Gipfel der Parteichefs von CDU, CSU und FDP:Baustellen der Koalition

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Die Regierung muss so viele Baustellen bearbeiten, dass ein Koalitionsgipfel dafür gar nicht ausreicht. Der Fiskalpakt und die Energiewende stehen beim Treffen von Merkel, Seehofer und Rösler zwar auf dem Programm - aber wie geht es weiter mit dem Betreuungsgeld, der Vorratsdatenspeicherung und dem Mindestlohn? Ein Überblick über die Problemfelder von Schwarz-Gelb.

Hannah Beitzer

Ein Sechs-Augen-Gespräch soll die Koalition wieder auf Kurs bringen. Angela Merkel, Horst Seehofer und Philipp Rösler treffen sich am heutigen Montag zu einem Koalitionsgipfel, nachdem ihre Parteien zuletzt vor allem über die Presse miteinander kommuniziert haben. Das Klima zwischen den Koalitionspartnern CDU, CSU und FDP ist belastet, FDP-Generalsekretär Patrick Döring kann sich noch kurz vor dem Treffen einen Seitenhieb gegen die Union nicht verkneifen. Baustellen gibt es viele. Wo anfangen? Süddeutsche.de gibt einen Überblick.

Wie kann die Energiewende gelingen? (Foto: dpa)

Energiewende

[] Wo liegt das Problem? Die derzeit größte Baustelle von Schwarz-Gelb ist die Energiewende - um dieses Thema werden die Parteichefs beim Koalitionsgipfel nicht herumkommen. Vor etwas mehr als einem Jahr legte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Atomkatastrophe von Fukushima II eine ihrer berüchtigten Kehrtwenden hin: Deutschland solle aus der Atomenergie aussteigen. Wenige Monate später gingen acht Reaktoren vom Netz. Doch damit fingen die Probleme erst an. Nach dem Willen der Regierung soll die Energiewende vor allem mit Hilfe von Windkraftanlagen im Meer gemeistert werden - doch diese Anlagen sind teuer, die Investoren halten sich zurück. Auch der Ausbau der Stromnetze stockt, so dass es im Winter zuweilen schwierig war, Strom von den Windkraftanlagen im Norden in den Süden zu transportieren.

In einem anderen Bereich war das Wachstum hingegen zu rasant: Dank enormer staatlicher Förderung schossen im ganzen Land Solaranlagen aus dem Boden und brachten die Netze an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Regierung entschied sich nach langen internen Diskussionen für eine Kürzung der Förderung - doch der Bundesrat blockierte die Änderung.

[] Wer gegen wen? Zunächst waren es naturgemäß die Stromkonzerne, die gegen Merkels Pläne trommelten, sachte unterstützt von der FDP. Ihr Widerstand blieb jedoch folgenlos. Die eigentlichen Schwierigkeiten begannen erst, als die ersten acht Meiler bereits abgeschaltet waren. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) setzte sich vehement für eine Kürzung der Solarförderung ein, Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hielt dagegen. Über Wochen zog sich der Streit zwischen den beiden hin, bis endlich ein Kompromiss gefunden war.

Je nach Anlage sollten die Zuschüsse um 20 bis 40 Prozent gekürzt werden - und das möglichst bald, damit nicht noch die Möglichkeit besteht, schnell zu den günstigen Konditionen eine Anlage zu erwerben. Doch hier machte der Bundesrat nicht mit.

Dass die von der Opposition geführten Länder dagegen waren, verwundert wenig. Doch der Todesstoß für das Vorhaben kam von den unionsgeführten Ländern im Osten. Hier sind besonders viele Solarfirmen ansässig, deswegen stimmten Röttgens Parteifreunde gegen die Kürzungspläne ihres Umweltministers. Für den kam dann auch noch die blamable Niederlage in NRW dazu - und der Rest ist Geschichte: Norbert Röttgen muss gehen, der bisherige parlamentarische Geschäftsführer der Union, Peter Altmaier, übernimmt sein Amt.

Der CDU-Mann aus dem Saarland will zunächst einmal mit allen Akteuren ausführliche Gespräche führen: mit den Ländern, der Wirtschaft und Umweltverbänden. Gerade arbeitet der neue Umweltminister an einem Zehn-Punkte-Plan, der Ordnung in das ganze Wirrwarr aus Energiewende, Klimaschutz und Atommüll-Problemen bringen soll.

Fiskalpakt

[] Das Problem: Bald steht auch die Abstimmung über den europäischen Fiskalpakt und den Rettungsschirm ESM im Bundestag an. Der Fiskalpakt soll die Länder der EU zu mehr Haushaltsdisziplin zwingen - bei Merkels Gegnern ist er als "deutsches Spardiktat" verpönt. Bei der Umsetzung in nationales Recht muss die Kanzlerin außerdem auf SPD und Grüne zugehen, denn dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag nötig. Viel Zeit hat die Regierung nicht mehr: Der ESM soll schon am 1. Juli in Kraft treten. Kein Wunder also, dass die Parteichefs auch über den Fiskalpakt bei ihrem Koalitionsgipfel beraten werden.

[] Wer gegen wen? International machte der Kanzlerin in den vergangenen Wochen vor allem der neue französische Präsident François Hollande Schwierigkeiten, der im Wahlkampf auf eine Erweiterung des Fiskalpakts um Wachstumsprogramme pochte. Merkel signalisierte zunächst deutlich, dass der Fiskalpakt auf keinen Fall verhandelbar sei - um dann doch Kompromissbereitschaft zu zeigen. Wachstum sei ihr schließlich auch wichtig. Nur dürfe dafür kein neues Geld ausgegeben werden.

Die Opposition in Deutschland hat ihr auch schon signalisiert, dass sie Bedingungen stellen will - sie fordert wie Hollande mehr Wachstumsförderung und die Finanztransaktionssteuer. Merkel und ihr CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble wollen eine solche Steuer am liebsten in allen 27 EU-Staaten, notfalls aber auch nur in den 17 Euro-Ländern. Die FDP steuert allerdings gegen. Eine Finanztransaktionssteuer müsse für alle EU-Staaten gelten, fordert sie. Kurz vor dem Koalitionsgipfel machte Kanzlerin Merkel nun deutlich, dass sie offen für eine Einführung der Finanztransaktionssteuer sei - gemeinsam "mit einigen ähnlich gestimmten Ländern".

Betreuungsgeld

[] Das Problem: Das Betreuungsgeld ist eine der größten Baustellen der Regierung - seltsam also, dass CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hier keinen Gesprächsbedarf mehr sieht. Tatsächlich lässt der Koalitionsvertrag Schwarz-Gelb eigentlich keinen Spielraum: CDU, CSU und FDP haben sich darauf geeinigt, dass Eltern, die ihr Kind nicht in einer staatlich geförderten Kindertagesstätte betreuen lassen, von 2013 an 150 Euro pro Monat erhalten sollen.

Doch das Vorhaben blieb gesellschaftlich umstritten und wuchs sich rasch zu einem Grundsatzstreit aus. Zur Erinnerung: Ebenfalls im kommenden Jahr sollen Eltern einjähriger Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz haben. Doch der Ausbau der Kitas geht nur schleppend voran - Medienberichten zufolge fehlen bundesweit noch bis zu 260.000 Krippenplätze. Kritiker des Betreuungsgeldes plädieren deswegen dafür, zunächst die Betreuungssituation zu verbessern, anstatt Milliarden für das Betreuungsgeld auszugeben.

Aber noch ganz andere Probleme treiben die Gegner der sogenannten "Herdprämie" um: Schafft eine solche Leistung nicht gerade für sozial schwache Familien Anreize, den Nachwuchs nicht in die Krippe zu geben - obwohl gerade Kinder aus bildungsfernen Familien Frühförderung benötigen? Wie lässt sich das Betreuungsgeld mit dem Ziel vereinbaren, Müttern den schnellen Wiedereinstieg in den Beruf schmackhaft zu machen, um zum Beispiel Altersarmut zu vermeiden? Und wer soll das alles bezahlen?

[] Wer gegen wen? Anfangs war es vor allem die FDP, die sich gegen das Betreuungsgeld sträubte. Die Partei ist bis heute kein großer Verfechter der Geldleistung, hat jedoch zugestimmt, weil die Union ihr im Gegenzug Steuererleichterungen zusagte. Viel schwerer wiegt, dass auch in der Union die Meinungen weit auseinandergehen.

Zunächst wagte sich die Gruppe der Unionsfrauen im Bundestag aus der Deckung. Die Frauen schlugen unter anderem vor, das Betreuungsgeld lieber in Gutscheine für spätere Rentenzahlungen umzuwandeln. Sehr zum Missfallen der CSU, allen voran der Sozialministerin Christine Haderthauer, die als Schöpferin des Betreuungsgeldes gilt. Die bayerische Partei sieht das Betreuungsgeld als Geschenk an ihre konservative Stammwählerschaft. Und schließlich provozierten auch noch 23 Abgeordnete der CDU mit einem Brief, in dem sie ankündigten, im Bundestag gegen das Gesetz stimmen zu wollen.

Kein Wunder, dass Familienministerin Kristina Schröder (CDU) nicht gerade besonders enthusiastisch wirkt in dem Bemühen, ein Gesetz vorzulegen. Das wiederum brachte Horst Seehofer auf die Palme, der sogar damit drohte, Koalitionstreffen fernzubleiben, wenn nicht bald ein Gesetzesentwurf auf dem Tisch liege.

Und dann legte auch noch Verkehrsminister Ramsauer (CSU) einen sogenannten Leitungsvorbehalt gegen das Gesetz ein - aus Angst, auf sein Ministerium könnten Mehrkosten zukommen. Seehofer schäumte abermals.

Kristina Schröder hat versucht, die Gegner der Leistung mit einem Zehn-Punkte-Plan zur Beschleunigung des Kita-Ausbaus befrieden. Viel Zeit bleibt ihr nicht mehr, die Kritiker zu überzeugen. Bereits am 6. Juni soll das Kabinett das Betreuungsgeld beschließen, Ende Juni steht die Abstimmung im Bundestag an.

Vorratsdatenspeicherung

[] Das Problem: Befehl von ganz oben. Eine EU-Richtlinie fordert, dass Deutschland Telekommunikationsdaten grundsätzlich sechs Monate speichern soll. Die Frist für die Umsetzung ist eigentlich Ende April abgelaufen, doch es gibt große Bedenken: Ist es wirklich gerechtfertigt, derart persönliche Daten ohne konkreten Verdacht zu speichern? Was wiegt schwerer - Bürgerrechte oder innere Sicherheit?

Der FDP, die sich gerade auf ihre Wurzeln besinnt, geht die EU-Richtlinie zu weit. Anders sehen es viele Innenpolitiker der Union, die auf den Druck aus Brüssel verweisen. Deutschland droht nun eine Klage. Allerdings hat die EU-Kommission schon angekündigt, auf rückwirkende Strafzahlungen zu verzichten, was Deutschland zumindest ein bisschen Zeit verschafft.

[] Wer gegen wen? Hier ringt die Union mit der FDP. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) beharrt darauf, die EU-Vorgaben ohne Abstriche umzusetzen, während die liberale Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nur bei konkretem Verdacht speichern lassen will. Offiziell heißt es, das Thema werde zwischen den beiden beteiligten Ministerien "intensiv besprochen". Inzwischen steht aber fest, dass es in dieser Legislaturperiode keine Lösung mehr geben wird. Denn Brüssel hat zwar in dem Fall Klage erhoben - verzichtet jedoch auf nachträgliche Strafzahlungen, was Deutschland eine Galgenfrist verschafft. Vielleicht haben es Merkel, Seehofer und Rösler deswegen nicht eilig, den Konflikt anzupacken.

Mindestlohn

[] Das Problem: Ein sozialer Anstrich könnte der Union nicht schaden, mag sich Merkel gedacht haben, als sie kurz vor der NRW-Wahl einen Mindestlohn ins Gespräch brachte. Mit dem von SPD, Grünen und Gewerkschaften favorisierten flächendeckenden Modell hat der Vorschlag der Kanzlerin nur wenig zu tun: Sie will eine Kommission aus Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern einrichten, die für Branchen, in denen es keine Tarifverträge gibt, Lohnuntergrenzen festlegen kann.

[] Wer gegen wen? Auch in der Union ist das Thema umstritten. Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fordert zum Beispiel einen tariflich vereinbarten flächendeckenden Mindestlohn noch vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Die FDP hingegen lehnt das ab und verweist auf den Koalitionsvertrag. Dort sei kein Mindestlohn vereinbart.

Kurz vor dem Koalitionsgipfel holzte FDP-Generalsekretär Patrick Döring noch einmal kräftig gegen die Union - und den Mindestlohn. Der Liberale stellte klar, dass mit der FDP die aus der Union geforderten Mindestlöhne und eine Frauenquote in Unternehmen nicht zu machen seien. "Wenn die Union eine Mindestlohn-Maut-Frauenquoten-Politik will, dann kann sie dafür werben: im Wahlkampf", sagte Döring. Opposition und Gewerkschaften hingegen kritisieren den Unionsvorschlag als "Placebo" - er könne einen flächendeckenden Mindestlohn nicht ersetzen.

Steuersenkungen

[] Das Problem: Vor allem für die FDP sind die Steuersenkungen essentiell, im Wahlkampf präsentierten sich die Liberalen als Partei des "Mehr Netto vom Brutto". Heraus kamen zunächst die umstrittenen Vergünstigungen für Hoteliers - und dann lange nichts. Kein Wunder, in Krisenzeiten sind derartige Pläne nicht gerade leicht vermittelbar.

Als die Umfragewerte der FDP langsam gegen null tendierten, rang Parteichef Rösler seiner Chefin Merkel doch noch einige Vergünstigungen ab. Doch im Bundesrat scheiterten die schwarz-gelben Steuersenkungspläne. Rot-Grün stoppte die von 2013 an angestrebte Entlastung um jährlich bis zu 6,1 Milliarden Euro. Nun stehen langwierige Verhandlungen im Vermittlungssausschuss an.

[] Wer gegen wen? Die Opposition hat prinzipiell gegen Steuersenkungen nichts einzuwenden. Nur sollen im Gegenzug die Steuern für Reiche steigen. "Ohne Gegenfinanzierung wird die Landesregierung diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen", sagt zum Beispiel Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Auch die SPD möchte den Spitzensteuersatz erhöhen. Das kann die FDP hingegen nicht mittragen - eine Steuererhöhung bei ihrer Stammwählerschaft könnte ihr schweren Schaden zufügen. Es droht also abermals Stillstand.

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