Fichtelgebirge:Steinzeit-light-Diskurs um "Wunhenge"

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Der Steinkreis von Stonehenge zieht Menschen schnell und massenhaft in seinen Bann. Kein Wunder also, dass sich auch andere Orte auf der Welt, Wunsiedel im Fichtelgebirge zum Beispiel, eine ähnliche Attraktion wünschen. (Foto: Finnbarr Webster/Getty Images)

In Wunsiedel soll das britische Stonehenge als Betonkopie nachgebaut werden. Ein pensionierter Kunsterzieher sieht Welterbe dadurch "verkitscht und kommerzialisiert" - und bringt eine deutlich luftigere Variante ins Spiel.

Von Olaf Przybilla, Wunsiedel

Der Tag der Abstimmung im Stadtrat von Wunsiedel über das Projekt "Wunhenge" fühlte sich für German Schlaug wie ein zweifacher Niederschlag an. Das war erstens die große Mehrheit für den, laut städtischer Ankündigung, "originalgetreuen und maßstabsgerechten 1:1-Nachbau" des sagenumwobenen südbritischen Steinkreises Stonehenge - an der Stadtrat Schlaug keine Freude hatte. Noch niederziehender aber, so erzählt er es, war für ihn das Gefühl, als gymnasialer Lehrer offenbar "gescheitert" zu sein. Warum? Fünf der Stadträte, die im Dezember 2020 die Hand pro "Wunhenge" hoben, seien bei ihm einst im Kunstunterricht gesessen, sagt der pensionierte Kunsterzieher.

Dort wiederum wird es natürlich auch mal um das heikle Verhältnis von Kopie und Original gegangen sein, um die komplexe Ästhetik der Attrappe, um Eklektizismus. Aus Sicht von Schlaug jedenfalls muss er etwas nicht ganz richtig gemacht haben, wenn die von ihm an die Welt der Kunst Herangeführten später für ein - so die Eigenwerbung der Stadt - "weltweit einzigartiges Tourismusprojekt" im Fichtelgebirge votieren. Viel eher, ist Schlaug überzeugt, drohe ein Jahrtausende altes Welterbe dort "verkitscht und kommerzialisiert" zu werden.

Ein Riesenspaß: Der Künstler Jeremy Deller hat ein Stonehenge zum Toben kreiert - aus Plastik sowie leicht ab- und aufbaubar. (Foto: Duilio Piaggesi/imago)

Quasi als Alternativentwurf hat der Kunsterzieher, Kneipier und "Bunte Liste"-Stadtrat deshalb nun das ungleich günstigere Werk des Künstlers Jeremy Deller ins Spiel gebracht. Der hatte anlässlich der Olympischen Sommerspiele 2012 in London das britische Nationalheiligtum im Originalformat, aber eben als Hüpfburg nachbauen lassen und konnte sich über mangelnde Resonanz nicht beschweren. Ein rezensierender Hüpf-Tester der Zeit etwa war damals zum Ergebnis gekommen, spirituell Angehauchte würden Stonehenge ja mysteriöse Kräfte nachrühmen - auf dem Plastikpendant wiederum könne man tatsächlich "gar nicht anders, als ekstatisch herumzurasen, jauchzend sich fallen zu lassen, entrückt auf und ab zu hüpfen". Ekstase und Entrückung, wer würde da Nein sagen im Fichtelgebirge?

Aber ist das ernst gemeint? Jedenfalls nicht komplett unernst, erläutert Schlaug. Immerhin pflege er derzeit kontinuierlichen Kontakt zum britischen Multi- und eben auch Hüpfburg-Künstler, der zwar bei Bedarf nicht seine Londoner Originalstonehengekopie zur Verfügung stellen könnte - Verschleißes wegen, der entsprechende Beliebtheit mindestens andeutet -, aber für Wunsiedel und einen niedrigen sechsstelligen Betrag durchaus eine Originalstonehengekopie-Kopie anfertigen lassen würde. Gewissermaßen als erweiterten Beitrag zur Original-und-Replikat-Debatte in Ostoberfranken. In ihrer Londoner Zeit hatte Deller seine Arbeit übrigens auf den Namen "Sacrilege" getauft, des vermeintlich frevelhaften Umgangs mit einer britischen Identitäts-Ikone wegen.

Wohlgemerkt: britischen, nicht fichtelgebirgslerischen. Um zu verstehen, warum dort überhaupt eine Art Steinzeit-light-Diskurs entflammt ist, muss man etwa ein Dutzend Jahre zurückblicken, als die Wunhenge-Idee eines ortsansässigen Kunstfelsenunternehmers erstmals das Licht der Welt erblickte. Damals noch nicht in Stein gemeißelt, die Vision versandete einmal und später gleich noch ein zweites Mal. Kurz nach der Kommunalwahl 2020 aber haben sich führende Lokalpolitiker noch einmal dem Gedanken genähert - und diesmal, hat der fränkische Unternehmer Kai Hammerschmidt einmal in der Taz betont, sei die Initiative nicht von ihm selbst ausgegangen. Sondern aus der Politik.

Die Verwirklichung von "Wunhenge" sei "durchaus realistisch"

Im SZ-Gespräch hat Wunsiedels Bürgermeister Nicolas Lahovnik (CSU) Anfang 2021 geschildert, bei "Wunhenge" handele sich um ein "privates Tourismusprojekt", das sich durch Eintrittsgelder finanzieren solle. Man wolle niemandem Flächen entziehen, sondern ein bereits existierendes Festivalgelände nutzen und verbinde damit die Hoffnung, die Stadt als "Hotelstandort" wieder interessant zu machen; mit mindestens 100 000 Besuchern pro Jahr sei zu rechnen.

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Ein Jahr danach sagt Lahovnik, Stadt und Unternehmer - dessen Angestellte sich laut Bürgermeister darauf verstehen, "Naturstein originalgetreu aus Beton zu modellieren" - hätten die zwölf Monate genutzt, die Finanzierung aus privaten Mitteln nehme Gestalt an. Eine "finale Linie" sei zwar noch nicht überschritten, die Verwirklichung von "Wunhenge" aber "durchaus realistisch". Eine Hüpfburg dagegen? Dazu habe er als Bürgermeister "keine Meinung", sagt Lahovnik, solange er nichts "Näheres" darüber wisse.

Der Stadtrat Schlaug wiederum ist überzeugt davon, dass die Betonvariante von Stonehenge im Fichtelgebirge nicht kommen wird. Es wäre ohnehin nicht die erste Kopie in Bayern, ein Landschaftsgärtner hat sich in finanziell deutlich kleinerer Dimension schon einmal in Niederbayern verkünstelt. Wunhenge dagegen werde nicht kommen, hofft Schlags. Das Millionenprojekt werde "in sich zusammenfallen wie ein Soufflé", sagt er voraus, "oder eben eine Hüpfburg".

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