Bayern:Michael Piazolo, der Watschenmann

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Eigentlich wollte er in Bayern ein bisschen Bildungsreform machen, bekam dann aber erst die Corona-Krise und dann die Lehrermangelkrise auf den Tisch. (Foto: Rolf Poss via www.imago-images.de/imago images/Rolf Poss)

Neben Parteichef Hubert Aiwanger ist der Kultusminister Bayerns eines der bekanntesten Gesichter der Freien Wähler. Er steht allerdings selten im Bierzelt und dafür oft in der Kritik.

Von Maximilian Gerl

Neulich wurde der Buhmann tatsächlich gelobt. Das "Amtliche Schriftwesen" für ausgebildete Grund- und Mittelschullehrkräfte werde mit sofortiger Wirkung abgeschafft, teilte Bayerns Kultusminister Michael Piazolo am vergangenen Montag mit. Vereinfacht mussten die Betroffenen bisher ihre Unterrichtsvorbereitung dokumentieren und sich genehmigen lassen. Das sei aber "bürokratisch und belastend", sagte Piazolo. Sehr gut, befand unter anderem der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV): "Es wurde Zeit."

Das Lob hielt nicht lange. Am nächsten Tag veröffentlichte der BLLV einen Forderungskatalog mit 36 Punkten an den Minister, wie er Lehrkräfte dauerhaft entlasten solle. Und auch als Piazolo noch mal drei Tage später zu einer Pressekonferenz anlässlich des neuen Schuljahrs lud, folgten die Reaktionen prompt. "Schöne Worte zu Schulbeginn helfen Bayerns Kindern nicht", ätzte etwa die SPD-Landtagsfraktion.

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Manchmal erinnert Michael Piazolo, 63 Jahre alt, an das, was man in Bayern einen Watschenmann nennt. Nach der Landtagswahl 2018, als die CSU sich notgedrungen die Freien Wähler zum Koalitionspartner nahm, spülte es Piazolo ins Kultusministerium. Zuvor hatte der gebürtige Stuttgarter zehn Jahre lang Bildungspolitik von der Oppositionsbank aus betrieben. Nebenbei steuerte er seiner Partei, die im Ländlichen stark ist, etwas urban-akademischen Glanz bei: Piazolo hat in Politikwissenschaft habilitiert und wohnt in München.

Doch mit Amtsantritt wurde der Professor zum Gesicht von Krisen. Die erste kam mit Corona. Im Frühjahr 2020 taumelte Bayern in den Lockdown und die Schülerinnen und Schüler in den Distanzunterricht. Wenn ein Laptop fehlte oder die Schulplattform Mebis abrauschte, entlud sich der Frust am Kultusminister. Dabei hatte vorher die CSU das Ministerium geführt und die Digitalisierung im Bereich Schule eher mäßig vorangebracht.

Das Bierzelt ist nicht seine Lieblings-Arena

Corona ist inzwischen kein Thema mehr, dafür der unbestreitbare Lehrermangel, und wieder muss Piazolo ausbaden, was in der Vergangenheit versäumt wurde. So ist das in der Politik. Dabei tritt Piazolo anders auf, als man das von Politikern in seiner Position gewohnt ist. Die einen beschreiben ihn als ruhig und nachdenklich. Andere empfinden ihn als blass und zu passiv. Wer will, sieht daher in Piazolo das Gegenteil von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) - und noch viel mehr das Gegenteil von Hubert Aiwanger, seinem Parteichef und Kabinettskollegen. Aiwanger bringt mit ein paar Sätzen Bierzelte zum Brodeln. Piazolo wirkt dagegen lieber im Gespräch und in kleiner Runde, auch abseits der Öffentlichkeit. Einen gewissen Einfluss scheint er dennoch zu besitzen: Angeblich soll er einer derjenigen gewesen sein, die Aiwanger überzeugen konnten, wegen der Flugblatt-Affäre eine Entschuldigung abzugeben. Piazolo erteilt darüber allerdings ungern Auskunft. Befragt, welche Folgen die Causa Aiwanger auf die politische Bildung im Freistaat nehme, sagt er: Man dürfe sich gewiss sein, dass ihm dieses Thema "unabhängig von irgendwelchem Fall" ein großes Anliegen sei.

Ob das für die Zukunft reicht? Am 8. Oktober wird in Bayern gewählt. Eine Fortsetzung der schwarz-orangen Koalition gilt als wahrscheinlich, über Piazolo schwebt trotzdem ein Fragezeichen. In den Kulissen des bayerischen Politikbetriebs gäbe es durchaus Menschen, die sich selbst das Amt des Kultusministers zutrauten.

Auch solche Spekulationen lässt Piazolo unkommentiert. Er hat stattdessen ein Sachbuch geschrieben, über die letzten fünf Jahre und den Digitalisierungsschub, den Corona den Schulen vermittelt hat. Es heißt "D.E.M.I.A.N.", nicht ganz zufällig an ein gleichklingendes Werk Hermann Hesses erinnernd. Am vergangenen Mittwoch stellte er das Buch der Öffentlichkeit vor. Danach hörte er sich wieder die Kritik der Schulfamilie an.

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