Bildung in Bayern:Ein Streit in 36 Punkten

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In knapp einer Woche beginnt in Bayern wieder die Schule, und viele bekannte Probleme werden erneut auftauchen. (Foto: Liesa Johannssen/imago)

Kurz vor dem Start des neuen Schuljahres wendet sich der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband mit einem "Sofortprogramm" an die Politik - und fordert vor allem mehr Wertschätzung für die Arbeit von Lehrkräften.

Von Maximilian Gerl

Natürlich hätte man das Ganze auch in weniger Stichpunkten zusammenfassen können, das räumt auch Simone Fleischmann ein. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) hat in die Münchner Geschäftsstelle ihrer Organisation ein Papier mitgebracht, das bis nach unten durchnummeriert ist. Gerade so passt die lange Liste auf die eine Seite - und das auch nur, weil sich jede der 36 Ziffern auf möglichst wenige Worte beschränkt. "Sieben Punkte wären leichter zu lesen und leichter umzusetzen", sagt also Fleischmann. Aber diesmal gehe es um die Breite. Um "die Grundlagen".

Und es geht um einen alten Streit zwischen der Schulfamilie auf der einen Seite und der Staatsregierung auf der anderen. "Nur starke, motivierte und gesunde Lehrkräfte sind gute Lehrkräfte", lautet der erste Satz im "Sofortprogramm", das der BLLV an diesem Dienstag vorgelegt hat. Da schwingt mit, was den Verband seit Längerem umtreibt: dass Bayerns Schulen zu wenig Personal hätten, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Dass die Folgen diejenigen ausbaden müssten, die halt trotzdem da sind, die Eltern, Kinder und Lehrkräfte selbst. Hätte man Letztere wegen ihrer Klagen vor Jahren nicht als "Jammerlappen" hingestellt, sagt Fleischmann, dann müsste man sich heute mit diesem ganzen Thema vielleicht nicht mehr beschäftigen.

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So aber kommt das Papier mit seinen bildungspolitischen Forderungen passend zum Schulstart nächste Woche und passend zum Landtagswahlkampf. Kultusminister Michael Piazolo (FW) hatte erst vor wenigen Tagen Bayern bei der Unterrichtsversorgung "voll im Plan" gesehen. Ein Großteil der Stellen sei bereits besetzt, sagte er dem Bayerischen Rundfunk; insgesamt sei die Lage besser als im vergangenen Jahr um dieselbe Zeit. Damals hatte der BLLV gewarnt, dass im Freistaat gut 4000 Lehrkräfte fehlten.

Auf eine konkrete Zahl möchte sich beim Verband diesmal zwar niemand festlegen. Das habe aber weniger mit einer Entspannung der Lage zu tun, mehr mit ihrer Unübersichtlichkeit. Dass der Unterricht im neuen Schuljahr gesichert sei, treffe auf viele Schulen zu, sagt etwa der Zweite Vizepräsident Tomi Neckov. Trotzdem werde wohl auch diesmal wieder mancherorts die Stundentafel gekürzt werden, wegen Personalnot. Als ein Beispiel nennt Neckov Stadt und Landkreis Aschaffenburg. An den dortigen Mittelschulen seien Werken und Gestalten schon im vergangenen Schuljahr für die fünften und sechsten Klassen häufig gestrichen worden. Dabei lernten die Kinder in dem Fach "wichtige motorische Fertigkeiten".

Womit man wieder beim Forderungskatalog an die Politik wäre. Dieser nimmt nur voll ausgebildete Lehrkräfte in den Blick, die sogenannte Kernmannschaft. Manche der 36 Punkte sind eher allgemein gehalten. Das gilt zum Beispiel für den ersten Punkt - "Erwartungshaltungen an die Situation der Schule vor Ort anpassen" - oder für den zweiten - "keine großen Klassen". Hier dürfe man sich nicht von den offiziellen Durchschnittszahlen täuschen lassen, findet Fleischmann: Denn manchmal seien so viele Kinder gleichzeitig zu betreuen, dass darunter - Punkt drei - der Fachunterricht leide. Andere Forderungen sind spezieller: So plädiert der BLLV unter Nummer 18 für das Zurückfahren dienstrechtlicher "Notmaßnahmen", um der Dienstunfähigkeit von Lehrkräften entgegenzuwirken. Das treibe, so Fleischmann, die Juristen im Hause gerade um, so viele Nachrichten erreichten sie mit der Frage: "Wie komm ich raus?"

Die verpflichtende Dokumentation wird abgeschafft

Manche Forderung ist sogar in der Umsetzung: etwa die nach weniger vom "Amtlichen Schriftwesen". Das Kultusministerium hat angekündigt, dass für fertig ausgebildete Grund- und Mittelschulkräfte "die Verpflichtung zur Vorlage von schriftlich ausgearbeiteten Unterrichtsvorbereitungen und -dokumentationen" entfallen soll. Dieses Prozedere sei als bürokratisch empfunden worden, darum schaffe man es mit sofortiger Wirkung ab, heißt es in einer Mitteilung. Die Lehrkräfte verdienten Vertrauen. Auch die Angleichung der Einstiegsgehälter auf Besoldungsstufe A 13 ist im Gange. Trotzdem sind für den BLLV hier wie anderswo weitere Schritte nötig, um Lehrkräften nachhaltig den Rücken zu stärken. Zum Beispiel brauche es neben den geplanten zusätzlichen Verwaltungsstellen mehr IT-Profis. Denn häufig müssen sich die Lehrerinnen und Lehrer selbst darum kümmern, dass all die moderne Technik im Unterricht funktioniert.

Das vielleicht größte Problem findet sich ganz am Ende der langen Liste. Unter der finalen Nummer 36 summiert das Papier alle anderen Punkte: Es brauche "Wertschätzung der Arbeit der Kernmannschaft in diesen schwierigen Zeiten". Inwiefern diese Wertschätzung vorhanden ist, darüber streiten Ministerium und Schulfamilie ebenfalls seit Längerem, die Wahrnehmungen gehen da auseinander. Für Fleischmann ist die Kernmannschaft "Garant" für den Bildungserfolg. Wer sie "ausquetsche wie eine Zitrone", habe aus den herausfordernden Corona-Zeiten nichts gelernt.

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