Koalitionsgespräche:Jung, politisch, pragmatisch

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Noch steht die Ampel in Berlin nicht auf Grün. Die jungen Parteimitglieder der drei Partner im Landkreis haben an die Verhandler hohe Erwartungen. (Foto: dpa)

Es waren die jungen Leute, die einer möglichen Ampelkoalition bei der Bundestagswahl eine Mehrheit verschafft haben. Was halten sie nun von den stockenden Verhandlungen in Berlin? Die SZ hat im Landkreis nachgefragt.

Von Martin Mühlfenzl und Yannik Schuster

Ein Wort ärgert Leon Matella: "Idealerweise". Diesen Begriff haben die Sondierer von SPD, Grünen und FDP in ihr Papier hineindiktiert. Idealerweise, heißt es dort, solle der Kohleausstieg zum Jahr 2030 erfolgen. "Das stört mich schon sehr", sagt der 23-jährige Ottobrunner Gemeinderat der Grünen. "Da müssen wir mehr rausholen. Der Kohleausstieg ist nicht verhandelbar und muss zwingend kommen." Mit "Wir" meint der Lehramtsstudent seine Parteiführung, die sich von Sondierern zu angehenden Ampel-Koalitionären gewandelt hat. Doch die Verhandlungen zwischen den drei Partnern stocken - und sie werden vor allem von den Jungen mir Argusaugen beobachtet - also von denen, die vorrangig FDP und Grüne gewählt haben.

Timon Dzienus, 25, Bundessprecher der Grünen Jugend, hat unlängst dem Spiegel mit Blick auf das 1,5-Grad-Ziel beim Klimaschutz gesagt, es müsse sich spürbar etwas für die Menschen im Lande verbessern. Und er drohte, andernfalls würden die etwa 20 000 Mitglieder seiner Organisation dem Vertrag bei einer Mitgliederbefragung nicht zustimmen.

"Da ist man nicht der Boss im Raum."

Kerry Hoppe (FDP). (Foto: privat)

Von "roten Linien" will der Oberhachinger Kevin Terzi nicht sprechen. Er halte es lieber mit dem Bundesvorsitzenden Robert Habeck, sagt der 23-jährige Gemeinderat der Grünen aus Oberhaching: "Man muss die Kirche auch mal im Dorf lassen. Wir sind eine Partei mit 14 Prozent plus X, da ist man nicht der Boss im Raum." Klar sei aber, dass das Thema Klimaschutz "streng" behandelt werden müsse. Es sei aber ebenso wichtig, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen. "Ich habe aber das Gefühl, dass die drei Partner Interesse an einer neuen, progressiven Politik haben", sagt der Student. "Sich an gewissen Eckpunkten festzuklammern und eine Koalition scheitern zu lassen, daran hat keiner ein Interesse."

Diese Haltung scheint Konsens unter den jungen Parteimitgliedern im Landkreis zu sein. Sie beobachten die Verhandlungen in der Hauptstadt, aus denen nur wenig nach draußen dringt, mit ausgeprägtem Pragmatismus. "Die Mindestlohnerhöhung finde ich richtig. Die wäre früher oder später sowieso über die Mindestlohnkommission gekommen. Jetzt sind wir halt ein paar Jahre früher dran", sagt etwa Sam Batat, 23-jähriger Vorsitzender der oberbayerischen Jungliberalen (Julis) aus Taufkirchen. "Wir haben die Chance, eine Zukunftskoalition zu bilden und liegen gebliebene Themen aus den 16 Jahren Merkel anzugehen." Aber Batat formuliert auch klare liberale Positionen: Arbeit müsse sich wieder lohnen - und Steuererhöhungen oder die Einführung einer Vermögenssteuer seien klare rote Linien. Eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre, die Einführung einer Aktienrente und die Zukunftsgestaltung der Bildung stellen hingegen Punkte dar, die für Batat hohe Priorität genießen. Mit dem Ergebnis seiner Partei in den Sondierungen ist der Jungpolitiker zufrieden. Man erkenne eine klare liberale Handschrift im Sondierungspapier.

Kevin Meyer sagt: "Soziale Gerechtigkeit ist das Wichtigste." (Foto: Claus Schunk)

Für Kerry Hoppe, 20, aus Schäftlarn steht das Thema Nachhaltigkeit im Mittelpunkt. Nachhaltigkeit bezieht die Jungliberale dabei sowohl auf den Klimaschutz als auch auf die zukünftige Finanzpolitik. Im Sinne eines zukunftsgerechten Haushalts müsse man an der Schuldenbremse festhalten, sagt sie. Beim Thema Cannabislegalisierung hätte sie sich aber eine klarere Positionierung gewünscht. Anders als bei vielen ihrer Parteikollegen wäre ein Tempolimit keine rote Linie für Hoppe. "Es macht keinen Sinn, einzelne rote Linien festzulegen. Am Ende muss das Gesamtpaket stimmen." Für den Koalitionsvertrag erhofft sie sich Klarheit, wie der Umgang mit China gestaltet werden soll und welche Pläne man europapolitisch hat. Hoppe ist zuversichtlich, dass die Verhandlungen erfolgreich sein werden: "Ich glaube, dass alle drei Parteien verantwortungsbewusst und kompromissbereit sind."

Auch ihr Parteifreund Luis Sanktjohanser, 22, aus Neuried ist kein Fan davon, einzelne Themen als Bedingung zu stellen. Das Sondierungspapier sei eine gute Basis für die laufenden Verhandlungen. Dieses zeige, dass man verschiedene Inhalte der drei Parteien sinnvoll in Verbindung setzen könne. Ihm ist wichtig, dass die neue Regierung Aufbruchstimmung erzeugt. Der Regierungsstil müsse sich vom reaktiven Stil der großen Koalition wandeln zu einer proaktiven Politik. "Die Regierung muss Probleme nicht nur erkennen, sondern auch lösen", so Sanktjohanser.

Die romantische Stimmung müsse sich jetzt lichten

Für Christine Himmelberg, 32, sollte sich nun langsam die anfangs "etwas romantische Stimmung" bei den Verhandlungen der drei Parteien lichten. Auch die Ortsvorsitzende der Taufkirchner Genossen spricht von der Bildung einer "Zukunftskoalition" nach 16-jähriger CDU-Regentschaft - an der die SPD, nebenbei, zwölf Jahre lang beteiligt war. Dass die FDP beim Thema Steuererhöhungen und Belastung von Reicheren derart auf die Bremse trete, sei die Kröte, die man schlucken müsse. "Da wird es interessant zu sehen sein, wie die Koalition all das finanziert, was sie nun aushandelt", so Himmelberg. Gerade die Jüngeren in der Gesellschaft wünschten sich eine Stärkung der Zivilgesellschaft, die zuletzt stark gelitten habe. Vereine, die sich gegen rechts engagieren, sollten gestärkt werden, findet die Jungsozialistin. "Letztlich wollen wir doch alle friedlich zusammenleben."

Dass aus den Verhandlungszimmern so wenig nach draußen dringt, loben alle. "Das ist richtig und spricht für eine Atmosphäre des Vertrauens", sagt der Kreisvorsitzende der Jusos, Kevin Meyer aus Neuried. Für ihn ist klar, dass alle Parteien Kompromisse eingehen müssten; für seine Partei formuliert er aber deutliche Linien: "Für uns als Jusos ist die Ausbildungsplatzumlage ganz zentral. Aber auch die europäische Integration, klare Kante gegen China und Polen und für LGBTQ-Rechte."

Sein Aschheimer Juso-Kollege Kevin Cobbe, 26, hätte sich mehr "Entlastung für Geringverdiener" gewünscht; auch beim Klimaschutz mehr, "als jetzt der Stand bei der SPD" sei. "Man darf auch mal die eigene Partei kritisieren", sagt er. Bisher trägt das Sondierungspapier nach Ansicht des Aschheimer SPD-Vorsitzenden die Handschrift der FDP. "Da müssen wir nachverhandeln. Aber ich verstehe auch, dass die FDP am stärksten darum kämpfen muss, die Basis zu überzeugen", so Cobbe. Das sieht der Grüne Matella anders. Auch die Grünen hätten es nicht leicht, ihre Jugend mitzunehmen. Deshalb formuliert auch er rote Linien und einen Wunsch: "Verzögerungen beim Kohleausstieg, Steuererleichterungen für Reiche, kein CO₂-Preis. Und die kommunale Ebene muss gestärkt werden, sie braucht mehr Planungshoheit." Jetzt muss die Ampel auf Grün springen.

© SZ vom 06.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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