Kulturjahr 2024 in München:Vorfreude ist die schönste Freude

Lesezeit: 7 min

Ein surreales Mischwesen schickt Cao Fei in ihrer Werkgruppe "Duotopia" (hier 1st Edition, 2022, 3D rendering video) in die virtuelle Realität. (Foto: Cao Fei, 2023, Courtesy Sprüth Magers and Vitamin Creative Space)

Alte Bekannte und junge Talente, fremde Räume und geliebt Vertrautes: Worauf die SZ-Kulturredaktion im kommenden Jahr besonders gespannt ist.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Filmfest unter neuer Leitung

Ein Herz fürs Kino - und für den Branchentreff "Beergarden Convention" im Garten des Amerikahauses: der neue Filmfest-Direktor Christoph Gröner und die künstlerische Co-Leiterin Julia Weigl. (Foto: Kurt Krieger/Filmfest München)

Natürlich wird nach dem Führungswechsel nicht alles neu erfunden werden beim Filmfest München, zumal der neue Direktor auch schon an der Seite seiner Vorgängerin Diana Iljine Spuren hinterlassen hat. Aber dennoch: Die Vorfreude auf das erste Filmfest unter der Leitung von Christoph Gröner ist groß, nicht nur in der Branche. Nach unruhigen Jahren mit Etat-Luftschlössern, Pandemie-Schrumpfkurs und Personal-Debatten dürfen Kinofreunde auf ein entspanntes und inspirierendes Sommerfestival hoffen.

Gemeinsam mit Julia Weigl als neue künstlerische Co-Leiterin hat Gröner bereits zu seinem Jobantritt im Herbst Andeutungen gemacht, wie sich das nach der Berlinale bedeutendste Filmfestival in Deutschland entwickeln könnte. Fest steht, dass die 41. Ausgabe von 28. Juni bis 7. Juli stattfinden und einen Tag länger sein wird als die Jubiläums-Edition. Bei der Dramaturgie gibt es leichte Verschiebungen: So soll nicht mehr unter der Woche, sondern am Samstagabend eröffnet werden, davor gibt es zwei "Pre-Opening-Tage". Gröner sieht München als "Nummer 1 für deutsches Filmschaffen", dementsprechend soll das deutsche Kino weiterhin Priorität haben. Aber auch das amerikanische Independent-Kino soll gestärkt werden.

Auf dem Wunschzettel stehen mehr Welt- und Europapremieren sowie - klar - noch mehr Zuschauer. Diese sollen Events erleben können, unter anderem an Orten, "wo auch mal 1000 Zuschauer versammelt werden können". Gröner verspricht: "Die stärksten neuen Akzente wird es für das junge Publikum geben." Beibehalten werden sollen die Anzahl der Filme ("Wir fühlen uns wahnsinnig wohl bei etwa 120 Premieren"), die Isarphilharmonie für die Eröffnungsfeier und das Amerikahaus als Festivalzentrum. Bernhard Blöchl

Countertenor mit vielen Talenten

Akrobatische Einlage: Jakub Józef Orliński in der Oper "Semele" im Prinzregententheater. Im kommenden Jahr kehrt der junge Pole im Rahmen der Opernfestspiele nach München zurück. (Foto: Monika Rittershaus)

Es müsste mal jemand wissenschaftlich erforschen, warum Operngläser irgendwie aus der Mode kommen. Dabei sind sie unverzichtbare Sehhilfen, ob nun als stilvoll perlmutt verzierte Antiquität oder Hightech-Version mit Superlinsenoptik. Im Englischen sprechen sie von "binocular raising moment", wenn auf der fernen Bühne etwas ganz Besonderes geschieht, und jeder dem anderen das Operngucki aus der Hand reißen möchte: Einen solchen Moment gab es im vergangenen Juli im Prinzregententheater, als Countertenor Jakub Józef Orliński in der Händel-Oper "Semele" einen Breakdance samt Salto und Ein-Arm-Stand hinlegte.

Die Fan-Base des jungen Polen dürfte sich seither exponentiell vergrößert haben. Die Schockverliebten haben längst Karten für sein Konzert am 2. März mit Fatma Said im Wiener Konzerthaus gebucht. Doch auch in München darf man sich freuen: Orliński kehrt für einen Festspiel-Liederabend am 18. Juli ins Prinzregententheater zurück. Und auch in Bayreuths Markgräflichem Opernhaus kann man ihn, nach 2021, wieder erleben. Am 6. September gastiert er dort, einmal mehr mit dem wundervollen Ensemble "Il Pomo d' oro", beim Festival Bayreuth Baroque. Opernglas nicht vergessen! Jutta Czeguhn

Mehr Pop für München

Welche Räume gibt oder braucht es für die Popkultur in dieser Stadt? Diese und andere Fragen werden bei "Listen to Munich" diskutiert. (Foto: Jascha Polenz)

Natürlich ist es auch um Proberäume gegangen. Weil man an diesem Beispiel sehr deutlich belegen kann, was fehlt in München. Und weil man - in diesem Fall die Lokalpolitik - genau beziffern kann, was man für die Popkultur in München in den nächsten Jahren tun will. Wichtiger waren aber bei der "Listen To Munich", der ersten Pop-Konferenz für München, die stilleren Momente. Als etwa die Musikerin Diana Goldberg bei einer Diskussionsrunde die Frage an Münchner Politikerinnen und Politiker stellte, wie wichtig für sie Popmusik sei und ob es eine Vision gebe, wie sich die Stadt in Zukunft im Bereich Popularkultur sehe?

Antworten darauf gab es nicht. Aber immerhin hat der Stadtrat, zumindest die Fraktion der Grünen, begriffen, wie wichtig diese Diskussion darüber für die Stadt ist. Als es Anzeichen gab, aus Spargründen die Popkonferenz im kommenden Jahr zu opfern, wurden im Hintergrund viele Gespräche mit dem Kulturreferat geführt, um die Vorzeigeveranstaltung der Fachstelle Pop zu retten. Mit Erfolg. Mit 30000 Euro wird auch im kommenden Jahr die Popkonferenz bezuschusst, der Kulturausschuss hat dem Ganzen bereits zugestimmt.

Am 15. und 16. November wird nun die zweite Auflage von "Listen to Munich" stattfinden. Und weil auch die Initiative Musik der Veranstaltung eine Förderung gewährt, wird es im kommenden Jahr erstmals ein eigenes Musikprogramm in der Kranhalle gegen. Das Festival "Sound of Munich Now" verschiebt sich deswegen nach vorn und findet bereits am 5. Oktober statt. Für Diana Goldberg kommt dieses Signal zu spät. Die Musikerin, so hört man, ist mittlerweile nach Berlin gezogen. Michael Bremmer

Kopenhagen in München

Die Kopenhagen-Trilogie der dänischen Autorin Tove Ditlevsen adaptiert Regisseurin Elsa-Sophie Jach für das Residenztheater. (Foto: IMAGO/TT)

Alle guten Dinge, so hört man ja immer wieder, sind drei. Das könnte also passen. Die dänische Autorin Tove Ditlevsen verfasste mit "Kindheit", "Jugend" und "Abhängigkeit" ihre großartige, autofiktionale Kopenhagen-Trilogie. Das Residenztheater plant schon zum dritten Mal, diese auf die Bühne zu bringen. Am 16. März 2024, und damit im dritten Monat des Jahres, soll es so weit sein. Die Drei ist somit ausreichend vorhanden, es könnte etwas werden mit den guten Dingen.

Wer nicht an solche Zahlen-Magie glauben mag, für den kann der bloße Umstand reichen, dass die Trilogie in München inszeniert wird. Tove Ditlevsen wurde 1917 in Kopenhagen geboren, wuchs in einem Arbeiterviertel auf. Ihr Leben führte sie heraus aus diesem Umfeld, sie wurde das, was sie werden wollte, nämlich Schriftstellerin, entgegen den Vorstellungen der Zeit. Diesen Weg, den sie zielstrebig, auch selbstzerstörerisch verfolgte, schrieb sie fiktionalisiert in ihrer Kopenhagen-Trilogie auf.

Ursprünglich hätte die Schwedin Therese Willstedt diese 2022 am Residenztheater inszenieren sollen, eine Saison später war dann Karin Henkel als Regisseurin vorgesehen. Beides zerschlug sich, nun übernimmt Hausregisseurin Elsa-Sophie Jach. Es ist eine spannende Lösung, diese beiden zusammenzubringen: die straffen, schonungslosen, zarten Texte mit einer verspielten, viele Verweise einbindenden, musikalisch gedachten Regie. Yvonne Poppek

Welt retten, nächster Teil

Die Vorstellungskraft stärken: Lukas Bärfuss, hier im Münchner Literaturhaus, setzt auf die Literatur. (Foto: Catherina Hess)

"Was wir erben, was wir hinterlassen" lautete das Motto des Literaturfest-Forums von Lukas Bärfuss im vergangenen Herbst. Wer die eine oder andere Veranstaltung erlebte, bekam einen guten Eindruck davon, was den klugen Schweizer Schriftsteller umtreibt: alles. Immer geht es ihm um das große Ganze, und bei aller Trauer über den desolaten Zustand der Welt hält er es mit Antonio Gramsci: "Was wir brauchen, ist Nüchternheit", schrieb der Philosoph, "einen Pessimismus des Verstandes, einen Optimismus des Willens".

Diesen Optimismus will Bärfuss auch im Jahr 2024 verbreiten, und dass er das wieder in München in einer neuen Reihe an den Kammerspielen tun will, ist ein Grund zur Vorfreude. "Erde, Feuer, Wasser, Luft" lautet der Titel der Reihe, die an vier Terminen von Februar bis Juni geplant ist. "Neue Erzählungen für das Überleben im Anthropozän" soll sie liefern. Denn zwar seien die "multiplen Krisen der Gegenwart" gut erforscht, wie es in einer ersten Ankündigung heißt. Doch es fehle uns an Anschaulichkeit und an zweierlei Erzählungen: "an einer, die unsere Trauer in eine Form bringt, und an einer, die uns zeigt, was es alles zu gewinnen gibt".

Bärfuss geht es darum, unsere Vorstellungskraft zu entwickeln, und dafür setzt er auf Literatur und Theater. Und so soll die neue Reihe nach "Vorschlägen, Utopien und Ideen" suchen, "wie wir im 21. Jahrhundert auf diesem Planeten zusammenleben können". Jeder Abend wird von einer Lesung eingeläutet, es folgt ein Vortrag verschiedener Künstler, Politikerinnen, Wissenschaftler oder Aktivistinnen, anschließend wird das Thema im Gespräch mit Bärfuss und dem Publikum vertieft. Möge uns das im Jahr 2024, in dem die Krisen dieser Welt weiterschwären werden, tatsächlich mehr Orientierung geben: Alles, was unseren Optimismus des Willens stärkt, ist willkommen. Antje Weber

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Neue Filme, neue Perspektiven

Die besten Filme sind immer jene, die noch gar nicht existieren. Filme also, die schon gedreht, aber unveröffentlicht sind. Filme etwa wie Bora Dagtekins "Chantal im Märchenland" (AT), Alireza Golafshans' "Alles Fifty Fifty" oder "Treasure" von Julia von Heinz: Diese drei mit bayerischer Beteiligung entstandenen Produktionen sollen 2024 in die Kinos kommen. Dauert also noch etwas - bis dahin kann man sich ausmalen, wie gut sie sein könnten. Das nennt man Kopfkino.

Ebenfalls 2024 anlaufen soll die jüngste Regiearbeit von Tim Fehlbaum ("Hell", "Tides"), der in "September 5" (AT) Münchner Geschichten aus einer völlig anderen Perspektive erzählt. Es geht um den Terroranschlag bei den Olympischen Spielen 1972 und um ein US-Fernsehteam, das unvorbereitet von Sport- auf Nachrichtenberichterstattung umschalten muss. Eine Geschichte also über journalistische Verantwortung und die Macht der Medien: Aktueller geht es kaum. Der Film mit Peter Sarsgaard, Ben Chaplin und Leonie Benesch wurde dieses Jahr gedreht und soll 2024 in die Kinos kommen. Im Kopfkino ist er bereits ein potenzielles Meisterwerk, nach der Premiere hoffentlich auch noch. Josef Grübl

Eintauchen ins Metaverse

Eine Szene aus dem Zweikanal-Video "Matryoshka Verse" von Cao Fei. (Foto: Cao Fei, 2023, Courtesy Sprüth Magers and Vitamin Creative Space)

Wenn es um zeitgenössische Kunst aus China geht, kommt man an der Multi-Media-Künstlerin Cao Fei seit Jahren nicht vorbei. Mit ihren Fotos, Filmen, Videoinstallationen und zuletzt Virtual- und Augmented-Reality-Szenarien widmet sich die 1978 in Guangzhou geborene Künstlerin globalen Lebenswelten. Wie ein Seismograf untersucht sie künstlerisch deren Veränderungen aufgrund neuer Technologien. Eindrücke davon konnte man im zurückliegenden Jahr in Salzburg und Venedig sammeln, aber auch in München, wo Werke in Ausstellungen in der Alexander Tutsek Stiftung und im Pfeuffer 38 vertreten waren.

Einer der Höhepunkte jedoch war die großartige Solopräsentation der neuen Werkgruppe "Duotopia", die ihr die Galerie Sprüth Magers im Frühjahr ausrichtete. Sie zählte zu den interessantesten und am meisten beachteten Ausstellungen beim Berliner Gallery Weekend. Und wie zur Bestätigung ihres Ausnahmestatus schaffte sie es im kürzlich veröffentlichten Power-100-Ranking des Jahres 2023 von Art Review unter die ersten zehn Plätze.

Von 13. April an wird Cao Fei mit ihrer Videoserie "Meta-mentary" aus der Werkgruppe "Duotopia" im Münchner Lenbachhaus zu sehen sein. Als Figur zudem insofern, als die Künstlerin nicht nur künstliche Welten erfindet. Dank ihres Avatars China Tracy bewegt sie sich selbst in der virtuellen Welt und übersetzt ihre Erlebnisse digitaler Realitäten in surreal-dystopische Bilder. Es sind Bildwelten und Geschichten von großer Suggestionskraft, in denen reale und virtuelle Welten verschwimmen. Eine Ausstellung, die man nicht verpassen sollte! Evelyn Vogel

Warten auf das Bergson

Im Bergson Kulturkraftwerk ist eigentlich alles bereit für die Eröffnung. Was fehlt, ist der Strom. (Foto: Allguth GmbH)

Wieder so eine typisch Münchner Geschichte der verspäteten Bescherung. Ursprünglich sollte man in Aubing schon seit dem Sommer durch ein bombastisches Kulturprojekt schreiten können. Durch einen modernen Mini-Gasteig im und um das Monumental-Baudenkmal des ehemaligen Heizkraftwerks: Das "Bergson Kulturkraftwerk" mit diversen Bühnen, Deutschlands größter Galerie und einem intimen Kellerclub; mit einem hypermodernen, für alle Musikgenres geeigneten Konzertsaal in der in München aktuell fehlenden Größe von 500 Plätzen; und mit bunter Gastronomie vom edlen Restaurant über Cafés bis zum Biergarten.

Nachdem sich der Eröffnungstermin im Sommer als nicht machbar erwiesen hatte, sollte es jetzt im Januar losgehen. Das gut 20-köpfige Kreativteam des von den Brüdern Michael und Christian Amberger rein privatwirtschaftlich geplanten und getragenen Projekts war bereit, der Bau im Zeitplan, doch lustiger- beziehungsweise paradoxerweise war es nicht möglich, das ehemalige Kraftwerk rechtzeitig mit ausreichend Strom zu versorgen. Muss man die Vorfreude eben noch etwas länger im Bergson-Pop-up-Store im ehemaligen "Münzinger" am Marienplatz auskosten, bevor es im Mai endgültig im Münchner Westen losgeht. Die Spannung steigt. Oliver Hochkeppel

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusJahresrückblick
:Magische Kulturmomente 2023

Vom hinreißenden Ballettabend über tröstende Stimmen bis zur Menschheitsmusik mit allen Mitteln - gerade in von Krieg und Krisen belasteten Monaten kann Kunst wunderbar heilsam wirken. Wovon sich die SZ-Redaktion in diesem Jahr verzaubern ließ.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: