Grüne in Bayern:"Söder klappert, wir arbeiten"

Lesezeit: 4 Min.

Die bayerische Grünen-Fraktion - Ludwig Hartmann und Katharina Schulze (vorne links) - besucht die Firma Schlaeger in Bayreuth, die spezielle Bauteile für Industrie und Autos entwickelt und fertigt. (Foto: Grüne Fraktion Bayern)

Die Landtagsgrünen nutzen ihre Klausur, um sich als die natürlichen Verbündeten der bayerischen Industrie zu präsentieren. Und steigen in den Wahlkampf mit der CSU ein - irgendwie.

Von Johann Osel, Bayreuth

Am Eingang zur Fabrikhalle hängt die Firmenphilosophie, es geht um Nachhaltigkeit und CO₂-Ersparnis - da geht man liebend gerne rein als Grüne. Trotz der Soundkulisse der vielen Maschinen, es tackert permanent wie in einer Näherei, zuweilen quietscht es wie eine Kreissäge. Ludwig Hartmann und Katharina Schulze gehen in die Hocke und auf Zehenspitzen, schauen sich um, betasten Spulen und Ventile, stellen Fragen: Lieferengpässe, Recyclingquoten? Die Landtagsgrünen sind in Klausur, Schwerpunkt Industrie. Nicht so akademisch, hieß es, eher praxisnah mit Außenterminen soll das zweitägige Treffen in Bayreuth laufen. Wie hier bei der Firma Schlaeger M-Tech, die spezielle Bauteile für Industrie und Autos entwickelt und fertigt. Für den Folgetag ist der Besuch einer Klaviermanufaktur und einer 3-D-Druckwerkstatt angesetzt. Die Grünen wollen, so das erklärte Ziel, "Partner" der Wirtschaft sein. Und das auch zeigen.

"Wer Energie einsparen will, muss den Mut haben, an ganz tief gelegenen Schrauben zu drehen", sagt Schlaeger-Geschäftsführer Anton Fuchs, "eine Wahnsinnslernkurve" habe man da hingelegt. Bei solchen Sätzen wird viel genickt in der Besuchergruppe, Schulze streckt den Daumen nach oben. An einer Schautafel zur Energieeffizienz zücken viele grüne Gäste die Handys zum Abfotografieren, wow. Anders bei einer Azubi-Tafel im Werk: Verfahrensmechaniker, Mechatroniker, Industriekaufmann (m/w) steht dort - nicht gegendert, ohne d für divers in Klammern. Prompt ein Tuscheln in der Gruppe. Sei's drum, die Stimmung ist prächtig.

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"Innovationstreiberin Industrie - mit Weitblick in eine klimaneutrale Zukunft" heißt das Motto der wegen Corona verschobenen und nun nachgeholten Winterklausur. Für Klimaneutralität, regionale Wertschöpfung und Infrastruktur müssten jetzt die "Weichen gestellt werden", sagt Schulze. Es gehe um die größte wirtschaftliche Erneuerung seit der Industrialisierung, und Politik wie Wirtschaft hätten dieselben Ziele vor Augen - ihre Grünen wollten dafür "Ermöglicher" sein. Anders als die Staatsregierung, "die CSU hat es leider nicht verstanden, worauf es der Industrie ankommt", tadelt Schulze gleich zum Klausurauftakt am Donnerstag.

Es könne nicht sein, dass BMW eines Tages für "Bremer Motorenwerke" stehe

Als Beispiele nennt sie jüngste Standortentscheidungen, bei denen sich der Chip-Hersteller Intel und ein Batteriewerk für Ansiedlungen andernorts entschlossen hätten, "eine Abstimmung mit Füßen". So hätten beide als Gründe angegeben, dass es in Bayern nicht genug Strom aus erneuerbaren Energien gebe. Es könne nicht sein, dass BMW eines Tages für "Bremer Motorenwerke" stehe, ergänzt Hartmann. Rasch reagierte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU), die Grünen selbst bezögen "ständig" Stellung gegen Ansiedlungen - "typische Doppelmoral". Und bei Intel sei es um Flächenbedarf gegangen, nicht um Energie. Schulze sagt dazu am Freitag: "Getroffene Hunde bellen."

Der Schlagabtausch sagt viel aus, über Jahre ging das in die Gegenrichtung: Gerade in Wahlkämpfen lässt die CSU keine Chance aus, die Grünen als industriefeindlich zu schelten, reglementierend und wachstumsbremsend, als Oberlehrer noch dazu. Man erkennt bei vielen Grünen jetzt eine fast diebische Freude, dass das Momentum der Zeit - die Zwänge in Folge des Ukraine-Kriegs - auf ihrer Seite ist. Schulze sagt, seit Jahren kümmerten sich die Grünen um die Industrie, das Thema gehöre sicher nicht der CSU. Es sei an der Zeit gewesen für diese Fachklausur.

Klingt irgendwie nach Wahlkampf. Die CSU hat das Rennen für die Landtagswahl 2023 ja längst eröffnet, seit Wochen merkt man das: Erst mit Söders Umbildungen in Kabinett und Parteiapparat, nun auch dadurch, dass er sich keinen Termin entgehen lässt, bei dem er potenzielle Wähler treffen könnte: Volksfeste, Spatenstiche, Grußworte, im ganzen Land. Hört man sich bei den Grünen um, heißt es oft: Wahlkampf? Gemach! Das liegt wohl auch daran, dass die Spitzenkandidatur völlig offen ist: Hartmann? Oder Schulze, die mit 36 Jahren laut Verfassung zu jung wäre als Ministerpräsidentin? Kommt noch eine Verfassungsänderung? Gibt es ein Team? Im Herbst soll alles geklärt werden. Auch das Wahlprogramm wird sich ziehen, da es im "einladenden Beteiligungsprozess" mit externen Gruppen verfasst wird.

Anders als Söder müsse man nicht "panisch durchs Land ziehen"

Jedenfalls stehen die Grünen gerade passabel da: Die Ampel in Berlin gibt sogar in der Krise Rückenwind, weil Annalena Baerbock und Robert Habeck öffentlich ein guter Job attestiert wird. Die Fraktion im Landtag arbeitet diszipliniert, Rivalitäten, die es überall geben muss, bleiben intern. In Umfragen liegen die Grünen wieder vor der SPD, in Reichweite zum Ergebnis von 2018 (17,6 Prozent). Dass deutlich mehr drin sei- es gab schon ein Umfragepotenzial von 25 Prozent -, sagen auf der Klausur alle. Dass man es dazu aber schaffen müsse, vor allem auf dem Land dem grünen Veränderungswillen seinen Makel als "Bedrohung" zu nehmen, ist ebenfalls bekannt. Aber: kein Stress, hört man, anders als Söder müsse man nicht "panisch durchs Land ziehen". Hartmann sagt es so: "Söder klappert, wir arbeiten."

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Die Arbeit in Bayreuth mündet in Forderungspapiere. Die Grünen sehen einen Bedarf von zwei Milliarden Euro jährlich für die Transformation der bayerischen Industrie: einerseits für moderne Infrastruktur in Energiewirtschaft, Verkehr und Digitalisierung. Andererseits soll eine Landesstrategie für Ressourceneffizienz mit Zuschüssen und Darlehen Firmen direkt beim "Innovationssprung" helfen. Handlungsbedarf gebe es auch beim Thema Fachkräfte. Beispiel Schlaeger. Derzeit habe man die niedrigste Bewerberquote in der Firmenhistorie, berichtet Geschäftsführer Fuchs: Vor fünf Jahren seien es noch 90 gewesen, jetzt könnte man die Interessenten an zwei Händen abzählen. Und darunter seien noch viele "demotivierte Jugendliche", die Generation wirke nach Corona "lost" - verloren. Schulze wirft ein, sie wolle für die jungen Leute "eine Lanze brechen, es waren zwei Scheißjahre". Es gebe da "nicht die eine Lösung", aber viele Bausteine; etwa "gendersensible Berufsberatung".

Am Freitag sitzen Hartmann und Schulze auf dem Podium mit Franziska Brantner, Staatssekretärin in Habecks Wirtschafts- und Klimaministerium. Letzte Pressekonferenz der Klausur, es geht um die 10-H-Abstandsregel für Windräder, an der Söder bisher festhält. Spätestens jetzt ist zu spüren, dass die Grünen natürlich längst im Wahlkampfmodus sind. "Wenn ich Markus Söder wäre, würde ich mich schämen, dass ich der Bremser der Nation bin", so Schulze. Hartmann sagt: Söder verzögere zum Schaden des Landes etwas, das eh fallen werde - wenn Söder keinen Partner finde, der das mitträgt, oder er nicht mehr regiert. "Spätestens im September 2023 ist 10-H Geschichte."

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