Kultur-Konvoi für die Ukraine:"Joko und Klaas waren sofort dabei"

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Bereits zweimal hat Rüdiger Linhof, Bassist der "Sportis", einen Krankenwagen in die Ukraine gefahren. Jetzt startet der Künstler einen Kultur-Konvoi. Logistische Hilfe bekam er von Tanja Ehrlein (links), Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins Bamberg:UA. (Foto: Sebastian Herrmann)

Zu Beginn des russischen Angriffs nahm Rüdiger Linhof, Bassist der "Sportfreunde Stiller", ukrainische Geflüchtete bei sich auf. Nun organisiert seine Band einen Hilfskonvoi ins Kriegsgebiet - und die Liste der Unterstützer reicht von den "Toten Hosen" bis Jan Delay. 

Von Michael Bremmer

Immer vergnügt, immer ein Lächeln. Egal, auf welcher Bühne der Sportfreunde-Stiller-Bassist Rüdiger Linhof steht, er strahlt gute Laune aus. Aber an diesem Dienstag ist dem Musiker nicht zum Lachen.

In wenigen Tagen startet ein Hilfskonvoi in Richtung Ukraine - initiiert von den Sportfreunden Stiller, mit der Unterstützung von mehr als 20 Bands, Comedians, Schriftsteller, Schauspielern, Fernsehstars. Sechs Krankenwagen, einen Unimog und eine Art rollendes Krankenhaus mit zehn Betten bringen Rüdiger Linhof und andere Künstler am 28. Februar ins Kriegsgebiet. Aber für den Krankenwagen der Sportfreunde müssen sie ein neues Sanitätsregiment suchen. "Die vorgesehene Einheit wurde vergangene Nacht einfach in die Luft gejagt", erzählt Linhof, "einfache Sanitäter." Er muss kurz schlucken. "Es tut weh. Es ist ein harter Tag für mich", sagt er dann. Und nach einer kurzen Pause: "Ich blicke mit Verachtung nach Russland."

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Einmal in Rage, lässt sich Linhof nicht so schnell bremsen. "Wir müssen erkennen, dass Russland uns angreift", sagt er, "Russland führt einen Angriffskrieg gegen die europäische Demokratie" - und deswegen startet am Mittwoch, 28. Februar, ein großer Kultur-Hilfskonvoi von Nürnberg aus in Richtung Ukraine. Eine Hilfslieferung, die wichtig ist für die Menschen im Kriegsgebiet. Eine Unterstützung, die nach Wunsch des Musikers aber auch den Menschen hier in Deutschland zeigen soll, dass alle etwas für die Freiheit, dass alle etwas für die Demokratie unternehmen können.

Alle machen mit - auch die "Toten Hosen"

Und dafür haben die Sportfreunde Stiller eine beeindruckende Auswahl deutscher Künstlerinnen und Künstler gewinnen können. Von den Toten Hosen bis zu Feine Sahne Fischfilet, von Jan Delay bis LaBrassBanda, von Ronja von Rönne bis Joko Winterscheidt. Die Aktion nennen sie "Hand-in-Hand Kultur.Konvoi für die Ukraine", wie es in einer Pressemitteilung heißt, eine "Flotte an Hilfsfahrzeugen mit Spenden aus dem Musik- und Kulturumfeld". Ein Kultur-Konvoi, der sich öfter in Gang setzen soll. Schon jetzt sammeln sie für eine weitere Fahrt.

Wann alles anfing? Vielleicht im November 2022. Vier Jahre lang hatten die Sportfreunde Stiller eine Bühnenpause eingelegt, mit dem neuen Album gingen sie wieder auf Tour. Und das München-Comeback im Circus Krone geriet zum gigantischen Freundestreffen, weil Sportfreunde-Manager Marc Liebscher eine außergewöhnlich große Gästeliste erlaubte - verbunden mit dem freundlichen Hinweis beim Einlass, man möge doch Geldscheine in die Spendenbox werfen. Nicht für die Band, sondern für einen vollausgestatteten Rettungswagen, den Rüdiger Linhof in die Ukraine fahren wollte. Der Bassist nahm nach Beginn des russischen Angriffskriegs mehrere Geflüchtete bei sich auf, wollte aber auch den Menschen direkt in der Ukraine helfen.

Der aktuelle Hilfskonvoi, der Ende Februar startet, bringt insgesamt sechs Krankenwagen in die Ukraine. Rüdiger Linhof bringt auch weitere Hilfsgüter aus dem medizinischen Bereich mit. (Foto: Sebastian Herrmann)

Im Dezember 2022 startete Rüdiger Linhof gemeinsam mit SZ-Redakteur und Musiker Sebastian Herrmann von Bamberg aus den Transport des Krankenwagens ins Kriegsgebiet. Im Herbst 2023 fuhren sie einen weiteren Krankenwagen in die Ukraine. Die Eindrücke von den Fahrten nach Lwiw waren jedenfalls so belastend, dass sich bei beiden der Wunsch entwickelte, weitere, größere Hilfsfahrten zu starten, erzählt Rüdiger Linhof. Und zurück in Deutschland machte er im vergangenen Herbst das, was er am besten könne: Pläne schmieden.

"Die Freiheit wieder als Geschenk wahrnehmen"

"Wir brauchen eine neue Aufbruchstimmung für die Demokratie", sagt Rüdiger Linhof. Man müsse "die Freiheit wieder als Geschenk wahrnehmen", und wer wäre, um so etwas zu kreieren, "besser geeignet als Künstler".

Wer fast 30 Jahre im Musikgeschäft unterwegs ist und jeden Sommer auf Festivals spielt, hat zweifelsohne ein beeindruckendes Telefonbuch. Und als Rüdiger Linhof den anderen Sportfreunden und Manager Marc Liebscher von seiner Idee des Kultur-Konvois erzählte, wurde sofort ein Brief an befreundete Musikerinnen und Musiker aufgesetzt und verschickt.

Die Reaktionen? Unglaublich, sagt Rüdiger Linhof. Angesichts dessen will er auch gar nicht von einem Sportfreunde-Projekt sprechen. Man habe das nur initiiert, "die anderen tragen die Idee weiter", unterstützen die Hilfe "finanziell, inhaltlich, medial" - und bringen auch weitere Menschen dazu, für den Kultur-Hilfskonvoi zu spenden. Und was dem Bassisten am meisten bedeutet: "Künstler stellen klar, dass Demokratie wichtig ist."

Kommst Du mit in die Ukraine? "Ja, wann?", antwortete Ronja von Rönne

Die Reaktionen der angeschriebenen Bands kamen zügig: "Da sind wir sofort dabei", "super Aktion", "ein tolles Angebot, konkret zu helfen". Und nicht nur Musiker engagieren sich: "Joko und Klaas waren sofort dabei", erzählt Rüdiger Linhof, "auch Michi und Gudrun Mittermeier". Und weil die Sportfreunde Stiller von einer gemeinsamen Show im Münchner Vereinsheim Ronja von Rönne kannten, rief der Bassist die Schriftstellerin an und frage sie, ob sie mit in die Ukraine kommen wolle. Ihre Antwort: "Ja, wann?" Jetzt sitzt sie am 28. Februar am Steuer eines Krankenwagens. Genauso wie etwa Schauspieler Thomas Darchinger.

Mit dem ersten Krankenwagen der Sportfreunde Stiller konnten mehr als 1000 Menschen gerettet werden, erzählt Rüdiger Linhof, auch wenn sich diese Zahl während eines Kriegs nie genau verifizieren lässt. "Man kann wirklich was tun", sagt er. Allerdings: Der erste Krankenwagen der Band ist bereits von der russischen Armee zerbombt worden.

Und auch die Bilanz des gemeinnützigen Vereins Bamberg:UA, der den Kultur-Konvoi bei der Logistik unterstützt, ist ernüchternd. Der Verein, 2014 von ukrainischen Studierenden der Universität Bamberg gegründet, brachte 32 Rettungswagen ins Kriegsgebiet - 24 davon sind nach Angaben von Tanja Ehrlein, Vorsitzende des Vereins, bereits abgeschossen.

Der Bamberger Verein hatte schon die ersten Hilfslieferungen der Sportfreunde Stiller logistisch umgesetzt - und auch jetzt sind die Künstler auf die Erfahrung von Tanja Ehrlein angewiesen. Bevor die Fahrt überhaupt losgeht, bereitet sie die Zollangelegenheiten vor. An der polnisch-ukrainischen Grenze wird sie dann vor Ort sein und sich um die Abfertigung kümmern. Dann geht es nach Lwiw, von dort werden die Krankenwagen in "frontnahe Gebiete" gebracht, sagt Tanja Ehrlein.

Für sie ist der Einsatz der Künstlerinnen und Künstler "unfassbar wichtig". All diese Menschen, sagt sie, "sind Vorbilder unserer Demokratie" - und mit deren Engagement verbinde sie eine große Hoffnung: In Deutschland habe man sich an den Krieg in der Ukraine gewöhnt. "Das aufzubrechen, den Krieg in die Erinnerung rufen, wäre schön", sagt sie.

Die Bands ergäben ein tolles Line-up für ein Festival. Aber es geht um mehr

Aber auch die Hilfe an sich ist gewaltig. Ein gebrauchter Krankenwagen kostet etwa 10000 bis 15000 Euro. Sechs davon werden nun in die Ukraine gebracht, zudem ein Unimog (Kosten circa 10000 Euro) und ein Bus, der in eine Art rollendes Krankenhaus mit zehn Betten umgerüstet wurde (Kosten circa 25000 Euro). Hinzukommen weitere Hilfsgüter aus dem medizinischen Segment. Man kann sich ausrechnen, wie groß die Spendenbereitschaft der Künstler ist.

Welche Bands mitmachen? Deine Freunde, Beatsteaks, Blackout Problems, Christina Stürmer, Die Toten Hosen, Donots, Feine Sahne Fischfilet, Granada, Jan Delay, Joey Cape, LaBrassBanda, Leoniden, Marco Pogo, Mia., Selig, Shitney Beers - und natürlich die Sportfreunde Stiller. Wäre ein tolles Line-up für ein Festival, oder? Aber Rüdiger Linhof geht es um mehr. "Lasst uns selbst was tun, lasst uns nicht nur an die Politik appellieren", sagt er. "Lasst uns schauen, ein neues Momentum zu schaffen." Musikerinnen und Musiker übernehmen Verantwortung, die "Demokratie zu stärken", sagt er. "Damit setzen sie ein Zeichen." In diesem Moment wirkt Rüdiger Linhof hoffnungsvoll.

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