Bundestagswahl 2017:Was das Wahlergebnis für die Parteien bedeutet

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Die AfD jubelt, die SPD steht vor ihrem schlechtesten Ergebnis der Nachkriegsgeschichte. FDP und Grüne müssen große Probleme angehen.

Von Hannah Beitzer, Stefan Braun, Antonie Rietzschel, Jakob Schulz und Benedikt Peters, Berlin

Alle Angaben zum aktuellen Wahlergebnis basieren auf den ersten Prognosen. Neueste Zahlen finden Sie in unserem Live-Blog.

CDU/CSU: Vorsprung mit Wermutstropfen

Ein Vorsprung, immerhin, aber unterm Strich für die Union doch ein Schock. Monatelang hatten CDU und CSU in den Umfragen mit großem Vorsprung vor den zweitplatzierten Sozialdemokraten geführt. Nun hat die Union den Hochrechnungen zufolge mit 32,8 Prozent immerhin einen Vorsprung ins Ziel gerettet. Und doch ist das Ergebnis für die viele konservativen Wahlkämpfer eine herbe Enttäuschung.

Noch vor wenigen Monaten hatte die Union in den Umfragen Werte von 40 Prozent oder höher erreicht. Das war noch nicht ganz das Niveau der starken 41,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2013. Doch immerhin ein ganzes Stück mehr, als noch 2015 und 2016 zu erwarten war. Das Chaos während der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 lasteten viele Bürger Kanzlerin Angela Merkel an, in der Folge stritten sich die Schwesterparteien CSU und CDU erbittert um den richtigen Kurs in der Flüchtlingspolitik.

Das Ergebnis: Im Herbst 2016 rutschten die Zustimmungswerte für die Union drastisch ab auf teils nur noch knapp über 30 Prozent. Am Wahlabend liegen CDU/CSU zwar wieder etwas weiter vorn, doch auch der Blick auf die Ergebnisse der anderen Parteien ist für die Union bitter: Ein Bündnis aus Union und FDP, die Wunschkoalition vieler in der Union, ist ausgeschlossen.

SPD: Das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte

Spätestens jetzt dürfte der Schulz-Hype von Anfang 2017 als größtes Kuriosum des Wahlkampfes in die Geschichte eingehen. Ist es wirklich gerade einmal ein halbes Jahr her, dass die SPD dachte, ihr Spitzenkandidat Martin Schulz könne Kanzler werden, die SPD mit der Union gleichziehen? Stattdessen hat die SPD nun ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegsgeschichte eingefahren, den Hochrechnungen zufolge gerade einmal 20,7 Prozent.

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Im Jahr 2009, mit dem Spitzenkandidaten Frank-Walter Steinmeier, waren es noch 23 Prozent. Martin Schulz hat bereits bekannt gegeben, dass er seine Partei in die Opposition führen will. Im Wahlkampf hatte er versprochen, über eine Regierungsbeteiligung abermals abstimmen zu lassen. 2013 unterstützte die SPD-Basis den Wunsch des damaligen SPD-Chefs Sigmar Gabriel nach einer großen Koalition.

Diesmal sind viele SPDler deutlich kritischer. Denn was bringt das Regieren, wenn man dabei doch nur im Schatten der großen Kanzlerin verschwindet? Dann doch lieber ein Neuanfang in der Opposition. Wer aber wären die richtigen Leute für diesen Neuanfang? Sollte Schulz gehen, gelten Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz und Arbeitsministerin Andrea Nahles als wahrscheinliche Nachfolger an der Parteispitze.

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FDP: Triumph und Herausforderung

Für die Liberalen ist das erst mal ein Festtag. Sie haben geschafft, was sie sich seit vier Jahren herbeisehnen: Sie kehren zurück in den Bundestag - und das auch noch mit einem ziemlich guten Ergebnis von voraussichtlich etwa zehn Prozent. Selbst große Optimisten haben davon allenfalls geträumt. Vorhergesagt hätte es niemand. Dass jetzt also gefeiert wird, ist nur verständlich.

Nicht nur die Tatsache, dass man im Jahr 2013 aus dem Parlament flog, war bitter und schmerzlich. Die Häme war's, die damals besonders weh tat. Umso größer ist die Befriedigung darüber, dem Abgesang getrotzt zu haben. Viel spricht dafür, dass dieses Gefühl für die kommenden Tage alles dominieren wird. Dann allerdings könnte es schwierig werden. Da Schwarz-Gelb nicht möglich sein wird, steht die FDP vor der Frage, ob sie eine Jamaika-Koalition mit Grünen und Union einfach ablehnen kann. Lindner würde das wohl gerne, weil es nicht einfach wäre, zu dritt eine Regierung zu bilden.

Aber er hat im Wahlkampf, ebenso wie die Grünen, die große Koalition als Problem gegeißelt. Mindestens Sondierungsgespräche wird es wohl geben müssen, wenn Lindner nicht als Verweigerer dastehen möchte. Und je länger die dauern, desto mehr stellt sich die Frage, ob man nicht doch Brücken finden könnte. Das wird umso mehr gelten, falls die SPD eine Neuauflage der großen Koalition ablehnt. Die Wähler sind sicher zufrieden, wenn ihre Partei erst einmal hart verhandelt. Aber ob FDP-Wähler es auch goutieren, wenn die wiedererstarkte Partei aus taktischen Gründen Nein zu einer Regierungsbeteiligung sagt, ist keinesfalls sicher. Für den so gern lässig-locker wirkenden Lindner wird es jetzt hochkompliziert.

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Die Grünen: Mit einem blauen Auge in den Existenzkampf

Für die Grünen ist dieses Resultat fast schon das schwierigste, das denkbar war. Um die neun Prozent liegen sie in den aktuellen Hochrechnungen - 2013 waren es 8,4 Prozent. Sie gewinnen also fast nichts hinzu und stehen doch vor der Frage, ob und wenn ja unter welchen Umständen sie eine Jamaika-Koalition wagen könnten.

Gerade so ein Experiment ist keines für Geschwächte; und es wird auf keinen Fall verhindern, dass über die Fehler der Kampagne gesprochen wird. Die Grünen stehen also zwischen zwei Baustellen: Hier der Kehraus nach einem mindestens mauen Wahlkampf - dort die große Herausforderung, für Jamaika Grenzpflöcke zu setzen und Mindestbedingungen zu klären. Möglicherweise ist das zu schwierig, um zu funktionieren.

Zumal jetzt ein Problem aufbrechen dürfte, das während des vergangenen halben Jahres zugekleistert wurde: Es gibt in dieser Partei derzeit kein echtes Machtzentrum. Weder sind das die beiden Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir alleine, noch das Quartett, zu dem auch Simone Peter und Toni Hofreiter gehören. Nach wie vor spielen Jürgen Trittin und Winfried Kretschmann eine große Rolle - und dann ist da auch noch der knapp unterlegene Fast-Spitzenkandidat Robert Habeck.

Aus diesem Personal trotz der schmerzhaften Wahlanalyse eine stabile, schlagkräftige Verhandlungstruppe zu bauen, dürfte kompliziert werden. Die Grünen sind mit einem blauen Auge im Spiel geblieben. Und doch: Ausgerechnet in dieser Situation müssen sie um ihre Existenz kämpfen.

AfD: Erfolg mit schrillen Tönen

Bei den Rechtspopulisten ist der Jubel zur Stunde groß. Mehr als 13 Prozent hat die AfD den Hochrechnungen zufolge geholt. Damit ist eingetroffen, was die Umfrageinstitute zuletzt vorausgesagt haben: Nachdem die Partei beim ersten Versuch 2013 noch den Einzug in den Bundestag verpasste, wird sie nun drittstärkste Kraft.

Offen ist noch, ob sie auch den Oppositionsführer stellt. Entscheidend dafür ist, wie sich die SPD verhält. Treten die Sozialdemokraten den Gang in die Opposition an, bilden sie die stärkste Nichtregierungsfraktion. Kommt es aber zur Neuauflage einer großen Koalition, dann fällt die Rolle des Oppositionsführers nach aktuellem Stand dem rechtsnationalen AfD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland zu.

Unabhängig davon ist der Einzug der AfD in den Bundestag eine Premiere, die bei vielen Menschen Unbehagen auslösen dürfte. Zum ersten Mal seit den 1961 sitzt wieder eine offen rechte Partei im deutschen Parlament. Der Aufstieg der Rechtspopulisten ist eng verknüpft mit der Flüchtlingspolitik ab dem Sommer 2015, als viele Menschen teils unkontrolliert nach Deutschland einreisten.

Die AfD hat es in dieser Zeit verstanden, sich als lauteste kritische Stimme gegen die Einwanderungspolitik der Bundesregierung zu positionieren. Es wäre aber zu kurz gegriffen, darin den einzigen Erfolgsfaktor zu sehen. Den Parteioberen ist es immer wieder gelungen, mit schrillen Äußerungen in den Medien Gehör zu finden. Zudem hat die AfD nach bisherigen Erkenntnissen einen fragwürdigen, aber schlagkräftigen Onlinewahlkampf geführt. Und sie hat sich erfolgreich als Stimme gegen die in manchen Bevölkerungsteilen verhasste "Politische Korrektheit" inszeniert.

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Die Linke: Geschwächt in die Opposition

Wer bis zuletzt noch von Rot-Rot-Grün im Bund geträumt hatte, den holen die Ergebnisse der Bundestagswahl endgültig zurück auf dem Boden der Tatsachen. Die recht lang anhaltende Ära der linken Mehrheit im Bundestag ist Geschichte, Rot-Rot-Grün undenkbar. Dennoch dürfte die Linke mit dem Ergebnis von etwa neun Prozent zufrieden sein. Damit bewegt sie sich immerhin in der Nähe des Wahlergebnisses von 2013 (8,6 Prozent).

Selbstverständlich ist das nicht. Bei vergangenen Landtagswahlen wechselten viele Wähler zur AfD. Das Ergebnis der Bundestagswahl legt nahe, dass sich die Linke auf Bundesebene eine Stammwählerschaft bewahren oder sogar Unterstützer hinzugewinnen konnte. Ihren Status als drittstärkste Kraft verliert die Linke jedoch an die AfD. Damit hat die Partei keine Chance, auch in der nächsten Legislaturperiode Oppositionsführerin zu werden.

Die Arbeit dürfte also schwerer werden als in den vergangenen vier Jahren. Außerdem werden bei der Konstituierung des Bundestages prominente Linke fehlen: der verteidigungspolitische Sprecher Jan van Aken und die netz- und rechtspolitische Sprecherin Halina Wawzyniak. Beide hatten auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Wawzyniak zog sich aus Frust über den Politikbetrieb im Bundestag zurück.

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