Oberfranken:Sandmann, lieber Sandmann

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Expertise von außen: Isabelle Thormann ist eine bundesweit anerkannte Fachfrau für forensische Linguistik. Sie hat Texte eines Pappkameraden mit denen eines SPD-Politikers verglichen. (Foto: privat)

In Bambergs Kommunalpolitik geht es kaum noch absonderlicher? Doch. Dort arbeiten sich viele gerade in die Tiefen der forensischen Linguistik ein, um den früheren SPD-Fraktionschef wegen möglicher "Fake Accounts" zu überführen.

Von Olaf Przybilla, Bamberg

Forensische Linguistik ist etwas, das Lokalpolitiker nicht fortlaufend auf dem Schirm haben brauchen. Warum auch? Diese Spezialdisziplin der Sprachwissenschaft versucht Bekennerschreiben, Erpresserbriefe oder Testamente bestimmten Autorinnen oder Autoren zuzuordnen, damit sind Richter gelegentlich konfrontiert - aber Kommunalpolitiker? Vielleicht im Vorabendprogramm.

Anders in Bamberg. Da beschäftigen sich gerade viele mit den Feinheiten deutscher Orthografie, Interpunktion, Lexik, Syntax und Semantik - sowie der Frage, ob es so etwas wie einen "sprachlichen Fingerabdruck" geben könnte, mit dem es möglich ist, sozusagen einen verdächtigten Schrifttäter aus dem Stadtrat zu überführen. Das klingt nun erst recht nach zünftiger Seifenoper. Ist aber Stadtgespräch in Bamberg.

Wie in einer TV-Soap üblich kommt man in einzelnen Fortsetzungs-Folgen dort inzwischen nicht mehr ohne das obligate "Was bisher geschah" zurecht. Kommunalpolitische Kurzfassung also: Seit Beginn der "Boni-Affäre" diskutiert die Stadt, ob dubiose Zahlungen an Rathausmitarbeiter (aufgrund derer die Staatsanwaltschaft ermittelt) der Skandal sind - oder eher die umfassende Berichterstattung darüber. Gerade in der Bamberger SPD, die den Rathauschef stellt, sind sich da nicht alle einig, der Wettstreit um die Deutungshoheit wird nicht zuletzt in den sozialen Netzwerken ausgetragen.

Dem im Netz ebenfalls umtriebigen Bamberger Kabarettisten Florian Herrnleben sind dort die Herren Stefan Sandmann, Matthias Franken und Timo Hausdörfer aufgefallen, unübersehbar SPD-affine Kommentatoren. Seiner Bitte, die sinisteren Herren doch auch mal persönlich kennenlernen zu dürfen (wie in einer Stadt der Größe Bambergs üblich), kamen diese notbehelfsmäßig mit virtueller Selbstauflösung nach: Pappgenossen offenbar, kreiert zur gefälligen Beeinflussung der öffentlichen Meinung.

Klärung sollte eine Sprachwissenschaftlerin bringen

Angesprochen darauf, was er als SPD-Stadtratschef von solchen Methoden halte, gab Klaus Stieringer im BR zunächst zu Protokoll, er finde dergleichen nicht zu beanstanden. Bat dafür alsbald um Verzeihung, trat auch als Fraktionsboss zurück, behielt aber seinen Sitz im Stadtrat und blieb bei seiner Darstellung: Er kenne diese Herren, kenne sie gut. Sei aber nicht identisch mit einem jener. Für die SPD-Fraktion ist die Erklärung seither hinreichend - der Humorist Herrnleben freilich will das so nicht auf sich beruhen lassen.

Er fragte bei der Sprachwissenschaftlerin Isabelle Thormann an, eine bundesweit anerkannte Fachfrau für forensische Linguistik. Und tatsächlich stellte sich diese für ein 70-minütiges Youtube-Video zur Verfügung, in dem sie Texte des verschollenen Pappkameraden Sandmann mit jenen des SPD-Manns Stieringer vergleicht. Und siehe da: Was Satzbau, sprachliche Normabweichungen, Kommafehler und allerlei mehr angeht, sind sich Stieringer und Sandmann erstaunlich ähnlich. So verwenden der eine wie der andere offenbar "Aber" gerne mal als Einwortsatz; auch nutzt man identisch konstruierte, eher ungewöhnliche Sprachbilder und weiß mitunter "erscheinen" nicht richtig einzusetzen.

Auf Nachfrage gibt die Wissenschaftlerin Thormann zu erkennen, sie habe das gerne gemacht - Kommunalpolitik, mal was anderes. Und nein, um jemanden für zweifelsfrei "überführt" zu halten, reiche das selbstredend nicht aus. Würde sie aber ein Gutachten schreiben, so hielte sie die Wahrscheinlichkeit für "hoch", dass da am Ende das Ergebnis stünde, dass der eine - Stieringer - dem anderen beim Formulieren zumindest aufs Allerengste zur Seite stand. Einen "linguistischen Fingerabdruck" gebe es so ohnehin nicht, ein "Beweis" sei das schon insofern nicht - konkrete, in ihrer Vielzahl sehr auffällige "Hinweise" seien es aber schon.

Und nun? Ist der Sonderfortsetzungsfall Bamberg noch etwas absonderlicher geworden. Nahezu der gesamte Stadtrat hat eine Meinung, nur Stieringer selbst äußert sich nicht. Der neue SPD-Stadtratschef Heinz Kuntke - selbst lange Richter - betont, dessen Fraktionsausschluss halte er schon aus formaljuristischen Gründen für nicht haltbar: Das ihm Bekannte sei "kein Beweis - als Stadträte sind wir an Recht und Gesetz gebunden". Und ein hochrangiger SPD-Mann aus Oberfranken stöhnt, bei der nächsten Kommunalwahl müsse seine Partei im Grunde gar nicht erst antreten. Siegesaussichten? Überaus überschaubar.

Wegen diverser Vorwürfe soll an diesem Freitag im SPD-Unterbezirk ein Parteiordnungsverfahren gegen Stieringer in die Wege geleitet werden. "So wie es ausschaut", habe dieser die Öffentlichkeit nicht mit der Wahrheit bedient, erklärt der Bundestagsabgeordnete Andreas Schwarz. Aber auch er ahnt: Parteiausschlüsse sind eine langwierige Sache. Was wiederum Politik-, nicht Sprachwissenschaftler bestätigen könnten.

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