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Elektroauto mit Achtzylinder

An der orange-roten Akzentfarbe erkennt man die N-Version.   Fotos: Hyundai

Mobile Faszination April 2024

Elektroauto mit Achtzylinder

Mit dem loniq N 5 stellt Hyundai die Motorwelt auf den Kopf

Für BMW ist M der mächtigste Buchstabe der Welt. M wie Motorsport. Erst so legendäre Autos wie M1, M3 und M5 haben die bayerischen Autobauer zu dem gemacht, was sie sind: Die weißblaue Freude-am-Fahren-Fraktion, die weltweit begeistert. Für Hyundai ist N der mächtigste Buchstabe. Ihre besonders sportlichen N-Modelle (i20, i30) haben sich eine kleine, aber feine Fangemeinde erobert und jetzt soll der loniq 5 N in die Herzen aller Sportwagenfreunde fahren. Er fährt sich wie ein Verbrenner, hört sich auch so an, ist aber eigentlich ein Elektroauto. Wie das geht? Die Entwickler haben dafür tief in die Trickkiste gegriffen.
N steht für Namyang, das Entwicklungszentrum der Hyundai Motor Group unweit von Seoul. Aber auch für die Nürburgring Nordschleife. Immer noch die Maßeinheit für echten Motorsport. Gleich zwei N finden sich im Namen ihres Schöpfers, wenn auch erst am Ende. Alfred Biermann war einst Entwicklungschef bei M, bevor er zum koreanischen Fahrzeugbauer wechselte. Sechs Jahre aktiv, dann als technischer Berater hat er Hyundai vor allem auf der sportiven Seite entscheidend mitgestaltet. Der Ioniq 5 N war sein letztes Baby. Und vielleicht war diese Geburt auch die schwierigste seines Entwickler-Lebens. Wie kriegt man die Emotion in ein Elektroauto? So lautete die Fragestellung. Denn an der Leistung von elektrischen Fahrzeugen liegt es bis dato nicht, warum sie noch nicht so richtig gezündet haben. Power steht im E-Zeitalter überbordend zur Verfügung 1000 PS, 1000 Newtonmeter Drehmoment. Das ist wie beim Metzger. Darfs a bisserl mehr sein? Bitte sehr, bitte gleich!

Erstens: Let there be sound! Drei künstliche Klänge stehen im loniq 5 N zur Verfügung. „Ignition“, „Evolution“ und „Supersonic“. Wie der Name schon sagt, ahmt ersterer einen veritablen Achtzylinder nach, der zweite ist eine Mischung aus Sphärenklängen und Geräuschen aus dem All, während Supersonic an einen Überschall-Jet erinnert. Ab und zu hört man einen hohlen Schlag wie auf einen umgedrehten Blechkübel. Die Schallmauer. Aha, da wären wir nie draufgekommen. Übertragen werden diese Geräusche durch acht Lautsprecher im Innenraum und zwei für außerhalb. Einer vorne, einer hinten. Draußen hört man allerdings so gut wie nichts, die Passanten zeigen sich zumindest vom künstlichen Verbrenner-Geräusch unbeeindruckt. 

Und auch die eigene Hörprobe ergibt keine nennenswerten Sounds, als der Kollege den Motor im Leerlauf mehrmals hochdrehen lässt. Innen Hölle, außen Stille. Zweitens haben die Ingenieure von Hyundai ein virtuelles Doppelkupplungsgetriebe angelegt, mit mechanischen Schaltwippen. Wie beim Verbrenner stehen im E-Shift-Modus acht Gänge zur Verfügung. Dabei beschleunigen die E-Maschinen so, als ob ihre Power von Verbrenner-Drehzahlen abhängig wären. Das System, das dahintersteckt, ist so ausgefuchst, dass sogar die Zugkraftunterbrechung beim Gangwechsel nachgemacht wird. Selbst einen Drehzahlbegrenzer gibt es. Der Antrieb ist quasi ein digitaler Zwilling der guten alten Verbrennerwelt. Und klingt auch so. Da sprutzelt und spratzelt es, da röhrt und trompetet es aus den nicht vorhandenen Auspuffrohren. Beim Runterschalten wird die bis zu 0,6 g starke Rekuperation so eingesetzt, dass man glaubt, eine Motorbremse zu haben. Die Menschheit will betrogen werden, also betrügen wir sie - das wussten schon die alten Römer. Ortstermin auf der Rennstrecke Castelolli bei Barcelona. Erst mal die Launch-Control ausprobieren. Wir haben uns wohlweislich das Frühstück gespart, der 770 Newtonmeter-Drehmoment-Punch in die Magengrube bleibt deshalb folgenlos. 609 PS bringt der loniq auf die Straßen, dank der Traktionskontrolle auch ziemlich sauber. In 3,5 Sekunden fällt die Tempo-100-Marke (0200, 12,1 s). Wir bleiben auf dem Gas, um dann ruckartig das Bremsvermögen der fetten Scheibenbremsen (400 und 360 mm dick) zu testen. Stillstand. Dann geht's in den 4.146 Kilometer langen Rundkurs mit seinen sieben Rechts- und vier Linkskurven. Das Besondere an Castelloli: Hier geht es bergauf und bergab (9 Grad rauf, 8 Grad runter). 

Wir schalten in den E-Shift-Mode und schon nach kurzer Zeit ist das Gefühl weg, in einem Simulator auf vier Rädern zu sitzen. Sauber den Gang runterschalten, im Scheitel Vollgas herausbeschleunigen, einmal ziehen an der Wippe, zweimal ziehen und nach oben schalten. Hilfreich ist dabei der Grin-Boost. Ja - er hat tatsächlich was mit Grinsen zu tun. Denn für zehn Sekunden kitzelt er sogar 650 PS aus den E-Maschinen.
Technisch ist der loniq 5 N gut ausgerüstet für die Rennstrecke: Adaptive Dämpfer, hinten eine elektronische Quersperre, Drehmoment-Verschiebung zwischen Vorder- und Hinterachse, Bremseingriffe, um die Kurvendynamik zu erhöhen. Dazu kommt eine ausgefeilte Aerodynamik mit einem Kühlergrill, der im üblichen Betrieb geschlossen ist, aber die Lamellen auch öffnen kann, um die Batterie zu kühlen. Denn wenn sie zu heiß wird, büßt sie (wie auch bei Kälte) Leistung ein. Und von der Reichweite her sollte der loniq 5 N mindestens zwei Mal die Nürburgring Nordschleife unter Volllast schaffen. Normalerweise kommt man mit dem 84 kWh starken Akku bis zu 448 Kilometer weit im Idealfall. Wie die zivile Version wird die Batterie über das 800-Volt-System in 18 Minuten von 10 auf 80 Prozent aufgeladen. Wie erkennt man den rund 75.000 Euro teuren Hyundai Ioniq 5 N? Er ist ein paar Zentimeter länger und breiter, aber nicht ganz so hoch. Das klassische N-Rot wird von einem kräftigen Orange als Akzent-Farbe abgelöst. Der Ioniq 5 ist wirklich eine verrückte Kiste. Man kann das Elektroauto schalten über die Wippen. Wie einen Verbrenner. Mit der Soundkulisse eines gestandenen V8 nebst Sportauspuffanlage. Sogar einen (virtuellen) Drehzahlbegrenzer gibt es. Die perfekte Illusion.

Rudolf Bögel

TECHNISCHE DATEN

HYUNDAI IONIQ 5 N

Motor: zwei E-Maschinen
Antrieb: Allrad
Leistung (vorne): 166 kW (226 PS)
Leistung (hinten): 282 kW (383 PS
Gesamtleistung: 448 kW (609 PS)/478 kW (650 PS) mit Grin-Boost
Drehmoment: 770 Nm
0-100 km/h: 3,5s (3,4 mit Grin-Boost)
V. max: 260 km/h
Akku-Kapazität: 84 kWh
Ladezeiten: 10-80 % DC 18 min
Verbrauch: 21,2 kWh/100 km
Reichweite: bis zu 448 km
Länge / Breite/Höhe: 4,72/1,93/1,59
Radstand: 3,00 m
Leergewicht: 2.275 kg
Kofferraum: 480-1.540 l
Preis: 74.900 Euro

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 22.04.2024

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