Krieg in der Ukraine:Nato erwägt 100-Milliarden-Euro-Paket für die Ukraine

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Die 32 Mitgliedstaaten der Nato sollen nach dem Willen von Generalsekretär Jens Stoltenberg 100 Milliarden Euro für Waffen für die Ukraine bereitstellen. (Foto: Virginia Mayo/dpa)

Das Militärbündnis soll laut Generalsekretär Jens Stoltenberg künftig eine bedeutendere Rolle bei der Unterstützung Kiews spielen - auch um die Waffenhilfen im Falle einer Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus abzusichern.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Der noch amtierende Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg will die Rolle der Allianz bei der Unterstützung der Ukraine vergrößern. Zu Beginn des Treffens der Außenministerinnen und -minister des Bündnisses an diesem Mittwoch in Brüssel schlug der Norweger vor, die Nato-Staaten sollten gemeinsam 100 Milliarden Euro bereitstellen, um in den kommenden fünf Jahren Waffen für die ukrainische Armee zu beschaffen.

Bisher beliefert die Nato als Organisation die Ukraine nur mit sogenannten nicht letalen Gütern, also nicht mit tödlich wirkenden Waffensystemen oder Munition, sondern nur mit anderweitiger Ausrüstung wie etwa Sanitätsmaterial. Die direkte militärische Unterstützung läuft entweder bilateral zwischen einzelnen Ländern und der Ukraine oder - im Fall Europas - über die EU, die ihren Mitgliedsstaaten einen Teil der Kosten erstattet und in Zukunft noch stärker bei der Rüstungsbeschaffung involviert sein will. Koordiniert wird die Militärhilfe für Kiew über eine Staatenkoalition, die nach dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz benannt ist und von den USA geleitet wird, die aber organisatorisch von der Nato getrennt ist.

Diese Konstruktion wurde zu Beginn des russischen Angriffskriegs gewählt, um der falschen Behauptung des Moskauer Diktators Wladimir Putin keine Nahrung zu geben, sein Land müsse sich in der Ukraine gegen einen Angriff der Nato wehren. Angesichts des drohenden Regierungswechsels in Washington, wo nach der Präsidentenwahl im November der isolationistische Putin-Bewunderer Donald Trump den überzeugten Transatlantiker Joe Biden ablösen könnte, gibt es in der Nato allerdings ein Umdenken. Wichtiger scheint nun zu sein, die Unterstützung für die Ukraine gegen Trumps Rückkehr ins Weiße Haus abzusichern. Dieser hat bereits angekündigt, er werde im Falle eines Wahlsiegs der Ukraine "keinen Cent" an Hilfe mehr zukommen lassen. Zudem haben seine Verbündeten im US-Kongress in den vergangenen Monaten ein dringend benötigtes Hilfspaket im Wert von 60 Milliarden Dollar für die Ukraine aufgehalten.

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Stoltenbergs 100-Milliarden-Euro-Paket könnte dabei helfen, die Unterstützung der Ukraine weniger abhängig von der jeweiligen US-Regierung zu machen und mittelfristig zu sichern - zumal, wenn die Nato zugleich von der Ramstein-Gruppe einige Koordinierungsaufgaben übernimmt, wie es in Brüssel ebenfalls diskutiert wird. Für die Ukraine gäbe es dann einen vereinbarten und gefüllten Nato-Topf, aus dem über einige Jahre hinweg Mittel in die Waffenbeschaffung fließen könnten, was Kiew eine gewisse Planungssicherheit gäbe. "Wir müssen der Ukraine auf lange Sicht zuverlässige und vorhersehbare Sicherheitshilfe gewährleisten", sagte Stoltenberg am Mittwoch.

Allerdings betonen Diplomaten, dass die Nato-Länder noch ganz am Anfang der Debatte über diese neue Rolle der Allianz im Ukrainekrieg stehen. Ein endgültiger Beschluss wird erst beim Nato-Gipfeltreffen in Washington Anfang Juli erwartet, wenn die Allianz offiziell ihre Gründung vor 75 Jahren - am 4. April 1949 - feiert. Da Diplomaten nicht damit rechnen, dass die Ukraine dort ihren dringendsten Wunsch erfüllt bekommen wird - eine zeitlich planbare Einladung zum Beitritt -, wäre ein Unterstützungspaket von 100 Milliarden Euro für alle Beteiligten ein willkommener Trostpreis.

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Bis dahin müssen aber noch viele Fragen geklärt werden. So ist offen, ob tatsächlich 100 Milliarden Euro zusammenkommen, zu welchen Anteilen sie gegebenenfalls auf die 32 Nato-Mitgliedsländer verteilt werden sollen und ob es möglich sein soll, bilateral geleistete Hilfen damit zu verrechnen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte in Brüssel, die Ukraine brauche "Verlässlichkeit" bei der Finanzierung der Hilfe, es sei aber nicht hilfreich, jetzt schon mit Beträgen zu "jonglieren". Ebenso ist unklar, ob es in der Allianz überhaupt die notwendige Einstimmigkeit für Waffenlieferungen an die Ukraine gibt - kritische Länder wie Ungarn oder die Slowakei könnten sich querstellen.

Beim Nato-Gipfel in Washington soll auch der Nachfolger Stoltenbergs offiziell vorgestellt werden, der das Amt des Generalsekretärs im Oktober übernehmen soll. Die größten und politisch gewichtigsten Mitgliedsländer, darunter die USA, haben sich bereits für den scheidenden niederländischen Premier Mark Rutte ausgesprochen. Im Osten Europas gibt es zwar aus verschiedenen Gründen Widerstand gegen diese Personalie. Dass sich die estnische Regierungschefin Kaja Kallas, die ebenfalls mit einer Kandidatur für den Posten geliebäugelt hatte, in dieser Woche hinter Rutte gestellt hat, wird aber als eine Art Vorentscheidung für den Niederländer gesehen.

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