Anglizismus des Jahres:Der Anfang aller "Gates"

Seit der Watergate-Affäre beschreibt das Wortanhängsel "-gate" alle möglichen Affären, von der absurden Randerscheinung bis zur politischen Krise. Nun haben Sprachwissenschaftler das Wort zum Anglizismus des Jahres gekürt. Eine Auswahl der bekanntesten und abseitigsten "Gates".

Matthias Huber

Anglizismus des Jahres

Watergate 1972

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(Foto: dpa/dpaweb)

Seit der Watergate-Affäre beschreibt das Wortanhängsel "-gate" alle möglichen Affären, von der absurden Randerscheinung bis zur politischen Krise. Nun haben Sprachwissenschaftler das Wort zum Anglizismus des Jahres gekürt. Eine Auswahl der bekanntesten und die abseitigsten "Gates". Es war die Initialzündung für ein ganz bestimmtes Genre der Skandalberichterstattung: "Watergate". Am 17. Juni 1972 brach eine Gruppe in das Watergate-Hotel in Washington D.C. ein, um Abhörmikrofone in den Räumen der Demokratischen Partei zu installieren. Durch anschließende Recherchen der Washington-Post-Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein und die Ermittlungen des FBI kam ans Licht, dass die fünf verhafteten Einbrecher im Auftrag engster Vertrauter des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon handelten. Die Watergate-Affäre kostete Nixon das Amt. Er kam einem Impeachment-Verfahren zuvor, als er am 9. August 1974 als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zurücktrat. Der Skandal liegt weit zurück, doch der Begriff hat 40 Jahre später noch Bestand. Wurden bis dahin noch Worte wie "Affäre" oder "Skandal" angehängt, so ist der Zusatz "-gate" inzwischen selbst als Anhängsel in den Wortschatz eingegangen. Inflationär werden selbst hochskurillen Ereignissen mal mehr, mal weniger klangvolle Bezeichnungen mit "-gate" zugeschrieben, doch nur die wenigsten von ihnen haben eine ähnlich skandalöse Qualität wie das Original erreicht. Text und Bildauswahl: Matthias Huber

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Waterkantgate 1987

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(Foto: dpa)

Dazu gehört auch die Affäre um den damaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel, aus dem Jahre 1987. Der CDU-Politiker ließ vor der Landtagswahl den Gegenkandidaten der SPD, Björn Engholm, durch Privatdetektive beschatten. In der Hoffnung, mit Details über das Intimleben Engholms im Wahlkampf punkten zu können. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe sprach Barschel in Kiel vor der Presse: "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind." Zwei Wochen später trat er von seinem Amt als Ministerpräsident zurück, wenige Tage darauf wurde er tot in einem Hotelzimmer gefunden. Die Umstände seines Todes sind bis heute nicht abschließend geklärt. Die Parallelen zur Affäre um Richard Nixon aber sind offensichtlich: Im Mittelpunkt beider Skandale stehen Vorwürfe um Amtsmissbrauch und schwere Eingriffe in die Privatsphäre politischer Gegner im Wahlkampf. Barschels anschließender Rücktritt erinnert ebenfalls an das amerikanische Vorbild. Weil sich die Barschel-Affäre außerdem noch an der Küste, an der Waterkant, ereignete, erhielt die Affäre den Titel "Waterkantgate".

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Monicagate 1998

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(Foto: DPA)

Letztlich kam Bill Clinton glimpflich davon. 1998 wurde gegen ihn ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet, das aber scheiterte. Ein "-gate", das war schnell klar, aber welches? Auf einen Namen für Clintons Affäre mit einer damaligen Praktikantin im Weißen Haus, Monica Lewinsky, konnte sich die Weltpresse schwer einigen. Während "Monicagate" und "Lewinskygate" weder klangvoll noch sonderlich einfallsreich waren, verwiesen "Tailgate" und "Zippergate" mit einiger Ironie auf den Ursprung des Sex-Skandals.

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Hackgate 2005

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(Foto: AFP)

Ein einziger, schmissiger Name mit "-gate"-Anhängsel existiert nicht für den Skandalkomplex um die britische Boulevardzeitung News of the World, die von Medienmogul Rupert Murdoch verlegt wurde und gegen die bereits seit 2005 ermittelt wird. Stattdessen vereint das "Hackgate" - so benannt, weil die Zeitungsredaktion Telefone und Mailboxen verschiedener Promis und Politiker abgehört hatte - unter seiner Bezeichnung auch die Teil-Gates "Horsegate" und "Lolgate". Im "Horsegate" war Premierminister David Cameron bei einem Reitausflug mit News-of-the-World-Chefredakteurin Rebekah Brooks beobachtet worden - auf einem Pferd, das Brooks wiederum von der Metropolitan Police ausgeliehen hatte. Spott erntete Cameron für das "Lolgate": Er hatte SMS an Brooks mit dem Kürzel "LoL" unterschrieben - in der Annahme, dass es "Lots of Love" bedeute. Daran wird deutlich, dass das einst so dramatische "-gate" längst auch für Witze herhalten muss. Das Bild zeigt Demonstranten in London. Sie tanzen, maskiert als Karikaturen von Rupert Murdoch (links), Kulturminister Jeremy Hunt und Premierminister David Cameron (rechts), nach der Musik des Medienmoguls.

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Biscuitgate 2009

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(Foto: AFP)

Ein "-gate" kann inzwischen alles sein - ernstzunehmende Enthüllung oder reiner Klamauk. So zu beobachten bei Camerons Amtsvorgänger Gordon Brown. Neben seiner Verwicklung in das "Hackgate" sah er sich im Oktober 2009 mit einem weit harmloseren "-gate" konfrontiert. So beantwortete er in einem Online-Chat bereitwillig selbst private Fragen der Bürger, bis er auf die Frage nach seinen Lieblingskeksen die Antwort verweigerte. Erst 24 Stunden später löste Brown das "Biscuitgate": "Absolutely anything with a bit of chocolate on it", verkündete er via Twitter.

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Muffingate 2011

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(Foto: iStockphoto)

Einen Gebäckskandal von etwas größerer Relevanz löste im September 2011 Fox-News-Moderator Bill O'Reilly in Amerika aus. Er schimpfte in seiner Sendung "The O'Reilly Factor" über eine Spesenrechnung des Justizministeriums, nach der auf einem Kongress 4200 Dollar für 250 Muffins bezahlt wurden. In diesen 16-Dollar-Muffins sah O'Reilly ein Symbol für den verschwenderischen Umgang der US-Regierung mit Steuergeldern. Eine Reihe amerikanischer Medien griff "Muffingate" auf, ohne aber eigene Recherchen anzustellen. Selbst die Washington Post, die einst gnadenlos "Watergate" aufdeckte, schlampte. Ein Fehler: Wie sich wenige Tage später herausstellte, beinhaltete die Gesamtsumme nicht nur 250 Muffins, sondern das gesamte Frühstück, Getränke sowie die Miete für die Arbeits- und Tagungsräume für die Konferenzteilnehmer. Nur ein Bruchteil der Medien, die sich zuerst über die vermeintlichen Luxus-Muffins ereifert hatten, veröffentlichten aber im Anschluss eine Richtigstellung - auch nicht der Initiator von "Muffingate", Bill O'Reilly.

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Antennagate 2010

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(Foto: REUTERS)

Ebenfalls im Sande verlaufen ist 2010 das "Antennagate" um Apples iPhone 4. Die Verbindungsqualität des Telefons brach drastisch ein, wenn der Kunde das Gerät beim Gespräch an einer bestimmten Stelle berührte und damit eine Brücke zwischen den beiden internen Antennen herstellte. Apple empfahl als Lösung gegen "Antennagate", das Telefon einfach anders zu halten. Später versuchte der Konzern, erst mit einem Software-Update und später mit kostenlosen Schutzhüllen, den Defekt zu beheben und eine drohende Sammelklage abzuwenden. Als bestes Werkzeug gegen das Problem erwies sich aber ein kleiner Streifen Klebeband. Eine offizielle, weniger hemdsärmelige Lösung steht bis heute aus. Stattdessen ist längst ein Nachfolger des Smartphones veröffentlicht, der diesen Defekt nicht mehr aufweist. Apple-Jünger haben dem Konzern das "Antennagate" inzwischen verziehen.

Anglizismus des Jahres

Nipplegate 2004

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(Foto: GETTY IMAGES)

Ein Klebestreifen, ähnlich wie beim iPhone, konnte - obwohl zielsicher platziert - nicht den Begriff "Nipplegate" verhindern. In der Halbzeitshow zum Super Bowl 2004 entblößte Sänger Justin Timberlake - angeblich auf Grund einer "wardrobe malfunction" - eine Brust seiner Duett-Partnerin Janet Jackson. Zwar wechselte der Sender CBS sofort auf eine Außenansicht des Stadions, und ein aufgeklebter Metallstern bedeckte Janet Jacksons für den Augenblick pikanteste Stelle. Das "Nipplegate" war dennoch geboren. Im Anschluss entbrannte in den USA eine Debatte über Zensur in den Medien - und der Spott in Comedy-Sendungen wie Saturday Night Live oder diese Hommage (im Bild) als (inoffizielle) Barbiepuppe ließen nicht auf sich warten. Für Justin Timberlake blieb die von den US-Medien zum Skandal gemachte Provokation weitgehend ohne Folgen, Janet Jacksons Karriere aber bescherte sie einen deutlichen Knick. Auch Timberlake beklagte, dass Jackson in weiten Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit als Hauptschuldige dargestellt wurde: "Ich habe wahrscheinlich nur zehn Prozent der Schuld zugesprochen bekommen, und das sagt etwas über die Gesellschaft aus", sagte er in einem Interview mit dem Musiksender MTV. "Ich denke, dass Amerika gegenüber Frauen und ethnischen Gruppen besonders hart urteilt."

Anglizismus des Jahres

Tigergate 2009

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(Foto: REUTERS)

Das Saubermann-Image des Golfprofis Tiger Woods erfuhr durch eine Sex-Affäre ebenfalls erheblichen Schaden. Im nach ihm benannten "Tigergate" hatte der Golfspieler seine Ehefrau angeblich über ein Dutzend Mal betrogen. 2009 verkündete der damals 33-Jährige deshalb eine Pause vom Golfplatz, um sich um seine Familie und seine Ehe zu kümmern. "Ich dachte, ich könnte mit allem davonkommen, was ich wollte", sagte er in einer Erklärung. "Ich war der Ansicht, dass ich mein ganzes Leben hart gearbeitet und es deshalb verdient hatte, all diese Versuchungen um mich herum auch zu genießen. Das war falsch." Seine Sponsoren zeigten ihm trotzdem die kalte Schulter: Accenture, AT&T, Gatorade und General Motors beendeten ihre Verträge mit dem bis dato bestverdienenden Profisportler der Welt, auch Gilette setzte seine Sponsorentätigkeit aus. Eine Studie geht davon aus, dass durch das "Tigergate" den beteiligten Firmen und Tiger Woods selbst insgesamt Umsatzeinbußen von bis zu 12 Milliarden US-Dollar entstanden seien.

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Rubygate 2011

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(Foto: REUTERS)

Das "Rubygate" um Silvio Berlusconi ist auf den ersten Blick "nur" ein Sexskandal. 2011 kam an die Öffentlichkeit, dass der damalige Ministerpräsident Italiens die Nachtklubtänzerin Karima El Mahroug - besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Ruby - für sexuelle Dienstleistungen bezahlt habe, als sie noch minderjährig war. Politisch schwerer wiegt aber noch die Anschuldigung des Amtsmissbrauchs: Als El Mahroug wegen des Verdachts auf Diebstahl von der Mailänder Polizei verhaftet wurde, setzte sich Berlusconi persönlich für ihre Freilassung ein. Er behauptete, es handele sich um eine Enkelin des damaligen ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak, und er wolle eine diplomatische Krise verhindern. Der Prozess gegen den früheren Regierungschef ist noch in vollem Gang. Im Fall einer Verurteilung könnten Berlusconi insgesamt bis zu 15 Jahre Haft drohen. Verewigt hat das skandalträchtige Paar der israelische Künstler Dodi Reifenberg. Das Gemälde "Silvio & Ruby", das aus Plastiktüten und Klebeband besteht, war in einer Ausstellung in Mailand zu sehen.

Anglizismus des Jahres

Cablegate 2010

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(Foto: dpa)

Juristischen Ärger hat auch Julian Assange am Hals. "Cablegate" bezeichnete 2010 die Veröffentlichung geheimer Depeschen US-amerikanischer Botschaften - diplomatic cables - durch die Enthüllungsplattform Wikileaks. Diese Veröffentlichungen zogen neben einigen diplomatischen Konflikten eine weitreichende Debatte über die Konfliktlinien zwischen Geheimnisverrat, Enthüllungsjournalismus und dem Recht auf Informationsfreiheit nach sich. Wikileaks-Gründer Assange selbst muss derzeit mit seiner Auslieferung nach Schweden rechnen. Dort werden ihm Sexualdelikte vorgeworfen. Außerdem haben US-amerikanische Behörden Interesse angemeldet, den gebürtigen Australier wegen Spionage vor Gericht zu bringen. Die meisten "-gates" iwachsen indes gar nicht erst zu fest eingebürgerten Begriffen heran. "Teppichgate", die aktuelle Affäre um Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel, ist unter diesem Begriff kaum verbreitet. Boulevard-Schöpfungen wie das "Carla-Gate" und das "Märklin-Gate" sind oft schon einen Tag wieder vergessen. Erwächst dank Wikileaks nun sogar ein Konkurrent für einen neuen Trend in der Skandalberichterstattung? Mit den "Vatileaks" wäre schon mal ein Anfang gemacht. 

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