Verkehrspolitik:Etappensieg Richtung Radgesetz

Verkehrspolitik: Der Radverkehr könnte im kommenden Jahr im Zentrum eines bayernweiten Bürgerbegehrens stehen.

Der Radverkehr könnte im kommenden Jahr im Zentrum eines bayernweiten Bürgerbegehrens stehen.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Das Bündnis "Radentscheid Bayern" hat 100 000 Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt und damit ein erstes Zwischenziel erreicht. Doch die nächste Hürde wird schwerer zu nehmen sein.

Von Maximilian Gerl und Matthias Köpf

Mit dem Rad von Nürnberg nach Erlangen, das könnte schnell gehen. Etwa 18 Kilometer könnte die Trasse für den Radschnellweg lang werden, zehn auf Nürnberger Gebiet, acht in Erlangen. Und wenn die Trasse breit genug wird, wenn die Fahrradpendler dort unabhängig von den Autos dahinrollen können und wenn am besten auch die Ampeln nach ihren Bedürfnissen geschaltet werden, dann wäre ein Schnitt von 25 Stundenkilometern wohl kein Problem.

Heuer noch sollte auf einem ersten Abschnitt der Bau beginnen, doch das wurde auf 2023 verschoben. Darauf kommt es aber fast nicht mehr an, denn die Machbarkeitsstudie für diese und sechs andere Radschnellverbindungen im Großraum stammt schon von 2017. Und zuvor war etwa der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) in Nürnberg bereits jahrelang auf jene Studie vertröstet worden.

Dass so etwas künftig deutlich schneller und strukturierter geht in Bayern, das ist Ziel des landesweiten Radentscheids, für den seit Juni rund 100 000 Menschen unterschrieben haben. Am Mittwoch gaben die Initiatoren in mehr als 100 Rathäusern die entsprechenden Listen ab - mit insgesamt gut viermal so vielen Unterschriften, wie für den nächsten Schritt zu einem landesweiten Volksentscheid nötig wären. Die Unterschriften werden nun geprüft. Dem Bündnis hinter dem Radentscheid gehören neben dem ADFC und dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) unter anderem die SPD, die Grünen, die ÖDP und der Bund Naturschutz (BN) an.

Auch in Nürnberg überreichten Vertreter des Bündnisses zahlreiche Unterschriften für die Forderung nach einem entsprechenden bayerischen "Radgesetz". Dabei ist Nürnberg eine jener Kommunen, in denen vergleichsweise viel für den Radverkehr getan wird. Anfang 2021 haben sich verschiedene Verbände und mehrere Ratsfraktionen auf einen "Mobilitätspakt" geeinigt, nachdem 26 000 Menschen auf lokaler Ebene für mehr und bessere Radwege unterschrieben hatten. Solche kommunalen Radentscheide gab es bisher in einem runden Dutzend größerer Städte, insgesamt haben dabei mehr als 240 000 Menschen unterschrieben. Beim derzeitigen landesweiten Entscheid habe man nun den Sprung in die Fläche geschafft, sagt Markus Stipp vom Nürnberger ADFC. Inzwischen gebe es auch auf dem Land praktisch überall Ansprechpartner.

Ganz einfach war es aber offenbar nicht, die Unterschriften zusammenzubekommen, so ist es jedenfalls von Unterstützern zu hören. Erst mit Ende der Sommerferien habe die Kampagne richtig Fahrt aufgenommen. Gleichwohl sahen sich am Mittwoch Vertreter des Bündnisses bestätigt. "Voller Erfolg", twitterte etwa Markus Büchler, Sprecher der Landtags-Grünen für Mobilität. Der Radentscheid zeige bisher, dass Menschen bessere Radwege in ganz Bayern forderten, um "in Zukunft sicher und bequem mit dem Radl unterwegs" zu sein. Emilia Kirner von der ÖDP stimmen die Unterschriften "hoffnungsvoll, dass sich die Bedingungen für den Radverkehr in Bayern bald verbessern". Aus Sicht des BN-Landesbeauftragten Martin Geilhufe ist das Rad "neben dem ÖPNV der wichtigste Baustein für eine natur- und umweltverträgliche Mobilität". Um den Autoverkehr zu reduzieren, sei der Ausbau der Radinfrastruktur deshalb von zentraler Bedeutung.

"Wir haben hier Rückhalt in der Bevölkerung", sagt Andreas Kagermeier, stellvertretender Beauftragter des Radentscheid-Bündnisses, zur Zahl der Unterschriften. Er gehe deshalb mit "hoher Wahrscheinlichkeit" davon aus, dass es zum Volksbegehren kommt. Dann müssten, laut Bündnis wohl im Frühjahr oder im Sommer 2023, innerhalb von 14 Tagen eine knappe Million Wahlberechtigte in ihre jeweiligen Rathäuser gehen und dort aufs Neue unterschreiben. Gelingt auch das, könnte es zum Volksentscheid über das geforderte Radgesetz kommen.

Hochburgen bleiben die Städte

Ob das Radthema das schafft? Zwar gab es in jedem Landkreis Sammelstellen. Die Hochburgen aber lassen sich klar in den größeren Städten verorten - insbesondere in jenen, die bereits einen örtlichen Entscheid mitgemacht haben und daher ein aktives Unterstützerfeld mitbringen wie Bayreuth, Rosenheim oder eben Nürnberg. Im ländlichen Raum hingegen spielt das Rad auch in den politischen Debatten oft nur eine nachgeordnete Rolle. Zu weit sind hier häufig die Wege, sodass fast nur das Auto bleibt; gleichzeitig fallen viele Stadt-Probleme weg, etwa die zeitraubende Parkplatzsuche.

Als Antwort auf die Initiative hat die Staatsregierung bereits angekündigt, ihr eigenes Radwegeprogramm zu intensivieren. Bis 2030 sollen demnach weitere 1500 Kilometer Strecke entstehen. Der Rückenwind wäre allerdings auch nötig, um die selbst gesteckten Ziele zu erreichen. 2017 etwa versprach der damals auch fürs Bauen zuständige Innenminister Joachim Herrmann (CSU), ein "durchgängiges Radverkehrsnetz in ganz Bayern" zu entwickeln, "das alle Gemeinden verbindet". Außerdem wolle man den Radverkehrsanteil am Gesamtverkehrsaufkommen steigern, von knapp zehn auf 20 Prozent bis 2025.

Zwar gestehen sogar Kritiker der Staatsregierung zu, in den vergangenen Jahren Fortschritte erzielt zu haben. Gerade der touristische Radverkehr, heißt es, sei inzwischen in Bayern gut erschlossen, auch weil der Bau von Ausflugsstrecken den Kommunen wirtschaftliche Vorteile verspreche. Von einem flächendeckenden und sicheren Netz für den Alltag hingegen könne keine Rede sein. Immer wieder endeten Wege im Nichts und zwängen Radler zurück auf die Landstraße, auch zum Ärger der Autofahrer. Schon deshalb wollen die Radentscheid-Befürworter an ihren Plänen festhalten, den Freistaat zu mehr Initiative zu zwingen. Sie beziffern den Radanteil am Gesamtverkehr auf derzeit elf Prozent.

Das Unterschriftensammeln ist so gesehen erst einmal ein Zeichen, mehr nicht. Aber es ist auch eines, auf dem die Radentscheid-Aktivisten nun aufbauen wollen, dank der in der sogenannten Phase eins entstandenen, lokalen Unterstützer-Strukturen. Von den hierfür veranschlagten 80 000 Euro ist laut Bündnis-Sprecher Kagermeier "ein leichtes Plus" übriggeblieben. Den Finanzbedarf für Phase Zwei wolle man über Eigenmittel der Partner, Crowdfunding und Sponsoring decken. Ab Ostern, schätzt Kagermeier, könne es dann heißen: "Top, die Wette gilt."

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