Desertec-Initiator Rauch:"Am Klimawandel ist nicht zu rütteln"

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SZ: Ihr Konzern gilt als größter Verfechter des Desertec-Projekts. Warum treibt ausgerechnet ein Versicherer die Energiewende voran?

Rauch: Die Schäden durch Naturkatastrophen nehmen seit Jahrzehnten drastisch zu, daran hat wahrscheinlich auch der Klimawandel einen Anteil. Nehmen Sie den Hurrikan Katrina 2005 in den USA mit einem versicherten Schaden von über 60 Milliarden Dollar. Ich sage nicht, dass Katrina alleine ein Beleg für den Klimawandel ist. Aber unsere große Sorge ist, dass die Risiken durch den Klimawandel größer und Versicherungen zu teuer werden. In Deutschland beispielsweise zahlen Sie etwa 100 Euro im Jahr, um ein Haus gegen Sturm zu versichern, in Florida wegen der größeren Gefahren bereits das Zehnfache. Irgendwann in der Zukunft drohen wir den Punkt zu erreichen, an dem private Versicherungen teilweise nicht mehr funktionieren. Wir tun alles dafür, das zu verhindern.

SZ: Die Klimaforschung geriet zuletzt in Misskredit. Glauben Sie dennoch an die Erderwärmung?

Rauch: Am Klimawandel und den wissenschaftlichen Ergebnissen ist nicht zu rütteln. Klimawandel findet statt, und er ist menschengemacht. Wir sehen eindeutig, dass die Anzahl wetterbedingter Naturkatastrophen in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat. Wir registrieren heute dreimal mehr schwere Sturm- und Überschwemmungskatastrophen als vor 30 Jahren. Bei Erdbeben und anderen geophysikalischen Ereignissen gibt es dagegen nur eine leichte Steigerung. Und auch die Temperaturen erreichten zuletzt Monat für Monat Spitzenwerte. Was glauben Sie, was die Ursache dafür ist?

SZ: Wir hatten den kältesten Winter seit Jahren. Auch das Frühjahr war eisig.

Rauch: Stimmt, aber global gesehen zählen die ersten sechs Monate 2010 zu den wärmsten seit Beginn der Datenaufzeichnung im Jahr 1850. Man muss unterscheiden zwischen den persönlichen Erfahrungen und weltweiten Beobachtungsdaten, die nur in der langfristigen Betrachtung ein richtiges Bild ergeben. Und das ist eindeutig: Die Erde erwärmt sich. Und wir glauben, Indizien zu haben, dass der massive Anstieg der volkswirtschaftlichen Schäden nicht allein mit sozioökonomischen Veränderungen erklärt werden kann.

SZ: Welche Entwicklungen stellen Sie als Versicherer fest?

Rauch: Nicht nur die Zahl der Naturkatastrophen wächst. Wir sehen auch immer extremere Wetterentwicklungen. Es gibt also nicht nur Schäden durch Überschwemmungen, also zu viel Wasser, sondern auch durch zu wenig, etwa Dürren. Insgesamt werden die Auswirkungen langfristig einfach schwerer zu kalkulieren. Der Trend zu größeren Schäden liegt aber nicht nur am Klimawandel.

SZ: Was bereitet Ihnen noch Sorge?

Rauch: Das rasante Bevölkerungswachstum in den ärmsten Ländern. Es führt dazu, dass Städte in Küstennähe, wo die Gefahren ohnehin groß sind, besonders stark wachsen. Auch deshalb gibt es in der zweiten und dritten Welt mehr Opfer von Naturkatastrophen als in der ersten. Von 1980 bis heute kamen nach unseren Daten weltweit etwa 1,7 Millionen Menschen bei Naturkatastrophen aller Art ums Leben, fast neun Zehntel davon in Asien und Afrika. Entwicklungs- und Schwellenländer sind also auf der humanitären Seite weitaus am stärksten betroffen. Ich halte die Zahlen für schockierend. Da muss etwas passieren. Bei den versicherten Schäden ist es natürlich gerade andersherum. Sie sind in den Industrieländern am größten.

SZ: Die Welt macht trotzdem weiter wie bisher. Die internationale Klimakonferenz von Kopenhagen ist mit Pauken und Trompeten gescheitert. Glauben Sie trotzdem noch an eine Lösung im verfahrenen Streit?

Rauch: Die große Gefahr ist tatsächlich, dass die Welt abwartet, bis die Schmerzgrenze überschritten ist. Das Bittere ist, dass sie in den Industrieländern viel später kommt. Wir können uns an Gefahren besser anpassen - zum Beispiel mit teurem Küstenschutz. Die Ärmsten werden früher leiden.

SZ: US-Präsident Barack Obama glaubt, die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko werde die Umweltpolitik so stark verändern, wie die Terroranschläge des 11. September das Sicherheitsdenken. Teilen Sie die Hoffnung?

Rauch: Ja. Bei allem Leid zeigt das Unglück uns deutlich, wie wichtig es ist, die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen zu reduzieren. Die Risiken von Tiefseebohrungen wurden unterschätzt. Künftig müssen mögliche Umweltfolgen eine viel größere Rolle spielen. Bei der Energieerzeugung fallen nicht nur Kosten in Kraftwerken an. Die Bewertung muss auch die Risiken der Technologie bei Unfällen und die Entsorgung widerspiegeln. Katastrophen dürfen nicht am Steuerzahler hängen bleiben. Da können erneuerbare Energien enorm punkten.

SZ: Was genau meinen Sie?

Rauch: Ich bin sicher, es ist volkswirtschaftlich richtig und sinnvoll, jetzt erneuerbare Energien drastisch auszubauen. Sie schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe: Der Klimawandel wird gebremst, und Risiken anderer Technologien im Laufe der Zeit vermieden. Das geht nicht von heute auf morgen, und wir werden sicher noch lange einen Mix aus verschiedenen Energieträgern haben. Aber: Es ist höchste Zeit, umzusteuern.

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