Kommunalfinanzen:Städte und Gemeinden befürchten hohe Steuerausfälle

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Ein städtischer Arbeiter in Kassel repariert ein Schlagloch mit Asphalt. Allein um das kommunale Verkehrsnetz zu erhalten, brauchen Städte, Gemeinde und Landkreise viele Milliarden Euro. (Foto: Uwe Zucchi/dpa)

Mit einem Bündel von Maßnahmen will die Bundesregierung die Wirtschaft ankurbeln, Bürokratie abbauen und den Klimaschutz vorantreiben. In den Kommunen wächst die Sorge, den Preis dafür bezahlen zu müssen.

Von Tim Frehler

Er hat es ja kommen sehen, hat sich gewehrt, aufhalten konnte er es nicht. Martin Wilhelm, 37, Sozialdemokrat und Kämmerer in Offenbach am Main, hat Briefe geschrieben an die Bundestagsabgeordneten seiner Partei, hat herumtelefoniert. Doch es half nichts. Eigentlich sei vereinbart gewesen: "Keine neuen Belastungen", sagt Wilhelm, "aber das wird an dieser Stelle eklatant gebrochen." Mit dieser Stelle meint Wilhelm: Das Wachstumschancengesetz, das die Ampelkoalition auf den Weg gebracht hat bei ihrer Klausurtagung in Meseberg.

Als dort am Mittwoch Kanzler Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) und Finanzminister Lindner (FDP) vor die Presse treten, hört es sich an wie in einer Baumarktwerbung: Da ist vom "Hämmern" die Rede, vom "Klopfen" und vom "Schrauben". Was man eben sagt, wenn man zeigen will, dass man nicht nur streitet, sondern schafft. Die Frage ist nur: Wer kehrt am Ende den Dreck weg? In den Städten und Gemeinden fürchten sie, dass sie es sein könnten, die den Besen in der Hand haben.

"Das schlägt richtig ins Kontor", sagt ein Ökonom

Das Wachstumschancengesetz soll die Wirtschaft ankurbeln, indem - vereinfacht gesagt - Unternehmen weniger Steuern zahlen. Doch die Einnahmen fehlen natürlich in der Staatskasse. Ein Gesetzentwurf aus Christian Lindners (FDP) Finanzministerium rechnet vor, wie hoch die Ausfälle sein könnten: Addiert man die Werte der Jahre 2024 bis 2028, kommt man auf etwa zwölf Milliarden Euro beim Bund, mehr als elf Milliarden bei den Ländern und neun Milliarden bei den Gemeinden. "Das schlägt richtig ins Kontor", sagt der Ökonom und Wirtschaftsweise Achim Truger mit Blick auf die fehlenden Einnahmen der Kommunen, die größtenteils auf Ausfälle bei der Gewerbesteuer zurückgehen.

Noch ist das Ganze nur ein Entwurf und unklar, was am Ende wirklich im Gesetz steht. Bundesländer wie Bremen und Berlin drohen bereits, Lindners Projekt im Bundesrat zu blockieren. Städtetagspräsident Markus Lewe (CDU) sieht in dem Vorhaben eine "Hiobsbotschaft". Und selbst Koalitionäre wie die Grüne-Bundestagsabgeordnete Karo Otte befürchten, das Wachstumschancengesetz werde zum "Wachstumsrisikogesetz", wenn private Investitionen auf Kosten der Städte und Gemeinden finanziert würden.

Zuletzt haben die Kämmerer so viel Gewerbesteuer kassiert wie nie zuvor

In der FDP hingegen findet man, die Beteiligung der Kommunen sei "der richtige Weg", wie Reinhard Houben, der wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, der "Tagesschau" sagte. Alle staatlichen Ebenen seien aufgefordert, die Wirtschaft zu unterstützen. Offenbachs Kämmerer Wilhelm hingegen sagt: "Der Bund soll die Firmen auf seine Kosten entlasten, nicht auf Kosten der Kommunen." Es ist der alte Streit darüber, wer bestellt und wer bezahlt.

Aus Sicht der Kommunen müssen die finanziell ohnehin schon einiges schultern: den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst, das Inflationsausgleichsgesetz, die Aufnahme Geflüchteter. "Da kommt ganz schön etwas was zusammen", sagt Achim Truger. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Gemeinden in Deutschland haben im vergangenen Jahr mit mehr als 70 Milliarden Euro einen Rekordwert bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer verzeichnet, ein Plus von 9,1 Milliarden im Vergleich zum Jahr 2021, wie das Statistische Bundesamt mitteilt.

Doch die finanzielle Lage der einzelnen Kommunen ist höchst unterschiedlich - manche können besser damit umgehen, wenn etwas weniger Geld reinkommt, andere weniger. Die Stadt Frankfurt am Main etwa lehnt in einer Mitteilung gemeinsam mit Offenbach Änderungen bei der Gewerbesteuer ab. Gleichwohl nimmt die Mainmetropole über die Gewerbesteuer viel Geld ein und geht mit Blick auf das Wachstumschancengesetz gegenwärtig davon aus, "dass wir für die Stadt Frankfurt nicht mit massiven Folgen rechnen müssen", wie ein Sprecher mitteilt. "Für die Problemkommunen" hingegen, sagt der Ökonom Achim Truger, "ist es richtig mies." In Offenbach sagt Kämmerer Wilhelm: "Uns laufen die Kosten davon." Vor allem für Zinsen und Personal seien die Kosten gestiegen.

Wie steht es ums Verkehrsnetz? Eine Studie warnt: nicht gut

Die Kommunen haben zwar insgesamt laut Statistischem Bundesamt 2022 mehr als zwei Milliarden Euro an Überschüssen erzielt. Für das laufende Jahr rechnen die Spitzenverbände jedoch mit einem Defizit von 6,4 Milliarden Euro in den Kommunalhaushalten, das 2024 auf fast zehn Milliarden steigen könne. Gleichzeitig trudeln laufend Nachrichten über den Sanierungsstau in Städten und Gemeinden ein, zuletzt am vergangenen Mittwoch.

Da hat das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) eine Studie im Auftrag des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen und des ADAC veröffentlicht. Die Forscher haben untersucht, wie es um das kommunale Verkehrsnetz in Deutschland steht. Ergebnis: nicht gut. Jede zweite Straßenbrücke beispielsweise ist in schlechtem Zustand. Bis zum Jahr 2030 braucht es der Studie zufolge 372 Milliarden Euro, um die Verkehrsnetze zu erhalten oder zu erweitern. Für den Umbau hin zu einem nachhaltigen Verkehrssystem seien weitere Investitionen in Höhe von 39 bis 63 Milliarden Euro nötig, die aber bei "einer konsequenten Umsetzung der Verkehrswende" fast in gleicher Höhe wieder eingespart werden könnten.

Marode Brücken, Straßen und Schulen zu sanieren, ist das eine, Klimaschutz das andere. Laut dem Kommunalpanel der Kreditanstalt für Wiederaufbau müssten die Kommunen ihre aktuellen Investitionen in den Klimaschutz mehr als verdoppeln, um bis 2045 klimaneutral zu werden.

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Nicole Berka, 43, ist Bürgermeisterin in Neunkirchen-Seelscheid, einer Gemeinde mit 20 000 Einwohnern nordöstlich von Bonn. Sie kennt den Zwiespalt, vor den die komplizierte Haushaltssituation Kommunalpolitiker stellt: "Baue ich den Kindergarten oder mache ich etwas für den Klimaschutz", sagt Berka. Wie sich das Wachstumschancengesetz auswirken wird, wisse sie noch nicht. Doch schon jetzt fehlen ihr für das kommende Jahr mehr als drei Millionen Euro im Haushalt. "Am Ende müssen wir den Leuten erklären, was wir nicht mehr machen können." Die Nachbargemeinden stünden untereinander ja auch im Wettbewerb, "die Leute wollen da wohnen, wo es schön ist, wo es eine Perspektive gibt", sagt Berka. "Das ist der Druck."

Er wird in nächster Zeit wohl nicht kleiner werden.

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