G-7-Außenminister:Sieben für zwei

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Schwierige Themen auf schöner Insel: Die G-7-Außenminister haben auf Capri über die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten beraten. (Foto: Gregorio Borgia/AP)

Die G-7-Staaten sind während des Kriegs gegen die Ukraine ein effektives Unterstützerteam geworden. Nun stehen sie wieder an einem kritischen Punkt. Und dann ist da auch noch Israel.

Von Paul-Anton Krüger, Capri

Die Überfahrt nach Capri ist eigentlich eine pittoreske Angelegenheit. Im Hintergrund verschwinden langsam Neapel und der stumpfe Kegel des Vesuv, während sich am Horizont die hellen Felsen der italienischen Insel über dem türkisblauen Mittelmeer abzeichnen. Doch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und ihr britischer Kollege David Cameron haben auf der Fähre kaum Augen für die landschaftliche Schönheit, in die ihr italienischer Kollege Antonio Tajani sie zum ersten Treffen der G-7-Außenminister in diesem Jahr geladen hat.

Sie waren beide Mittwochabend aus Tel Aviv eingeflogen und nutzten die gute Stunde an Bord, um noch einmal ihre Eindrücke aus Gesprächen mit Premier Benjamin Netanjahu und anderen Vertretern seiner Regierung abzugleichen. Benny Gantz, Minister im Kriegskabinett und zugleich Antipode Netanjahus, hatten sie gemeinsam getroffen, ebenso Präsident Isaac Herzog.

Die Lage im Nahen Osten stand ohnehin für Donnerstagmorgen beim Treffen auf Capri auf der Tagesordnung. Nach dem Angriff Irans auf Israel in der Nacht zum Sonntag hat das Thema noch mehr Brisanz gewonnen. US-Außenminister Tony Blinken überließ es Baerbock und Cameron, mit ihren Einblicken in das Thema einzuführen.

Besserung konnten die beiden ihren Kollegen im Grand Hotel Quisisana, 1845 von einem Briten als Sanatorium errichtet, kaum in Aussicht stellen. "Es ist richtig, dass wir unsere Ansichten darüber klar zum Ausdruck gebracht haben, was als Nächstes passieren soll", hatte Cameron in Jerusalem resümiert, aber es sei "klar, dass die Israelis sich zum Handeln entschieden haben".

Ein militärischer Schlag gegen iranische Ziele ist demnach wohl nur eine Frage der Zeit. Der Ruf nach Zurückhaltung kommt trotzdem auch aus Capri. "Niemand hat das Recht zu glauben, dass Israel vom Angesicht der Erde gefegt werden könne", sagte Gastgeber Tajani in Anspielung auf iranische Propaganda gegen Israel. "Aber das heißt nicht, dass wir nicht Frieden wollen."

Eine deutliche diplomatische Reaktion, so die Hoffnung, kann Israel vielleicht bewegen, seine Antwort so zu kalibrieren, dass eine weitere Eskalation mindestens nicht zwangsläufig folgt. Eine Cyberattacke etwa könnte Iran wohl eher hinnehmen als Angriffe gegen seine Atomanlagen oder Einrichtungen der Revolutionsgarden.

"Es ist richtig, dass wir unsere Ansichten darüber klar zum Ausdruck gebracht haben, was als Nächstes passieren soll": David Cameron und Annalena Baerbock mit ihren Kollegen Stéphane Séjourné (Frankreich), Melanie Joly (Kanada) und Gastgeber Antonio Tajani. (Foto: Remo Casilli/dpa)

Ob das in Jerusalem Eindruck macht, ist offen. Immerhin hat Außenminister Israel Katz zu einer "diplomatischen Offensive" gegen Iran aufgerufen. Neue Sanktionen werden die G 7 dem Vernehmen nach zumindest in allgemeiner Form in ihrer Abschlusserklärung in Aussicht stellen; die USA und Großbritannien verkündeten bereits weitere Strafmaßnahmen gegen das Drohnen- und Raketenprogramm der Islamischen Republik. Auch die EU hat Ähnliches auf den Weg gebracht.

Zudem geraten iranische Fluggesellschaften ins Visier. Iran Air und Mahan Air transportieren immer wieder militärische Güter im Auftrag der Revolutionsgarden. Die EU prüft überdies, ob ein Urteil aus Deutschland als Grundlage dienen könnte, die Eliteeinheit des iranischen Militärs als Terrororganisation zu ächten. Das Oberlandesgericht Düsseldorf sah es als erwiesen an, dass staatliche Stellen in Iran einen Brandanschlag auf eine Synagoge in Bochum geplant hatten.

"Wir müssen selbst Verantwortung übernehmen", sagt der EU-Außenbeauftragte

Zudem berieten die Minister über die Lage im Gazastreifen. Italien dringt, wie einige andere Staaten in der EU auf eine Feuerpause. Fortschritte soll es bei der Versorgung mit Hilfsgütern geben. Erstmals wurden nach israelischen Angaben Lastwagen des Welternährungsprogramms im Hafen von Aschdod abgefertigt.

Die israelische Regierung hat zudem eine Beauftragte für humanitäre Hilfe benannt. Baerbock und andere hatten seit Langem eine zuständige Ansprechperson gefordert, um die technische Abwicklung besser mit Hilfsorganisationen und den UN koordinieren zu können. Blinken unterrichtete seine Kollegen dem Vernehmen nach zudem über die Bemühungen der USA, Israel von einer Offensive gegen die im Süden des Gazastreifens gelegene Stadt Rafah abzubringen. Dort haben mehr als eine Million Palästinenser Zuflucht gesucht.

Gruppenfoto vor malerischer Kulisse: die G-7-Außenminister auf Capri. (Foto: Claudia Greco/REUTERS)

Am Nachmittag widmeten sich die Minister der zweiten Großkrise, dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Unter deutschem Vorsitz waren die G 7 im ersten Kriegsjahr zu einem effektiven Team zusammengewachsen, um der Ukraine Beistand zu leisten. Nun sehen sich die wichtigsten westlichen Industriestaaten wieder an einem kritischen Punkt: Die Ukraine gerät seit Monaten militärisch ins Hintertreffen. Es fehlt an allem, an Artillerie, Munition und Systemen zur Luftverteidigung.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, der seine Nato-Kollegen vor zwei Wochen ausgerechnet am 75. Jahrestag des Bestehens der Allianz mit einer drastischen Warnung aufgerüttelt hatte, stieß ebenso zu den Beratungen wie der Generalsekretär des Verteidigungsbündnisses, Jens Stoltenberg. Erwartet wurde, dass es in der Abschlusserklärung einen deutlichen Appell geben wird, Kiew vor allem zusätzliche Flugabwehrsysteme bereitzustellen.

Baerbock hatte am Mittwoch zusammen mit Verteidigungsminister Boris Pistorius Briefe an Nato-Partner und andere verbündete Staaten geschickt, mit der Bitte "eine Bestandsaufnahme aller Luftverteidigungssysteme vorzunehmen und Erwägungen anzustellen, was davon an die Ukraine abgegeben werden kann".

Der scheidende niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen und der tschechische Premier, Petr Fiala, kündigten noch am selben Tag im Nato-Hauptquartier in Brüssel an zu prüften, wie man die deutsche Initiative unterstützen könne. Auf Capri mahnte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, es müssten "in den nächsten Tagen konkrete Entscheidungen" getroffen werden, andernfalls werde "das Elektrizitätssystem der Ukraine zerstört". Dabei dürfe sich die EU nicht allein auf die Vereinigten Staaten verlassen, mahnte Borrell. "Wir müssen selbst Verantwortung übernehmen."

Kuleba hofft dessen ungeachtet natürlich vor allem auf Washington und darauf, dass die Republikaner im Repräsentantenhaus ein Paket freigeben, das seinem Land Hilfen von 60 Milliarden Dollar bringen würde - und dringend benötigte Waffen. Am Morgen traf er Blinken zu einem bilateralen Gespräch. Kuleba argumentiert auch damit, wie die USA, Großbritannien und Frankreich sich an der Verteidigung Israels gegen den iranischen Angriff beteiligt hatten: Dort sei die Strategie, "Zerstörung und Tod zu verhindern", in der Ukraine dagegen, "uns dabei zu helfen, uns von der Zerstörung zu erholen". Das müsse geändert werden.

"Patriots" dringend gesucht

Schnelle Abhilfe gegen die verstärkten Luftangriffe Russlands bietet nach Einschätzung westlicher Streitkräfte vor allem das in den USA hergestellte Patriot-System. Es kann zum einen ballistische Raketen der russischen Armee abfangen. Zum anderen hat es die nötige Reichweite, um russische Flugzeuge abzuschießen, bevor sie ihre Gleitbomben ausklinken - zwischen 40 und 60 Kilometer vom Ziel entfernt. Mit diesen Waffen versucht der russische Machthaber Wladimir Putin, die Verteidigungslinien der Ukraine sturmreif zu bombardieren. F-16-Kampfjets, die ebenfalls russische Maschinen aus der Distanz abschießen könnten, dürften wohl nicht vor dem Sommer in der Ukraine zum Einsatz kommen; auch ist deren Bewaffnung noch nicht geklärt.

Derzeit kann die Ukraine die Front nur schützen, wenn sie Flugabwehrbatterien andernorts abzieht - und dann Städte oder kritische Infrastruktur ohne Schutz bleiben. In der Nato soll daher eine Inventur aller Systeme vorgenommen werden - und erste Ergebnisse sollen schon auf Capri vorliegen. Auch soll versucht werden, bei anderen Verbündeten, wie Japan oder den Golfstaaten, Systeme zu beschaffen. Deutschland ist in Vorleistung gegangen und gibt eine dritte Patriot-Einheit an die Ukraine ab und will zudem sieben weitere Iris-T-Batterien kurzer und mittlerer Reichweite liefern. Baerbock hat damit in Capri eine gute Argumentationsgrundlage.

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