Antisemitismus in München:Der Krieg in Nahost als "Brandbeschleuniger"

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Polizisten durchsuchten im November bei einer konzertierten Aktion gegen Antisemitismus die Wohnung eines Verdächtigen. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Judenhass verbindet Verfassungsfeinde unterschiedlicher Couleur. Die Zahl antisemitischer Übergriffe ist im vergangenen Jahr um 70 Prozent gestiegen. Auch ein angekündigter Salafisten-Kongress beschäftigt die Sicherheitsbehörden.

Von Martin Bernstein

Parolen auf Kundgebungen und an Wänden, Beschimpfungen in aller Öffentlichkeit, aber auch körperliche Attacken: Antisemitismus und als "Israelkritik" verbrämte Hetze gegen den jüdischen Staat beschäftigen in München die Sicherheitsbehörden. Dazu kommt die Gefährdung israelischer und jüdischer Einrichtungen. Am Tag, nachdem die Münchner Polizei ihre Sicherheitsvorkehrungen wegen des iranischen Großangriffs auf Israel hochgefahren hatte, musste Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2023 feststellen: "In nahezu allen extremistischen Szenen erleben wir Scharfmacher, die aus ganz unterschiedlicher Motivation gegen Israel hetzen."

Die Münchner Kriminalstatistik verzeichnet für das Jahr 2023 insgesamt 164 Fälle von antisemitischer Hasskriminalität, gegenüber dem Vorjahr ist das eine Zunahme um fast 70 Prozent. Die Hälfte der von der Polizei ermittelten Straftaten gegen Juden entfällt dabei noch immer auf Täter aus der rechten Szene. Doch die zahlenmäßig stärkste Zunahme gab es bei religiös - also islamistisch - motivierten Tatverdächtigen (um 37 Fälle) und bei Tätern mit mutmaßlich ausländischer Ideologie (um 20 Fälle). Der Hamas-Terror vom 7. Oktober und der seither andauernde Gaza-Krieg verursachen nach Einschätzung der Münchner Polizei "eine hohe Emotionalisierung und waren Anlass für zahlreiche Versammlungen und Veranstaltungen".

Wie schnell aus dieser Emotionalisierung Gewalt entsteht, zeigen die jüngsten Fälle aus München: An Silvester ging in Schwabing ein Fahrgast mit judenfeindlichen Schmähungen auf einen Taxifahrer los, später attackierte er die zu Hilfe gerufenen Polizisten. Am 23. Februar beschimpften zwei Jugendliche vor der Synagoge einen Mann antisemitisch und schlugen ihn mit einer Krücke. Das Opfer musste ins Krankenhaus. Am 7. März wurde ein Schweizer vor einem Münchner Nachtclub niedergeschlagen, möglicherweise beraubt und vom Täter dabei judenfeindlich beschimpft. Am Sonntagabend griffen mehrere Jugendliche einen Kameramann an, der von der Solidaritätskundgebung für Israel berichtete, und schlugen nach seiner Kamera.

Judenfeindliche Hetzer "nehmen an pro-palästinensischen Versammlungen teil, nutzen die sozialen Medien, um Hass, Propaganda oder Fake News zu verbreiten und infiltrieren auch unsere Universitäten", beschreibt Innenminister Herrmann, was der Verfassungsschutz zusammengetragen hat. Der Nahostkonflikt wirke wie ein Brandbeschleuniger: "Islamistische Gruppierungen instrumentalisieren den Krieg und stellen Muslime weltweit als Opfer dar. Die Gefahr einer emotionalen Radikalisierung ist hoch." Auch der auslandsbezogene Extremismus trete deutlicher in Erscheinung. Explizit nannte Herrmann am Montag die Gruppierung "Palästina spricht - München".

Der Verfassungsschutz rechnet den Münchner Ableger von "Palästina spricht" dem Spektrum der Bewegung "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen" (BDS) zu und schreibt in seinem Bericht: "Im Verlauf der Versammlungen wurden auch Parolen und Slogans verwendet, die den Anfangsverdacht der Volksverhetzung erfüllen." Die Gruppierung selbst betont immer wieder, antisemitische Parolen oder Plakate würden nicht geduldet.

"Palästina spricht" erwecke bei Versammlungen einen gemäßigten Anschein, ergänzt Herrmann, "verbreitet über die sozialen Medien aber ungeniert antisemitische Inhalte". Für den 20. April ruft die Gruppierung im Rahmen eines "internationalen Aktionstags" dazu auf, auch in München "die Straßen zu fluten, unserer Empörung über diese Regierung freien Lauf zu lassen und unter anderem immer wieder die vollständige Einstellung der Waffenlieferungen an Israel zu fordern".

"Form von Vernichtungs-Antizionismus"

Auf Kundgebungen, in Beiträgen in sozialen Netzwerken und auch auf Münchner Hausmauern war und ist immer wieder die mittlerweile verbotene Parole "From the River to the Sea..." zu lesen. Gemeint ist ein Palästina (oft auch bildlich dargestellt), das vom Jordan bis zum Mittelmeer reicht - also ohne dass Platz für Israel bliebe. Der bayerische Verfassungsschutz sieht darin eine "Form von Vernichtungs-Antizionismus", der mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sei.

Ausdrücklich machen sich die Verfassungsschützer die Bewertung der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) Bayern zu eigen, dass es Vertreterinnen und Vertretern derartiger Positionen "nicht um eine Zwei-Staaten-Lösung, sondern um eine Kein-Staat-Israel-Lösung" gehe. Bestätigt sehen sich die Verfassungsschützer auch dadurch, dass bei Veranstaltungen von "Palästina spricht - München" Banner zu sehen gewesen seien, auf denen das gesamte israelische Staatsgebiet in palästinensischen Farben eingefärbt sei.

Neben den Auswirkungen des iranischen Großangriffs und der möglichen israelischen Reaktion für die Sicherheitslage in München dürfte die Sicherheitsbehörden auch ein Islamisten-Kongress beschäftigen, der Anfang Mai in München stattfinden soll, wie die Münchner Abendzeitung zuerst berichtete. Bei diesem Treffen sollen Führungsfiguren der salafistischen Szene auftreten, die im Fokus mehrerer Verfassungsschutzbehörden sind. Angekündigt wird unter anderem ein führender Vertreter des vom Verfassungsschutz beobachteten "Islamischen Zentrums München", dessen Imam den Hamas-Terror gegen Israel begrüßt haben soll. Der Imam bezeichnete das als Missverständnis.

"Das ist kein kleines Hinterhof-Event", bewertet die Münchner Fachinformationsstelle Rechtsextremismus (Firm) das geplante Treffen in der Heidemannstraße. "Wir rechnen mit einer Besucherzahl im dreistelligen Bereich. Eine demokratische und liberale Auslegung des Islam wird hier sicher nicht vertreten." Bei einem Teil der Referenten seien sogar Kontakte zu Terroristen belegt. Einen der angekündigten Redner zitiert die Firm mit dem Satz: "Die Juden... und die Christen... und alle werden in die Hölle gehen mit ihren Familien. Weil sie keine Moslems sind. Weil sie keine von uns sind."

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