Typisch deutsch:Die Rundfunkente

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Eine Entenmutter mit Küken, gesichtet in München und gefahrlos in Sicherheit geleitet (Symbolfoto). (Foto: Florian Peljak)

Im Radio wird von einer gefiederten Familie berichtet, die in München die Straße überquert. Eine Warnung? Oder eher eine Vorlage, um sich mithilfe der Stoßstange einen feinen Braten zu organisieren?

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Sollte mal ein Radiosender in Uganda die Autofahrer warnen, weil Enten eine Straße überqueren, würden die Zuhörer dem Radiosprecher so einiges unterstellen. LSD, Alkohol oder vielleicht beides? Spinnt er jetzt? Dieses Gefühl kam mir vor zwei Wochen in den Sinn, als ich Auto fuhr und eine Warnmeldung durchs Radiogerät dröhnte: "Achtung Autofahrer, Entenfamilie auf der Straße, bitte vorsichtig fahren". Ausgerechnet auf jener Straße, die ich gerade aus Termingründen möglichst schnell zu befahren gedachte. Eine Rundfunkente? Ist das nicht uns Zeitungsleuten vorbehalten? Nein, offenbar meinte der Ansager das ernst.

Die Deutschen sind nach wie vor Menschen, die zur Durchgeknalltheit neigen. Oder sind es eher die Ugander? Für den Moment versetzte ich mich in die Zeit zurück, als ich ein junges Mädchen von sechs Jahren war. In Uganda waren Schulferien zu Pfingsten und ich fuhr mit meinem Onkel von der Stadt ins Dorf. Auf den staubigen von Gras umwucherten Straßen begegneten uns allerlei lokale Bewohner: Hirsche, Schweine, Perlhühner und natürlich Wildenten, die während unser Begegnung meist die Straßen überquerten oder einfach nur ihren kostbaren, freigeistigen Spaziergang genossen.

Mein Onkel interpretierte diese Kostbarkeit auf seine ganz eigene Weise: Jedes Mal, wenn er ein gefiedertes Wesen erblickte, sagte er zu mir und meinen Geschwistern: Haltet euch fest! Dann raste er mit Vollgas auf die Vögel zu, um sie frontal zu überfahren. Im Erfolgsfall, und das kam vor, hielt er den Wagen per Vollbremsung an (so lernte ich die Kostbarkeit eines Sicherheitsgurts schätzen) und forderte uns auf, die "versehentlich umgeworfenen" Vögel einzusammeln. Versehentlich umgeworfen. Mein Onkel war einfach köstlich. Und der Geflügelbraten erst recht. Zu unserer Freude zehrten wir von diesen "Versehen" meist mehrere Tage. Manchmal für die kompletten Pfingstferien.

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Als ich nun, mitten in München, die Enten-Warnung hörte, ertappte ich mich dabei, dass ich mich für diese Information aus niederen Beweggründen interessierte. Man verzeihe mir den Gedanken, aber ich habe mir die Tierchen in feinster Marinade gebraten vorgestellt. Trotzdem habe ich diesen zugegebenermaßen sehr köstlichen Gedanken wieder verworfen. Beziehungsweise verdrängen lassen durch Worte wie Moral, Tierschutz oder Jagdwilderei. Vogelschützer hätten mich sicher nicht verschont, hätte ich diese eventuell recht glückliche Entenfamilie umgefahren. Einen Münchner Richter wird die Begründung der Nahrungsbeschaffungsmaßnahme kaum überzeugen.

So spießig das klingt, aber am Ende des Tages - oder der Straße - ist es in den allermeisten Fällen von Vorteil, sich an die strengen hiesigen Regeln zu halten. So sehr ich auch - und noch dazu hungrig - zu einem Termin eilte, ich hielt mitten auf der Straße an und ließ die ganze wirklich sehr große und sehr langsame Entenfamilie majestätisch und in Frieden über die Straße watscheln. Ich hatte ein reines Gewissen - aber nur fast. Was würde mein Onkel nur von mir denken?

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