Wirtschaftspolitik:Länder wollen Wachstumschancengesetz blockieren

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Dunkle Wolken über dem Wachstumschancengesetz: Die Bundesländer fürchten dadurch Steuerausfälle, weswegen sie etwa beim ÖPNV sparen müssten. (Foto: Jochen Tack/Imago)

Die Bundesregierung will die Wirtschaft ankurbeln. Doch mit ihrem Vorhaben stößt sie auf reichlich Gegenwind aus den Landeshauptstädten. Einzelne Ministerpräsidenten sehen gar eine Parallele zum Nachtleben.

Von Max Ferstl, Tim Frehler, Jan Heidtmann, Gianna Niewel, Jana Stegemann und Christian Wernicke, Berlin, Düsseldorf, Hamburg, München, Stuttgart, Wiesbaden

Die Ministerpräsidenten mehrerer Bundesländer kündigen an, dem Wachstumschancengesetz der Bundesregierung in seiner jetzigen Form im Bundesrat nicht zuzustimmen. Sie kritisieren die ungleiche Verteilung der Lasten zwischen Bund und Ländern und befürchten Steuerausfälle. Darunter allen voran Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte. Der SPD-Politiker hatte sich vergangene Woche als erster Landeschef gegen die Pläne der Ampel positioniert - und nun noch einmal nachgelegt. Sein Amtseid gebiete es, "drohenden Schaden von Bremen abzuwenden", sagte Bovenschulte der Zeitung Die Welt. Zustimmen werde er dem Gesetz im Bundesrat nur, wenn der Bund den größten Anteil der Kosten übernähme.

So klingt auch die Kritik, die Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) formuliert: "Die Bundesländer sollen offenkundig die Rechnung für die Paartherapie der Bundesregierung zahlen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Wegner schätzt die Steuersumme, die die Hauptstadt durch die Einführung des Gesetzes verlieren würde, auf 200 Millionen Euro im Jahr. "Wenn das Gesetz jetzt nicht im Bundestag noch verändert wird, wird Berlin gemeinsam mit anderen Ländern im Bundesrat aktiv werden." Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) kündigte ebenfalls an, das Gesetz abzulehnen. Es sei in der gegenwärtig angedachten Form für Thüringen nicht akzeptabel.

In keinem anderen Bundesland war 2022 das Wirtschaftswachstum so hoch wie in Bremen

Die Ampelkoalition hatte das Wachstumschancengesetz auf ihrer Klausurtagung in Meseberg vergangene Woche auf den Weg gebracht. Mit zahlreichen steuerlichen Anreizen und Entlastungen will sie die Wirtschaft ankurbeln und Unternehmen Investitionen erleichtern. Die Steuererleichterungen wiederum führen zu Einnahmeausfällen in der Staatskasse. In einem Gesetzentwurf hat das Finanzministerium von Christian Lindner (FDP) ausgerechnet, wie hoch die Ausfälle für die staatlichen Ebenen jeweils sind. Demnach geht es in den Jahren von 2024 bis 2028 um mehr als 32 Milliarden Euro. Davon entfallen etwa zwölf Milliarden auf den Bund, mehr als elf auf die Länder und neun auf die Kommunen. Die Ministerpräsidenten sehen darin einen Verstoß gegen das Prinzip "Wer bestellt, bezahlt".

Bremens Bürgermeister Bovenschulte begründet seine Ablehnung daher auch mit einem Vergleich aus dem Nachtleben: "Was der Bund mit dem Wachstumschancengesetz macht, entspricht in etwa dem, was ein Kneipengänger tut, wenn er eine Lokalrunde ausruft und dann seinem Nachbarn in die Tasche greift, um diese zu bezahlen." Bei seiner Wiederwahl im Mai hatte Bovenschulte noch am Wahlabend angekündigt, "aus Bremen das wirtschaftsfreundlichste und zugleich arbeitnehmerfreundlichste Land der Republik zu machen". In keinem anderen Bundesland war 2022 das Wirtschaftswachstum so hoch wie in Bremen.

Allerdings ist auch die Kinderarmut in Bremen am größten

Andererseits gibt es nirgends sonst in Deutschland so viele von Armut bedrohte Kinder und eine derart desaströse Bildungspolitik. Bovenschulte braucht also dringend Geld, um seine Ziele umzusetzen. Doch der notorisch klamme Stadtstaat fürchtet, dass ihm durch das Wachstumschancengesetz in den kommenden vier Jahren mindestens 200 Millionen Euro fehlen.

Die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Anke Rehlinger, kritisiert, der Bund verzichte "aus politischen Gründen" auf mögliche Einnahmequellen wie eine "Schuldenfinanzierung oder die Besteuerung riesiger Vermögen, aber die Länder sollen zahlen". Die Wirtschaft brauche Wachstumsimpulse, so die SPD-Politikerin. "Es macht aber keinen Sinn, dass wir Länder das bei ÖPNV, Kitas und Schulen einsparen", sagt Rehlinger der SZ.

Kritische Töne kommen auch aus Mecklenburg-Vorpommern, einem weiteren SPD-geführten Bundesland. Es sei zwar wichtig, dass die Wirtschaft in Deutschland angekurbelt werde. Ihre Regierung sei auch bereit, "das mitzutragen", wenn es Maßnahmen für den Klein- und Mittelstand gebe. "Allerdings sehe ich noch erheblichen Verbesserungsbedarf", sagte SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung.

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Von Tim Frehler

Die Bundesregierung betont die "drastische Einnahmeverschiebung zu Lasten des Bundes"

Aus der Staatskanzlei in Hessen, wo CDU-Ministerpräsident Boris Rhein regiert, heißt es, das Wachstumschancengesetz enthalte "wichtige Bausteine für eine wettbewerbsfähige und zeitgemäße Unternehmensbesteuerung". Man prüfe derzeit, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen in allen Punkten begründet und ausreichend seien, um das Wirtschaftswachstum nachhaltig in Gang zu bringen. Erst danach sei eine Bewertung mit Blick auf den Landeshaushalt sinnvoll. Und weiter: "Klar ist, dass die finanziellen Lasten des Gesetzes nicht vor allem von den Ländern und Kommunen getragen werden können. Konjunkturpolitik ist in erster Linie Sache des Bundes."

Der Bund hingegen verweist seit Längerem auf eigene Defizite in dreistelliger Milliardenhöhe, wohingegen die Länder in ihrer Gesamtheit Überschüsse erwirtschafteten. In einem Papier, das vor dem Flüchtlingsgipfel im Mai kursierte, betonte die Bundesregierung darüber hinaus die "drastische Einnahmeverschiebung zu Lasten des Bundes". Immer größere Anteile der staatlichen Steuereinnahmen kämen Ländern und Gemeinden zugute.

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In Niedersachsen prüft die Regierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) den Gesetzentwurf noch, teilte seine Sprecherin mit: "Die begrenzten finanziellen Möglichkeiten des Landes einerseits und der Bedarf nach weiteren Impulsen für die Wirtschaft, vor allem zur Stärkung von Investitionen, werden dabei gewissenhaft abgewogen. Dabei sind auch die finanziellen Auswirkungen auf die Kommunen zu beachten."

Die Landesregierung in Brandenburg wolle zunächst das parlamentarische Verfahren abwarten, bevor sie ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat festlege, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte. Die "Zahlen zu den Mindereinnahmen für die Länder und Kommunen können von uns noch nicht abschließend bewertet werden". Erfreulich sei aber, "dass der Bund diesmal keine Fristverkürzungen zur Beteiligung des Bundesrats vorsieht". Das gebe die Möglichkeit, die notwendigen Gespräche mit Ruhe und Augenmaß zu führen.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat sich zuletzt grundsätzlich positiv über das geplante Wachstumschancengesetz geäußert - ohne allerdings explizit auf die Verteilung der Kosten einzugehen. Es gehe darum, "die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes zu erhöhen", sagte Kretschmann vergangene Woche mit Verweis auf das Gesetzesvorhaben. Aus seiner Sicht seien da "wegweisende Dinge drin, die die Wirtschaft entlasten: Abschreibungsmöglichkeiten oder Steuersenkungen für Investitionen in Forschung und Entwicklung". Er glaube, dies sei "der richtige Weg".

Offen bleibt, wie die schwarz-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen die Folgen des Gesetzes einschätzt. Aus der Staatskanzlei von Ministerpräsident Wüst (CDU) blieb eine Stellungnahme am Montag aus.

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