Verteidigungspolitik:Pistorius will "kriegstüchtige" Bundeswehr

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Verteidigungsminister Boris Pistorius will die Bundeswehr straffer organisieren. In Norwegen besuchte er kürzlich die Nato-Übung Nordic Response 2024. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die ersten Vorschläge für eine Reform liegen vor. Dazu gehört eine neue Cyber-Streitkraft, auch die Rückkehr zur Wehrpflicht ist nicht mehr undenkbar. Das Sondervermögen ist aber schon bald aufgebraucht.

Von Georg Ismar, Berlin

Der Name umschreibt schon die Größe des Projekts: "Bundeswehr der Zukunft". Bereits zu seinem Dienstantritt Anfang 2023 hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die mitunter undurchsichtigen und ineffizienten Strukturen der Bundeswehr kritisiert. Bei der Bundeswehrtagung im Herbst hatte er daher eine Strukturreform angekündigt, nun liegen erste Vorschläge einer Projektgruppe für eine "Reorganisation der Streitkräfte und zivilen Anteile der Bundeswehr" vor - wissend um die Beharrungskräfte in Truppe und Ministerium. Die Strukturen sollen gestrafft und auf die neuen Herausforderungen ausgerichtet werden. Einiges ist noch offen, zum Beispiel die Frage, ob auch die Zahl der Generäle verringert werden soll, um klarere Entscheidungen zu ermöglichen.

Bis zum 1. April soll innerhalb der Leitungsebene über das der Süddeutschen Zeitung vorliegende 34-seitige Konzeptpapier entschieden werden. Gleich 17 Mal taucht der von Pistorius mit Blick auf Russland geprägte Begriff "kriegstüchtig" auf. "Sich kriegstüchtig für den Verteidigungsauftrag aufzustellen, setzt, neben gut vorbereitetem Personal, verfügbarem hochwertigem Material und einem Umdenken aller beteiligten Personen, auch strukturelle Veränderungen voraus", wird betont. Dazu soll neben Heer, Marine und Luftwaffe der Bereich Cyber/Informationsraum zur vierten Teilstreitkraft aufgewertet werden, allerdings "unter Beibehaltung aller bisherigen Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Regelungen". So soll die Bundeswehr besser auf Bedrohungen auch aus dem Weltall und durch hybride Angriffe reagieren können. Hier traten zuletzt immer wieder deutliche Schwachstellen zutage.

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Vorgeschlagen wird als Neuerung auch ein einheitliches operatives Führungskommando (OpFüKdoBw) - damit würde die bisherige Aufteilung in ein territoriales Führungskommando für das Inland und das Einsatzführungskommando für Auslandseinsätze aufgehoben. Alle Einsätze würden dann zentral gesteuert. Zudem soll für Einsätze die Logistik und Versorgung durch Sanitäter verbessert werden, auch hier offenbaren sich seit Jahren Mängel. Der bisherige Sanitätsdienst, die Streitkräftebasis, die Logistik sowie weitere Dienststellen sollen dann in einem sogenannten Unterstützungsbereich unter einem Kommando gebündelt werden.

In einer Begründung für die geplante Reform heißt es kurz und knapp: Die Zeitenwende erfordere "eine konsequente Ausrichtung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung und damit einhergehender Kriegstüchtigkeit". Allerdings zweifeln Experten, ob das Projekt ausreichen wird. So soll es beim Personal bei der geplanten Stärke von 203 000 Soldatinnen und Soldaten bis 2031 bleiben, derzeit gibt es rund 181 000. Das könnte einerseits angesichts der Bedrohungen ohnehin zu wenig sein, andererseits gelingt es derzeit kaum, neues Personal zu gewinnen. Die Zahlen waren zuletzt sogar rückläufig, und auch die Reserve ist für den Ernstfall zu klein. Pistorius lässt daher parallel Modelle wie in Schweden mit einer Musterung für alle jungen Frauen und Männer prüfen. Auf Basis dieser Daten zur körperlichen Fitness der jüngeren Jahrgänge könnte man gezielter als bisher um geeignete Bewerber für einen freiwilligen Wehrdienst werben.

Das nächste Problem: Das Sondervermögen wird schneller als gedacht aufgebraucht sein

Es könnte aber auch zu noch weitergehenden Maßnahmen kommen. Dem Konzept zufolge soll eine Koordinierungsstelle im Bereich Personal geschaffen werden "mit Strukturen zur Wiederaufnahme der verpflichtenden Einberufung zum Grundwehrdienst".

Die Projektgruppe zur Bundeswehrreform war im Dezember 2023 von Staatssekretär Nils Hilmer und dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, aufgestellt worden und wird von Generalmajor Andreas Hoppe, Ministerialdirektor Alexander Götz und Ministerialdirektor Jan Stöß geleitet. Lob kam für die Pläne auch von der Opposition: Die CDU-Verteidigungspolitikerin Serap Güler sagte der SZ, damit würden Ideen der CDU-Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer aufgenommen werden, diese seien damals wie heute sinnvoll. "Trotz allem Elan: Der Verteidigungsminister muss nun beweisen, dass die Strukturreform tatsächlich zu schlankeren, einsatzbereiten und kriegstüchtigen Streitkräften führt. Daran werden wir ihn messen", so Güler.

Nach Ostern will Pistorius final über die Vorschläge entscheiden. Er steht aber schon jetzt vor dem nächsten Problem: Das zentrale Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), von nun an würden jedes Jahr mindestens zwei Prozent der Wirtschaftskraft in den Bereich Verteidigung fließen, um das entsprechende Nato-Ziel zu erfüllen, wackelt bereits wieder. Wenn alles gut geht, wird dieses Ziel 2024 erstmals erreicht, aber für 2025 fehlen nach Schätzungen des Ministeriums zwischen 4,5 und sechs Milliarden Euro, weil das 100-Milliarden-Sondervermögen für Neuanschaffungen viel schneller als gedacht aufgebraucht und Ende 2024 weitgehend verplant sein könnte. Zudem soll für mehrere Milliarden Euro eine gesamte Brigade mit rund 5000 Soldaten zum Schutz der Nato-Ostflanke dauerhaft nach Litauen verlegt werden.

Die SPD lehnt die von der FDP vorgeschlagenen Einschnitte im Sozialbereich, etwa beim Bürgergeld, zur Gegenfinanzierung vehement ab. Es bestehe "ein erhebliches Delta", um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato auch 2025 zu erreichen, räumen mehrere Verteidigungs- und Haushaltspolitiker der Ampelkoalition im Gespräch mit der SZ ein. Kanzler Olaf Scholz, Verteidigungsminister Pistorius und Finanzminister Christian Lindner (FDP) stehen hier schwierige Debatten bevor. Nach den öffentlichen Ankündigungen und mit Blick auf die fragile Lage durch den russischen Krieg in der Ukraine dürfe man hier nicht wackeln, betonten Vertreter der Koalitionsparteien. Wo das Geld jedoch herkommen soll, das wissen sie aber bisher nicht.

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