Oktoberfest:Das Festbier ist wie Wasser

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Olaleye Akintola ist einer der drei Autoren der SZ-Kolumne "Neue Heimat", die jeden Freitag erscheint. (Foto: Stephan Rumpf)

Betrunkene Massen, ein berüchtigter Hügel und die Erinnerung an den Krieg: Drei Flüchtlinge berichten, wie sie das Oktoberfest erleben.

Report von Olaleye Akintola, Mohamad Alkhalaf und Lillian Ikulumet

Wie nehmen Flüchtlinge Deutschland wahr? Das beschrieben unsere drei Autoren jeden Freitag in der Kolumne "Neue Heimat". Nun waren sie eine Woche als Wiesnreporter unterwegs. Lillian Ikulumet ist bereits erprobt und mit Dirndl ausgerüstet. Für Mohamad Alkhalaf und Olaleye Akintola war es das erste Oktoberfest überhaupt.

Olaleye Akintola: Das Festbier ist wie Wasser

In Bayern lassen sie wirklich keinen Anlass für ein Fest aus: Wo sonst feiert man bitte jeden Herbst eine 200 Jahre alte Hochzeit? Als Afrikaner aus dem ländlichen Nigeria bin ich das nicht gewohnt, dort, wo ich herkomme, habe ich nicht einmal meinen Geburtstag gefeiert. Die Wiesn war also etwas Neues für mich, auch weil in Afrika bei so einem Wetter wie in den ersten Tagen niemand feiern würde. Aber beim Oktoberfest geht das nicht, nicht hier, wo einem die glückseligen Betrunkenen schon vor den Zelten in die Arme fallen. Und zwar bereits wenige Minuten nach dem Moment der Wahrheit: dem Anzapfen.

Ich hatte mich zwischen die Menschenmassen gequetscht, die alle dabei sein wollten, als der Oberbürgermeister der Stadt, Dieter Reiter, ein Holzwerkzeug in die Hand nahm. Es hatte die Form einer Handgranate, doch der Bürgermeister weiß, wie man damit umgehen muss, und so ging am Mittag das erste Bierfass auf, und die Menschen fingen zu singen an. Der Bürgermeister stellte den ersten vollen Krug dann auf einen Tisch - was mich an diesem Ritual am meisten erstaunte.

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Die Szene erinnerte mich nämlich an Afrika, wo sich die Eingeborenen mit Palmwein in Schwung bringen. Der Palmwein-Zapfer zapft den Wein direkt aus dem Stamm in ein Gefäß. Das Gefäß muss dann ausgetrunken werden, bevor es auf einem Tisch abgestellt wird, sonst ist es nicht mehr frisch, zumindest sagt man das so in Nigeria. Wer ganz vorne an der Palme steht und zuerst bedient wird, der bekommt den besten Wein. Die hinten stehen, bekommen nur noch den Bodensatz ab.

Welch Glück, dass ich hier bin, jetzt da die Terroristen von Boko Haram Nigeria so schlimm unterdrücken wie nie zuvor. In München gehen die Lebensmittel nie aus. Hier bekommt man selbst in der hintersten Zeltecke eine kühle Mass Bier.

Am dritten Festtag regnete es immer noch, und wenn man außen nass ist, dann kann man sich auch von innen befeuchten. Ich hatte deshalb Geist und Seele auf meine ersten Erfahrungen mit dem berühmt-berüchtigten Oktoberfestbier vorbereitet. Zur Vorbereitung wählte ich ein fettes Hendl, ich hatte ja auch die Nachrichten gehört, dass die USA eine Art Reisewarnung für München rausgegeben haben, weil das Bier so stark sein soll. Eine großartige Gelegenheit also, um meine afrikanische Trinkfestigkeit auf die Probe zu stellen.

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Ich war erstaunt, in welchem Tempo die Leute im Zelt ihre Krüge leerten. Es wummerte vor Leben und Volksmusik - die kenne ich inzwischen, nach einem Jahr in Ebersberg. Aus Afrika kenne ich solche Feste nicht: Im Zelt stehen Bänke, aber die Leute sitzen nicht, sie stehen darauf. Ich habe mich dazu gestellt und meine erste Mass bestellt. Um mich haben alle getanzt, wie die Läuse auf dem Kopf eines Leprakranken.

Mein Nachbar hat mir dann noch zwei Mass spendiert, doch auch nach der vierten konnte ich die Warnung aus Amerika nicht verstehen. Ich habe relativ flott sieben Mass Bier runtergezogen, geschmeckt hat es gut, aber es ging runter wie Wasser. Hätte ich nigerianisches Bier getrunken, wäre ich nach sieben Litern auf dem Weg zu einem anderen Planeten gewesen.

Es muss doch irgendwie auch ohne Bier gehen, dachte ich mir, und als Syrer muslimischen Glaubens hatte ich gar keine andere Wahl. Ich traf mich mit Kollegen vor einem großen Zelt. Auf dem Zelt befand sich ein großer Löwe, der einen Bierkrug in der Hand hatte und ab und zu brüllte. Wie die Wellen des Meeres schwankten die Leute aus dem Zelt und in das Zelt hinein. Wir warteten noch auf Kollegen, aber ich war ungeduldig und neugierig, was sich wohl in dem Zelt abspielte.

Als wir schließlich hinein gingen, sah ich eine riesige Menschenmenge, überall Bierkrüge, laute Musik. Wir suchten einen Platz und auf dem Weg dorthin sprachen mich wildfremde Menschen an. Das machte mir etwas Angst, da die Leute recht laut sprachen und ich nichts verstand. Das sei aber nicht schlimm, meinten die Kollegen, wer lange in einem Zelt drinsitzt, den verstehen selbst die Einheimischen nicht mehr. Nachdem wir uns hingesetzt hatten bestellten wir Bier, und für mich einen Spezi.

Für die SZ schreibt auch Mohamad Alkhalaf, nachdem der Journalist aus seinem Heimatland fliehen musste. (Foto: Stephan Rumpf)

Nach einer Stunde waren viele am Tisch beschwipst und lustig. Ich war auch lustig, aber nicht beschwipst. Ich tanzte mit den anderen auf den Bänken. Meine Kollegin meinte, ich solle ein Bier trinken, damit ich glücklich werde. Aber mein Spezi wirkte mit der bayerischen Musik wie ein Bier. In dieser Atmosphäre entstehen Freundschaften, man stößt auf Gemeinsamkeiten an und manchmal geht der Bierkrug kaputt. Vor allem wenn so starke Männer wie mein Kollege anstoßen. Vielleicht war es ja eine Sicherheitsmaßnahme, dass einige Leute aus ihren stoßfesten Schuhen tranken.

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Irgendwann braucht man mal eine Pause vom Zelt. Und viele Bayern gehen dann zur Erholung Geisterbahnfahren. Aus Neugierde habe ich das auch ausprobiert, allerdings nüchtern - und das war wohl der Fehler. Ich stieg in einen Wagen und als sich das Eisengitter senkte, glaubte ich, ich würde als Astronaut auf meine erste Fahrt zum Mond vorbereitet werden. Ich fuhr in die Dunkelheit hinein, da sprang mir ein blutverschmierter Mann entgegen, ich schloss meine Augen und schrie.

Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich viele bunte Lichter. Mein Wagen fuhr sehr schnell und mein Herz pochte noch schneller. Ich sah den Torso eines Mannes, daneben eine weinende Frau. Sofort habe ich mich an den Krieg in Syrien erinnert. Dort habe ich diese Szene live erlebt, als eine Bombe auf ein Haus fiel. Viele Szenen in der Geisterbahn haben mich an den Krieg erinnert, als ich dort für die Zeitung Fotos von Straßen, übersät mit toten Menschen gemacht habe.

Als mir am Ende des Tunnels Eis mit Wasser ins Gesicht gespritzt wurde, bin ich aus diesem Alptraum aufgewacht. Es war für mich keine Unterhaltung, aber als ich heraus kam, sah ich wieder die Sonne und lachende Menschen. Wie gut, dass ich in Deutschland in Sicherheit bin. Wer hier dem Horror entkommen will, der muss nur aus einer Geisterbahn aussteigen.

Irgendwie kam ich auf die Idee, mir eines dieser Lebkuchenherzen zu holen. Kitschig, aber auch niedlich. Wenn man als afrikanische Frau auf dem Oktoberfest ist, dann muss man diese Chance ergreifen. Wer sich nämlich in Uganda ein Lebkuchenherz mit "Kiss me" umhängen würde, muss vom Schlimmsten ausgehen.

Solche Botschaften am Körper würden in meiner früheren Heimat als Aufforderung zum Geschlechtsakt verstanden werden. Die meisten ugandischen Männer würden denken, es handelt sich hierbei um eine Prostituierte. Auch, weil in Uganda niemand an umgehängte Lebkuchen gewohnt ist.

Auch Lillian Ikulumet war für die SZ als Wiesn-Reporterin unterwegs. (Foto: Stephan Rumpf)

Als ich mir am Stand ein Herz aussuchte, da dachte ich nicht groß über die Konsequenzen nach. "Vernasch mich" fand ich vom Witz her platt, deshalb entschied ich mich für ein "Küss mich"-Herz. Es dauerte keine fünf Minuten, ehe der erste Betrunkene angewankt kam und prompt versuchte, mir ein Bussi zu geben. Es sollte ihm aber nicht gelingen, das habe ich ihm zu verstehen gegeben. Da wurde mir klar, dass Botschaften wie "Vernasch mich", "Heute Nacht bin ich single", "Wilder Teufel" oder "Drück mich ganz fest" auch dazu führen können, dass eine Frau nie wieder einen Fuß auf die Theresienwiese setzt.

Wenn man so ein Herz umhängen hat, ist es deshalb gut, männliche Freunde dabei zu haben. Denn im Zelt wird man mit so einem Halsschmuck für manche Leute zum Freiwild. Ich hatte meine Freunde dabei, und sie stellten sich immer wieder zwischen mich und aufdringliche Werber. Der Nachteil von so etwas ist, dass man dann seltener Bier- oder Radler-Massen spendiert bekommt. Wichtiger ist aber, dass mich nicht irgendein Lederhosen-Mann davongetragen hat, oder ein Notarzt - auch das kommt ja auf der Wiesn vor.

Vor dem Zelt habe ich dann ein betrunkenes Teeny-Girl beim Speien gesehen. Ihre Freundinnen haben sie auf den Hügel neben der Festwiese gelegt. Hier, unter der Bavaria, die über Bayern wachen soll, werden die teuren Getränke und Hendl wieder ausgespien. Mit dem Geld, das hier durchs Gras sickert, könnte man wahrscheinlich ganze Dörfer in unseren Heimatländern durchfüttern.

Wobei in Uganda Gewalt gegen Frauen und fehlende sexuelle Freiheit noch das größere Problem ist, als Journalistin habe ich dies nie verschwiegen - und deswegen musste ich fliehen. Klar, München ist auch nicht fehlerfrei, gerade im Bereich des Kotzhügels. Dort sollte man sich als Frau nicht zu lange aufhalten. Man kann aber dann einfach zurück ins Zelt. Dort hab ich das Lebkuchenherz in die Tasche gesteckt und endlich Komplimente für mein Dirndl bekommen. Geht doch!

Übersetzung: Korbinian Eisenberger

© SZ vom 27.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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