MVG-Leihräder:Das Umland schaltet einen Gang zurück

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In Neubiberg, wo Hightech-Firmen wie Infineon stehen und junge Menschen an der Bundeswehr-Uni studieren, soll das Angebot an MVG-Leihrädern sogar ausgebaut werden. (Foto: Claus Schunk)

Nach dem Ausstieg des Landkreises aus der Finanzierung wollen die Gemeinden am MVG-Leihradsystem festhalten, allerdings auf Kosten des Angebots: Die Anzahl der Räder und Stationen wird vielerorts reduziert.

Von Daniela Bode, Laura Geigenberger, Iris Hilberth, Annette Jäger und Martin Mühlfenzl, Landkreis München

Das Leihradsystem der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) gehört in vielen Kommunen im Landkreis München inzwischen zum Straßenbild, weshalb sie auch bei der Neuauflage des Konzepts im Jahr 2025 weiter dabeibleiben wollen. Das ist zumindest Beschlusslage in den Gemeinden, die bereits über das neue Leihradsystem beraten haben. Dabei trifft die Kommunen der erst kürzlich gefasste Beschluss des Kreistags, aus der Finanzierung auszusteigen, empfindlich. Der Landkreis beteiligt sich bislang zu 50 Prozent an den Kosten, von Herbst 2025 an müssen die Städte und Gemeinden das Angebot selbst bezahlen. Einige Gemeinden haben das Programm jetzt abgespeckt, andere haben aber auch aufgestockt.

Im Landkreis München nehmen aktuell 22 Gemeinden am Leihsystem MVG Rad teil. Seit 2018 wurden insgesamt 181 Stationen aufgebaut, an denen mehr als 1200 Fahrräder zur Ausleihe bereitstehen. Im Herbst 2025 wird das Konzept turnusbedingt neu ausgeschrieben, der Vertrag zwischen dem Dienstleiter Nextbike GmbH und der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) endet. Das neue System soll auf den gesamten MVV-Bereich ausgedehnt werden. Einige Verbesserungen sind dabei vorgesehen: So sollen etwa die Stationen nur noch über Bodenmarkierungen und Beschilderungen ausgewiesen werden, was es einfacher machen soll, eine Station an einen anderen, attraktiveren Standort zu verlagern. Außerdem werden die Räder künftig von der MVG geleast und das Angebot soll um elektrobetriebene Modelle, sogenannte Pedelecs, erweitert werden. Jedes Fahrrad wird die teilnehmenden Kommunen künftig etwa 700 Euro an Leasinggebühr im Jahr kosten, ein Pedelec rund 1250 Euro. Hinzu kommen Investitionskosten für die Umgestaltung der Stationen.

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Die Neuauflage des Leihradsystems ist die Chance für die Gemeinden, ihren Bedarf an Stationen und Rädern zu justieren. In einigen Gremien ist die Debatte längst geführt worden, jetzt muss vielerorts das Thema nochmal auf den Prüfstand, denn die Kostenstruktur ist mit dem Ende der Landkreis-Subventionierung eine völlig neue. Peter Köstler (CSU), der Bürgermeister von Gräfelfing, sagt offen, dass er die Entscheidung nicht nachvollziehen könne. Die Leihräder seien ein Baustein der Mobilitätswende, die ja weiter betrieben werden solle. Er ärgert sich über den Zeitpunkt des Landkreisbeschlusses. In Gräfelfing sei das Thema unter der Annahme beraten worden, dass die Finanzierung weiterläuft wie gehabt. Jetzt muss der Gemeinderat die Zahlen noch einmal genau anschauen.

Allein für Haar belaufen sich die Mehrkosten auf 23 000 Euro

Das Leihradsystem ist für alle teilnehmenden Kommunen ein Defizitgeschäft, denn mit den Ausleihgebühren allein lässt sich der Betrieb nicht finanzieren. Durch den Rückzug des Kreises müssen die Städte und Gemeinden künftig noch mehr selbst draufzahlen. Die Gemeinde Haar etwa hat das genau ausgerechnet: Beim Wunschmodell mit 59 Rädern und neun Pedelecs kämen rund 36 000 Euro an Mehrkosten zusammen. Deshalb hat sich der Gemeinderat dafür entschieden, auf Pedelecs zu verzichten und dafür 60 Räder aufzustellen. Damit kostet der Betrieb immer noch rund 23 000 Euro mehr als bisher. Auch im finanziell klammen Neuried werden Räder reduziert, "um die Kosten unter Kontrolle zu halten", wie Bürgermeister Harald Zipfel (SPD) sagt.

Andere Gemeinden nutzen eine andere Stellschraube, um Kosten zu sparen: Sie reduzieren die Anzahl an Stationen. Aufgegeben werden jene, die bisher nicht gut angenommen worden sind. So macht es Oberhaching, das unbedingt am Mietradsystem festhalten will, schließlich ist die Gemeinde zertifizierte fahrradfreundliche Kommune und in zwei Jahren steht die Rezertifizierung an. Von bislang neun Stationen werden nur noch vier beibehalten, statt 68 Räder sollen künftig nur noch 36 angeboten werden. Die beiden S-Bahnhöfe Furth und Deisenhofen sowie die Stationen in den Gewerbegebieten sollen bleiben, sie wurden bislang am besten genutzt; der Gemeinderat muss dem Vorschlag aus dem Rathaus noch zustimmen.

In Aschheim sollen aus sechs Stationen vier werden, mit der Option, zu einem späteren Zeitpunkt aufzustocken. Auch die Räder werden reduziert, dafür wird ein Teil durch Pedelecs ersetzt. Das war den Gemeinderäten wichtig, damit das Leihradsystem für alle Bürger geeignet sei, vom 18- bis zum 80-Jährigen, sagt Sebastian Ziegler von der Gemeindeverwaltung.

Pullach und Neubiberg rüsten dagegen sogar auf und schaffen Pedelecs an

Doch nicht alle Kommunen im Landkreis zücken den Rotstift. Wer es sich leisten kann, stockt sogar auf. So soll es in Pullach künftig zwei Stationen mehr geben. Vor allem am Bahnhof Höllriegelskreuth und an der Großhesseloher Brücke sei erhöhte Nachfrage zu verzeichnen, heißt es aus dem Rathaus. Außerdem werden neun Pedelecs angeschafft. Es gebe Höhenunterschiede in der Gemeinde, Pendler hätten es dann "leichter zu treten" auf dem Weg zur Arbeit, so ein Argument in der jüngsten Sitzung des Gemeinderats. Auch die Gemeinde Neubiberg, die beim Start der MVG-Räder die vielen Beschäftigten der Firmen Infenion und Intel sowie die Studierenden der Universität der Bundeswehr im Visier hatte, wird um eine Station aufstocken und zehn Pedelecs anschaffen. Allerdings werden die Standorte zum Teil neu konzipiert, denn nicht alle werden optimal genutzt. Die Stationen an den S-Bahnhöfen Neubiberg und Fasanenpark Ost werden beibehalten, ebenso die Standorte in der Bamerstraße und bei der Universität. Auch Infineon will laut Gemeindeverwaltung weiter am Leihradsystem teilnehmen.

Sauerlachs Bürgermeisterin Barbara Bogner setzt lieber weiter aufs eigene Fahrrad. (Foto: Claus Schunk)

Eines wird an der Debatte in den Kommunen deutlich: Das Leihradsystem bewährt sich vor allem in Gemeinden mit regem Pendelverkehr, wo Bahnhöfe und Gewerbegebiete angeschlossen sind und Berufstätige zur Arbeit radeln. In sehr ländlichen Regionen ist der Nutzen nach Ansicht der dortigen Gemeinderäte dagegen fragwürdig. So hat der Gemeinderat von Sauerlach zum dritten Mal eine Beteiligung am Leihradsystem abgelehnt. Auf dem Land sei es nicht praktikabel und wirtschaftlich, hieß es. "Da fährt einer vom S-Bahnhof Sauerlach nach Arget, dann steht das Radl da und wird von einem Dieselfahrzeug wieder nach Sauerlach zurückgebracht, weil es sonst keiner nutzt. Das ist auch nicht umweltfreundlich", so Bürgermeisterin Barbara Bogner (UBV).

Auch die Grünen, die das Leihradsystem bisher immer befürwortet haben, denken um. Durch den Ausstieg des Landkreises aus der Finanzierung ergebe eine Beteiligung keinen Sinn mehr, sagt der Sauerlacher Grünen-Gemeinderat Wolfgang Büsch. Wenig Begeisterung entfacht das Leihradthema auch in Grasbrunn, obwohl sich die Gemeinderäte die Option offenhalten wollen, doch noch einzusteigen. "Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir dieses Bikesharing aufgrund unserer Gemeindestruktur schlicht und ergreifend nicht brauchen", sagt Bürgermeister Klaus Korneder (SPD).

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