Europäische Union:EU-Staaten begraben Lieferkettengesetz

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Frauen arbeiten in einer Textilfabrik in Savar am Stadtrand von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Dort war 2013 die Textilfabrik Rana Plaza eingestürzt. (Foto: MUNIR UZ ZAMAN/AFP)

Nur noch eine Minderheit der Mitgliedsländer unterstützt den Entwurf zur Sicherung von Umweltstandards und Menschenrechten. Deutschlands Enthaltung ist nicht mehr ausschlaggebend.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Das umstrittene EU-Lieferkettengesetz ist vorerst gescheitert und steht vor einer ungewissen Zukunft. In einer entscheidenden Sitzung des Rats der Europäischen Union sprach sich am Mittwoch nur noch eine Minderheit der Mitgliedstaaten für den Entwurf aus, über den damit wohl neu verhandelt werden muss. In Deutschland, Frankreich und Italien signalisierten die drei größten EU-Länder, sich im Fall einer Abstimmung zu enthalten, was im Ergebnis wie ein Nein gewirkt hätte. Schon das machte die nötige Mehrheit unmöglich. Botschafter von zehn weiteren Staaten hätten ihre Enthaltung oder Gegenstimme angekündigt, hieß es aus informierten Kreisen, darunter Schweden, Finnland, Österreich und die Slowakei.

Als Vertreter der amtierenden EU-Ratspräsidentschaft hatten belgische Diplomaten bis zuletzt versucht, eine Mehrheit zu organisieren. Die Abstimmung wurde mehrmals vertagt. Belgiens Regierung bedauerte das Ergebnis: Man habe "trotz der Anstrengungen der Präsidentschaft" nicht die nötige Unterstützung gefunden. Nun werde man sehen, ob den Bedenken der Mitgliedstaaten zu begegnen sei, und sich dazu mit dem Europäischen Parlament beraten. Eine Lösung in der Sache noch vor den Europawahlen Anfang Juni ist unwahrscheinlich.

Unterhändler des Ministerrats und des Parlaments hatten sich im Dezember auf eine gemeinsame Version des Gesetzes geeinigt, noch unter Federführung der spanischen Ratspräsidentschaft. Es hätte Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro dazu verpflichtet, entlang ihrer gesamten Lieferkette auf die Einhaltung von Umweltschutzstandards und Menschenrechten hinzuwirken. Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen hätten nach dem Gesetz die Möglichkeit, Firmen im Namen von Arbeitnehmern zu verklagen. Der Rechtsakt ist deutlich strenger als das deutsche Lieferkettengesetz.

Der deutsche Mittelstand dürfte erleichtert sein

Das war einer von mehreren Angriffspunkten, mit denen die FDP begründete, warum sie das Gesetz ablehnt. Im Januar erteilte das Parteipräsidium dem Entwurf eine Absage, da er "unverhältnismäßige bürokratische Hürden und Rechtsunsicherheit" schaffe. Die grün geführten Ministerien und der federführend zuständige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) trugen den Kompromiss dagegen mit. So zeichnete sich ab, dass sich die Bundesregierung nicht auf eine gemeinsame Position würde einigen können.

Daraufhin stand die FDP aus Sicht ihrer Kritiker wieder einmal als Blockade-Partei da, die Deutschlands europapolitische Wirkmacht untergrabe. Bundesjustizminister Marco Buschmann mühte sich wochenlang ab, seine kritische Haltung zu erklären. Dafür hatte er einige Argumente, zumal sich die Ampelkoalition im Rat Ende 2022 frühzeitig festgelegt hatte: Sie werde nur ein Gesetz unterstützen, das etwa eine Ausnahmeregel für Unternehmen enthalte, die bestimmte Zertifizierungen vorweisen können. Für solche Ausnahmen aber gab es in den Verhandlungen keine Mehrheit. Im vergangenen November erklärte die Bundesregierung dann, Berlin werde das Ergebnis insbesondere anhand der "Mittelstandsfreundlichkeit" messen.

Am Mittwoch zeigte sich: Das Gesetz hätte nun auch mit deutscher Zustimmung keine Mehrheit gefunden. "Die EU-Lieferkettenrichtlinie wird in dieser Form nicht kommen", sagte Buschmann voraus. Jetzt müsse man den gescheiterten Entwurf beiseitelegen, "um nach der Europawahl mit einer frisch ernannten Kommission Gespräche über einen bürokratiearmen, schlanken und wirksamen Entwurf auf den Weg zu bringen".

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Die Befürworter der Richtlinie aus den Reihen von SPD und Grünen erneuerten ihre Kritik an dieser Haltung. Der rechtspolitische Sprecher der Europa-SPD, Tiemo Wölken, sprach von einem "schwarzen Tag für die Menschenrechte weltweit". Die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini sah in den Kontakten von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit anderen EU-Regierungen in der Sache einen "Affront gegen das Europaparlament". Vertreter des deutschen Mittelstands zeigten sich dagegen erleichtert. Es werde "ein weiterer Bürokratie-Tsunami für kleine und große Unternehmen verhindert", sagte Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Politik.

Kurz vor der entscheidenden Abstimmung am Mittwoch forderte der frühere Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) im Gespräch mit der SZ, dem Entwurf zuzustimmen. Er hatte das deutsche Lieferkettengesetz mitverantwortet. "Und dieses Gesetz funktioniert, alle Schreckensszenarien sind nicht eingetreten", sagte er. So werde es auch mit dem EU-Gesetz sein.

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