Für den kleinen Ort Weidenbach im Landkreis Mühldorf hat der regionale CSU-Bundestagsabgeordnete und damalige Innenstaatssekretär Stephan Mayer im vergangenen Sommer "eine sehr gute Lösung" verkündet. Denn der jetzige Bahnübergang in Weidenbach verträgt sich schlecht mit Schnellzügen, wie sie nach den bisherigen Plänen von Bund und Deutscher Bahn von 2030 an mit bis zu 200 Stundenkilometern auf der dann durchgängig zweigleisig ausgebauten und elektrifizierten Bahnstrecke zwischen München, Mühldorf und Salzburg unterwegs sein sollten. Den Übergang aufzulassen und die Autos eine knapp zwei Kilometer lange Schleife über die nächste Brücke fahren zu lassen, wäre laut Mayer "ein Schildbürgerstreich gewesen". Also hat Mayers Parteifreund und damaliger Kabinettskollege Andreas Scheuer eines seiner letzten Machtworte als Bundesverkehrsminister gesprochen und der Bahn für Weidenbach gegen eine kommunale Zuzahlung von einer halben Million Euro den Bau einer Eisenbahnbrücke aufgetragen. Jetzt hat der Konzernbeauftragte der DB für Bayern, Klaus-Dieter Josel, dafür die Rechnung gestellt: Allein acht Millionen Euro wird diese Brücke kosten und im Zusammenspiel mit einem neuen Bundesgesetz den in ganz Südostbayern dringend herbeigesehnten Ausbau um etliche Jahre verzögern und damit wohl weiter verteuern.
Geplant haben diesen zweigleisigen Ausbau schon die Königlich Bayerischen Staats-Eisenbahnen, und das schon seit sie die eingleisige Strecke von München Richtung Mühldorf 1871 in Betrieb genommen haben. Für Bund und Bahn hat das heute leicht vereinfacht ausgedrückt den Vorteil, dass sich der 150 Kilometer lange Grundstreifen für das zweite Gleis schon seit mehr als 150 Jahren in öffentlichem Eigentum befindet. In der Region warten die Menschen gleichwohl seit Generationen auf den Ausbau, der immer wieder diskutiert wurde und bisher stets wieder in der Schublade verschwand. Die Wirtschaft im bayerischen Chemiedreieck drängt ebenso lange auf eine bessere Bahn-Anbindung. Immerhin gehört die eingleisige Trasse, über die oft immer noch alte Triebwagen dieseln, zur europäischen Eisenbahn-Magistrale zwischen Paris und Budapest. Dereinst soll sie neben schweren Güterzügen und täglich Tausenden Pendlern auch einen Großteil des schnellen Zugverkehrs zwischen München und Salzburg aufnehmen.
Konkret geplant wird seit 2013, mit geschätzten Gesamtkosten von 3,2 Milliarden Euro ist das Vorhaben gerade eines der größeren und wichtigeren in Deutschland. Und wäre es nach der Bahn gegangen, dann hätte sie nun in Weidenbach nicht "wieder bei null anfangen" müssen, wie ein Sprecher sagt. In Berlin hatten die Emissäre der Bahn im vergangenen Jahr außerdem nicht verhindern können, dass das Bundesverkehrsministerium ausgerechnet dieses Projekt als eines jener Vorhaben benennt, die es mit dem 2020 in Kraft getretenen "Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz" fortführen will. Dieses Gesetz soll Großprojekte beschleunigen, indem sie vom Bundestag direkt beschlossen werden. Im Vergleich zu einer behördlichen Genehmigung wie bisher haben Kritiker dann weniger Klagemöglichkeiten. Allerdings rechnet man bei der Bahn damit, dass der Ausbau der Mühldorfer Bahnstrecke als eines der ersten entsprechenden Projekte mitsamt dem ganzen Gesetz vor dem Verfassungsgericht landen wird. Doch auch so werde die neue Vorgehensweise das Projekt um mehrere Jahre verzögern, weil nötige Schritte zur Umweltprüfung nicht mehr gleichzeitig, sondern nacheinander erarbeitet werden müssten.
Streitpunkte sind fast immer Bahnübergänge
Dass das alles jetzt länger dauern soll, stößt wiederum auf Kritik im regionalen Projektbeirat - unter anderem bei Stephan Mayer, der inzwischen nicht mehr Staatssekretär im Bundeskabinett, sondern CSU-Generalsekretär ist. Eine Lösung, wie sie Mayer, Scheuer und Kommunalpolitiker wie der Mühldorfer CSU-Landrat Max Heimerl für Weidenbach durchgesetzt haben, wäre allerdings auch anderen Städten und Gemeinden entlang der Strecke recht. Denn Streitpunkte zwischen Kommunen und Bahn sind fast immer Bahnübergänge sowie Über- und Unterführungen.
23 Bahnübergänge gibt es laut DB bisher noch auf der Strecke, dazu kommen 166 "Brückenbauwerke". Das sind beileibe nicht immer richtige Eisenbahnbrücken wie die bei Garching über die Alz und über den Brunnthaler Graben aus dem Jahr 1907. Beide stehen unter Denkmalschutz, weshalb die Planer für das zweite Gleis jeweils eine schlanke Brücke daneben stellen wollen, die zumindest von einer Seite aus kaum zu sehen sein soll. Die meisten der Brückenbauwerke sind schlicht Eisenbahn- oder Straßenüberführungen. Wenn eine Kommune ihre Unterführung im Zug des Bahnausbaus auf den neusten Stand der Vorschriften bringen muss oder gar Sonderwünsche hat, so muss sie dafür einen großen Teil der Kosten selbst aufbringen.
Deswegen fordert etwa der Stadtrat von Tittmoning im Landkreis Traunstein per Resolution, vom Bund da nicht alleine gelassen zu werden. Der DB wirft die Stadt "fehlende Transparenz, Fehlinformationen und fehlende Bereitschaft zur Zusammenarbeit" vor. Das Informieren der Bürger wälze die Bahn auf die Kommune ab. Die Bahn weist all dies zurück, es gebe immer wieder Informationsveranstaltungen, in der Pandemie zuletzt vor allem virtuelle. Im Grundsatz befürwortet aber auch der Stadtrat in Tittmoning "den für unsere Region seit Jahrzehnten dringend notwendigen zweigleisigen, elektrifizierten Ausbau". Der soll laut DB 120 Millionen Pkw-Kilometer, 20 Millionen Lkw-Kilometer und 23 000 Tonnen CO₂ einsparen - pro Jahr und nun um Jahre später.