windenergiegebieten nur noch ein Mindestabstand von 1000 Metern zum nächsten Wohnort eingehalten werden. Auch etwa entlang von Autobahnen, mehrstreifigen Bundesstraßen und Haupteisenbahnstrecken, in Wäldern oder im Umkreis von Gewerbegebieten reichen 1000 Meter. Söder hatte mehrmals betont, ohne die Maßgaben drohe vielerorts ein "Spargelschock" und "Unfrieden auf den Dörfern". Zuletzt inszenierte er sich zunehmend als Windkraft-Fan, wie bei der Inbetriebnahme eines Windrads in Niederbayern.
Ein Windpark im Frankenwald? "Das wäre das größte Onshore-Windprojekt in Deutschland"
Das Großprojekt Interkommunaler Windpark Rennsteig/Energiepark Frankenwald soll die dortige Glasindustrie ortsnah direkt mit Windstrom aus 15 Anlagen versorgen. Eine Bürgerbefragung habe hier 85 Prozent Zustimmung ergeben. Der Windpark in Südostbayern soll die auf verlässliche Energie angewiesene Chemieindustrie mit 30 bis 40 Anlagen stärken, "das wäre das größte Onshore-Windprojekt in Deutschland". Ein Investor ist aber noch nicht verbindlich gefunden, wie Söder auf Nachfrage sagte. Auch der genaue Zeitplan steht offenbar noch nicht fest. Ziel der Staatsregierung ist ein Zubau von mindestens 800 bis 1000 Windenergieanlagen in den nächsten Jahren.
Im Staatswald gehe die Regierung mit gutem Beispiel voran, hieß es. Derzeit sind demnach dort bereits 101 Windenergieanlagen in Betrieb. Ziel ist es, zeitnah mindestens 100 weitere auf den Weg zu bringen. Aktuell seien bereits für weitere 70 Anlagen Standortsicherungsverträge abgeschlossen worden. Wie die Bayerischen Staatsforsten darüber hinaus auf Anfrage der SZ mitteilten, ist allerdings zuletzt im Jahr 2018 eine Windenergieanlage im Staatsforst neu in Betrieb gegangen. In den Jahren 2021 und 2022 wurden im Staatswald keine neuen Windenergieanlagen genehmigt oder in Betrieb genommen - es tat sich also lange nichts.
Seit Söders Regierungserklärung im Sommer 2021, mit der ersten Ankündigung zur 10-H-Reform, sehe man aber "eine sprunghaft gestiegene Nachfrage von Kommunen und Projektierern nach Standorten im Staatswald". Eine genaue Zahl der Anfragen von Investoren im Jahr 2022 ist nicht mitteilbar, da viele Anfragen im ersten Schritt bei den Forstbetrieben eingehen und auf örtlicher Ebene diskutiert werden. Insgesamt beläuft sich den Staatsforsten zufolge die Zahl der Anfragen von Investoren und Interessenten im Jahr 2022 auf mehrere Dutzend.
Die Entscheidung zur 10-H-Reform war in Söders Augen ein "Startsignal für Investoren", sagte er am Dienstag. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) sagte, mit der Änderung etwa für Wälder und Autobahnen habe man "nicht irgendetwas blind" veranlasst, sondern genau dort, wo es weniger weh tue und der Nutzen möglichst groß sei. Das Konzept sei "in sich schlüssig und zu Ende gedacht". Gleichwohl erwähnt der Kabinettsbericht die "schlechteren Windbedingungen" als "eines der Haupthindernisse beim Ausbau der Windenergie in Süddeutschland im Vergleich zu anderen Standorten". Daher seien Windenergieprojekte in Bayern oft nicht wirtschaftlich umsetzbar.
Bei der Sonnenkraft sei die Dynamik des Ausbaus "ungebrochen", allein von Januar bis September 2022 habe es einen Zuwachs von knapp neun Prozent bei Photovoltaikanlagen gegeben. Mit Modellprojekten etwa der Staatsgüter gehe der Freistaat voran. Für die Erschließung offener Potenziale auf geeigneten staatlichen Dächern will die Staatsregierung den betroffenen Ressorts 125 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Eine wichtige Rolle bei den Heimatenergien spielten zudem Wasserkraft und Biomasse.
Laut der Novelle zum Klimaschutzgesetz, das am Dienstag in zweiter Lesung im Landtag beschlossen wurde, soll Bayern bis zum Jahr 2040 klimaneutral sein - und damit fünf Jahre vor dem Bund und zehn Jahre vor der EU. Konkret geht es um gut 150 Einzelmaßnahmen unter anderem aus Energie und Verkehr, aber auch Natur und Umwelt. Florian von Brunn (SPD) sprach in der Debatte von "Söders Klima-Bummelkoalition". Die Regierung setze zum Erreichen der Ziele wohl auf "Voodoo, jedenfalls nicht auf konkrete Maßnahmen". Umweltminister Thorsten Glauber (FW) sagte dagegen, Bayern sei "stark und gut" beim Klimaschutz, man werde die erneuerbaren Energien "voranbringen in einem Maß wie kein anderes Bundesland".