Insgesamt 800 000 Fans werden zu den zehn Konzerten von Adele in München strömen, mehr als 200 000 zu Coldplay, je 140 000 zu Metallica und AC/DC, bei Ed Sheeran werden 100 000 auf der Theresienwiese erwartet - wenn der Termin erst einmal bestätigt ist. Angesichts der Zahlen bei den Riesen-Open-Airs in München kann einem schon schwindlig werden. Auch bei den Events selbst: Für viele sind solche Messen für die Massen das Größte, aber das Größte ist für viele zu beklemmend, zu unpersönlich, zu teuer (falls überhaupt noch buchbar). Für wahre Fans ist der Superstar natürlich das Ein und Alles - aber es gibt zu jedem Star auch einen Künstler, der ihm auf irgendeine Weise nahekommt, und das an einem kleineren Ort: ein paar Vorschläge für Alternativen.
Adele und Claudia Koreck
Nicht nur, dass die beiden immer noch bisweilen den Drang verspüren, sich auf der Bühne von drückenden Schuhen zu befreien. Auch sonst kann man bei Adele Laurie Blue Adkins und Claudia Koreck Parallelen entdecken. Sie sind zum Beispiel beide im Mai geboren, Adele 1988, Claudia 1986, und wuchsen, man darf das sagen, als Landeier auf: in Tottenham respektive Traunstein. Vielleicht kommt daher dieses Erdverbundene bei den beiden Sängerinnen, das die Erhabenheit ihrer himmlischen Stimmen umso erstaunlicher werden lässt.
Beide sind Herzensmenschen: Adele, 2007 von der BBC mitentdeckt, ist Weltstar, während Claudia Koreck, 2007 vom BR in die Hitparade gebracht, zwar immer noch gerne "Barfuaß um die Welt" zieht, sich aber auf den Bühnen ihrer Heimat pudelwohl fühlt. Die Songwriterin kann alles, Englisch und Bairisch, Soul, Folk und Pop und ist damit eine prima nahbare Alternative zu Adele. Wie die britische Kollegin draußen im Riemer Pop-up-Stadion vor zehnmal 80 000 Fans ist auch Koreck heuer nicht in der Münchner Innenstadt zu erleben, dafür bei einem gut geerdeten Konzert auf der Landesgartenschau bei Kirchheim. zir
Adele, 2., 3., 9., 10., 14., 16., 23., 24., 30. & 31. August, München, Messe Riem; Claudia Koreck, 12. Juli, Kirchheim bei München, Landesgartenschau
Roland Kaiser und Christian Steiffen
Ohne den Schlager-Gigolo Roland Kaiser gäbe es keinen Dieter Thomas Kuhn, der auch auf Tollwood wieder "Zieh dich nicht aus, Amore Mio" in doppelten Tempo zelebrieren wird (22. Juni). Und es gäbe keinen Christian Steiffen, den "Arbeiter der Liebe". Steiffen, bürgerlich: Hardy Schwetter, singt zwar keine Fremdlieder wie Kuhn, zieht sich aber in seinen eigenen ironietrunkenen Hits die Schlager-Schlaghosen gerne an. Und ist dabei doch tiefschürfender, als es seine Stimmungs-Titel wie "Sexualverkehr" vermuten lassen.
Womit wir wieder bei Kaiser wären, der viel Kluges sagt, schon lange auch gegen die AfD, und eh ein politischer Mensch (SPD) ist. Derweil hat Schwetter tatsächlich und ernsthaft schon als Bürgermeister von Osnabrück kandidiert. Seit einer Weile ist bei beiden ein erstaunliches Größenwachstum festzustellen: Roland Kaiser spielt in München auf dem Königsplatz, Christian Steiffen gleich zwei Konzerte in der Muffathalle.
Um eine weitere echte ZDF-Hitparaden-Legende nicht zu übersehen - die große Lady des deutschen Schlagers: Die zweifache ESC-Teilnehmerin Mary Roos kommt zusammen mit Wolfgang Trepper endlich auch nach München, um in ihrem Musik-Kabarett "Mehr Nutten, mehr Koks - Scheiß auf die Erdbeeren!" die ganze Branche zu verspotten. zir
Roland Kaiser, 29. Juni, Königsplatz; Christian Steiffen, 9. & 10. Mai, Muffathalle; Mary Roos, 3. Juni, Circus Krone
Taylor Swift und Devado
Taylor Swift wusste schon mit 14, dass sie Musikerin werden will. Debby van Dooren stand bereits mit neun Jahren auf der Bühne. Taylor Swift versuchte es zunächst mit Country-Musik. Debby van Dooren war Teil einer Hip-Hop-Gospel-Formation. Taylor Swift war noch nicht mal 30, als sie ihren ersten Charterfolg hatte. Gut, Debby van Dooren hatte mit Ende 20 ebenfalls ihre erste Goldene Schallplatte (weil sie die Hauptrolle der Vaiana im gleichnamigen Disneyfilm sang). Beide Künstlerinnen sind mittlerweile in der Pop-Musik gelandet, beide performen meist bauchfrei auf der Bühne, beide verbreiten mit ihrer Musik so viel gute Laune, dass man ihre Lieder auf Rezept in der Apotheke bekommen müsste.
Und doch kann Debby van Dooren, die sich mittlerweile Devado als Künstlerin nennt, mehr als die US-amerikanische Pop-Milliardärin. Devado benötigt keine Band. Ihre Songs kommen ohne Instrument aus, keine Gitarre, kein Keyboard - ihr Körper ist ihr Instrument. Alle Beats hat die Musikerin mit Body-Percussion eingespielt, für die Melodie hat sie ihre Stimme eingesetzt. "Mehr von mir kann es nicht geben", sagt sie - und da sind die Fans von Taylor Swift jetzt aber neidisch. mbr
Taylor Swift, 27. & 28. Juli, Olympiastadion; Devado, 19. April, Lost Weekend
Peter Maffay und Keimzeit
Für seine Fans ist Maffay immer "der Peter", immer per "Du", auch wenn er diesen Schlager längst gegen seine Rocknummern eingetauscht hat. Aber ganz selten wird man ihm wirklich so nah kommen, es sei denn, man wohnt wie er in Tutzing, oder man hatte jüngst das Glück, ihm bei einer Benefiz-Aktion für benachteiligte Kinder an einer Supermarkt-Kasse zu begegnen. Bei seiner großen Abschieds-Tournee auf dem Königsplatz muss man sich den Peter jedenfalls mit Zehntausenden teilen, und noch dazu mit der Sängerin Anastasia.
Für die Fans kann es freilich nur einen geben, aber Freunde des Deutschrocks könnten sich noch für eine andere Legende erwärmen. Als Maffay den Karat-Hit "Über sieben Brücken" in der BRD groß machte, waren Keimzeit mit Hits wie "Klang Klang" seit 1980 in der DDR eine poetische Macht (und zeitweise ohne Spielerlaubnis). Norbert Leisegang und seiner Band-Familie kommt man auf der Best-of-Tour "Von Singapur nach Feuerland" im Münchner Strom nahe. zir
Peter Maffay, 28. Juni, Königsplatz; Keimzeit, 18. April, Strom
Coldplay und Razz
Vier Männer an Instrumenten, englische Songtexte und eingängige Hooks zum Mitsingen - die Indie-Rockband Razz aus dem Emsland kann als modernes Pendant der 2000er-Superstars Coldplay mit deutlich kleinerem Publikum und wohl hipperen Outfits punkten. Noch füllen sie nicht das Olympiastadion wie die Briten nun dreimal mit ihrer "Music of the Spheres World Tour", sondern treten in intimerer Atmosphäre im Feierwerk auf. Die 2011 gegründete Band aus Kindergartenfreunden sowie die einstigen Studienkollegen um Coldplay-Frontsänger Chris Martin vereinen in ihrer Musik Tiefgründigkeit mit Leichtigkeit und scheinen ihren Songtiteln nach eine Vorliebe für Farben und Geister zu teilen. Während Coldplay Milliarden Fans mit ihrem Hit "Yellow" berühren, überzeugt Razz' Farbenhymne "Red and Blue" durch ihre energetische Art mit ebenso viel Gefühl. knoa
Coldplay, "Music of the Spheres World Tour", 15., 17., 18. August, Olympiastadion; Razz, 4. April, Feierwerk
Andreas Gabalier und Monaco F
Freilich, Andreas Gabalier hat den "Volks-Rock-'n'-Roll" erfunden. Ob es den braucht, ist eine andere Frage, aber Millionen Fans finden: ja. Gabalier ist einzigartig, auch wenn er auf den Schultern von alpenländischen Weltmusik-Riesen von Ambros bis Hubert von Goisern steht. Und ist der Lederbehoste, der nun zum fünften Mal das Olympiastadion als "Epizentrum des Volks-Rock-'n'-roll" behulapaludelt, wirklich der größte Entertainer im Dirndl-Raum? Da kennen dessen Fans aber Monaco F noch nicht: Der "Bayern-Rap-Kini" hat mit Doppel D ("Watschnbaam") schon auf Bairisch gerappt, als Gabalier noch Jus studierte. Bierzelt-erfahren ist der Münchner auch ("Grün ist die Hopfnung"), und sein Horizont ist auch viel weiter als "die steile, kleine Welt" des Steirers. zir
Andreas Gabalier, 22. Juni, Olympiastadion; Monaco F, 8. März, Backstage
AC/DC: und We Salute You
An das Starkstrom-betriebene Original heranzureichen, ist unmöglich. Allein schon was AC/DC 2003 bei ihrer Mini-Show im Circus Krone an Böllerschüssen abfeuerten, erschütterte das ehrwürdige Gebäude in den Grundmauern. Immerhin steht es noch, und so kann hier "We Salute You" steigen, die "weltweit größte AC/DC-Tribute-Show". Der britische Sänger Grant Foster und seine Band versprechen Hardrock-Fans ein authentisches Gefühl und alle Hits - zu sehen, wie Angus Young zu "The Jack" die Hose runterlässt, ist allerdings den Besuchern des Olympiastadions vorbehalten. zir
AD/DC, 9. und 12. Mai, Olympiastadion; We Salut You, 10. Mai, Circus Krone
Ed Sheeran und Bernhoft
Diese Sache mit den "Loopern" lässt sich dem Musikproduktions-Laien (also jedem vernünftigen Menschen) immer schwer erklären. Kurzer Theorieteil also, wie Ed Sheeran und der in diesen Dingen weniger erfolgreiche, aber deutlich lässigere Bernhoft live den Großteil ihrer Musik erschaffen: Sehr vereinfacht gesprochen, haben die beiden einen Kasten vor sich auf dem Boden stehen, mit dem sie ihre Instrumente und Stimmen aufnehmen und dann in Endlosschleife, also wie eine genau im Takt springende Platte, abspielen können. Der Kasten ist zudem so gebaut, dass man Instrument um Instrument und Gesangmelodie um Gesangsmelodie übereinander schichten und so zu einem Arrangement zusammensetzen kann. Quasi: die Schwarzwälder Kirschtorte unter den Songs.
Das System ist irre praktisch, weil man allein eine ganze Band simulieren kann. Es hat aber auch Tücken, weil man dazu neigt, die Musik in kurzen, vertikalen Blöcken zu denken, statt eine Geschichte über die ganze Distanz zu erzählen. Sheeran, zum Beispiel, hat damit ein paar ganz enorm wirkmächtige Groß-Hits zustande gebracht - aber auch immer wieder Zeug von beinahe zenhafter Banalität. Der Norweger Bernhoft nun verhält sich zu Sheeran wie, sagen wir mal: Prince zu James Last. Funkiger, ein paar zusätzliche Kanten, sehr viel Soul und insgesamt der zwingendere Groove. Aber Spaß machen, natürlich, beide. biaz
Ed Sheeran, 12. Juni, Theresienwiese (noch nicht offiziell bestätigt); Bernhoft, 4. März, Feierwerk
Metallica & My'Tallica
Mit 110 Millionen verkauften Tonträgern seit 1981 und zehn Grammys zählen Metallica zu den "Großen Vier" unter den Heavy-Metal-Schwergewichten. Als solche gastieren James Hetfield, Lars Ulrich und Co. nicht nur zweimal im Olympiastadion, sondern bringen auch jeweils etwa mit Architects (24. Mai) oder Five Finger Death Punch (26. Mai) ein anderes und mächtig bestücktes Vorprogramm auf die Bühne. Wie ein zweitägiges Metal-Festival. Wer ein solches kleiner und schwitziger erleben will, kann das schon am 2. Mai im Backstage beim "Growl Bowl Festival", mit sieben hart gesottenen Bands wie den Death-Metal-Lokalheroen Hailstone.
Der Show von Metallica kommt nur eine näher: My'Tallica. Seit 15 Jahren zollt die Band aus Deutschland ihren US-Idolen Tribute: mit dem originalgetreuen Equipment, aber auch Videos aus der 42-jährigen Geschichte von Metallica. zir
Metallica, 24. & 26. Mai, Olympiastadion; My'Tallica, 25. Mai, Backstage
Festivals und Einzelkonzerte
Der Ticketpreis soll niemanden abhalten, zum "Oben Ohne"-Open-Air auf dem Königsplatz zu gehen, den halten die Kreisjugendringe München Teenager-günstig bei zehn Euro. Das aber heißt wiederum, dass der Ansturm auf das "größte Non-Profit-Festival Süddeutschlands" gewaltig ist. Wer zu Bibiza, Zimmer90, Siovio, Ela und den anderen nicht mehr reinkommt oder wem das Gedränge einfach zu krass ist, der kann sich trösten: Esther Graf zum Beispiel, die "Power-Österreicherin", die mit ihren sehr persönlichen, urbanen Pop-Punk-Songs 60 Millionen Streams verbucht, kommt schon bald allein ins kleine Ampere zurück. zir
Und auch für 01090 gibt es eine Alternative: die 102 Boyz. Hinter den Zahlenkombinationen verbergen sich jeweils rappende Jungs, die über die Bühnen von Festivals hüpfen und die Stimmung beim Publikum ankurbeln. Die beiden Bands kommen sich mit ihrer Im-Moment-leben-Einstellung, der Liebe zu Autotune und den Songs über Getränke nahe. So ist die Festivalhymne "Bier" von den 102 Boyz in Kooperation mit BHZ wohl eine lasterhafte Version von 01099s Hit "Durstlöscher": "Alle meine Freunde stinken morgens schon nach Bier" statt "Ich nehm' vom Durstlöscher und der Kippe noch 'n Zug". Bei dem Konzert der siebenköpfigen Crew in der Tonhalle erwarten Rap-Fans exzessive Moshpits und harte Punchlines. Eine derbe Alternative zu den bodenständigen Dresdnern mit Abriss-Garantie. knoa
Oben-Ohne-Open-Air, 20. Juli, Königsplatz; Esther Graf, 26. Oktober, Ampere; 102 Boyz, 26. April, 20 Uhr, Tonhalle
Beide Male ausverkauft war das "Superbloom"-Festival im Olympiapark bisher. Auch heuer dürfte es wieder eng werden im Stadion und vor den anderen Bühnen, was an Zugnummern wie Cro liegt. Es ist der einzige Auftritt des Pop-Rappers mit der Pandamaske 2024 in München. Aber: Ein Phantom, das den Fokus auf die Musik legt - genauso geht es auch der Newcomer 1986zig an, der mit der schwarzen Sturmhaube. Er gibt sogar noch weniger über seine Identität preis. So lässt er weder seinen Namen, sein Aussehen noch sein Alter an die Öffentlichkeit dringen. Vertreten wird er übrigens von Cros ehemaligem Label Chimperator. Wenn Cro von "1000 Hits" singt, sind es bei 1986zig "1000 Sterne". Beide Musiker mit Maske sind für ihre positive Art bekannt, doch Cro steht für Gute-Laune-Hits und seine Leichtigkeit, während 1986zig tiefgründigere Themen anspricht. Mit seiner kratzigen Stimme singt er davon, im Kinderheim aufzuwachsen, von seiner Zeit im Gefängnis und wie es war, sein Leben auf null zu setzen. maky
Cro bei "Superbloom", 7. & 8. September; 1986zig, 10. Oktober, Tonhalle