Ehemaliges Reichsparteitagsgelände:Epochales, verkündet im Lokalradio

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Die Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg (Foto: Timm Schamberger/dpa)

Die Debatte ums Operninterim wirbelt Nürnbergs Parteien durcheinander wie selten etwas zuvor. An diesem Mittwoch steht eine historische Entscheidung an. Die aber wurde sieben Tage zuvor - ohne Stadtratsdebatte - bereits versendet.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Der Fall des Nürnberger Opernhausinterims wird irgendwann eine Sache für die Stadthistoriker sein und dann dürften Chronisten im Fall des Grünen-Chefs im Stadtrat, Achim Mletzko, über eine Merkwürdigkeit stolpern. Historiker arbeiten mit Quellen, am liebsten mit schriftlichen, und da hatte Mletzko am 26. November 2021 eine eindeutige geliefert. Es brauche eine zivilgesellschaftliche Debatte, ob das Opernhaus "tatsächlich" saniert werden soll, teilte er mit. Und man müsse sich möglicherweise "der Vision eines baulich und kulturell einzigartigen, aus einem weltweiten Architekturwettbewerb hervorgehenden Neubau am Richard-Wagner-Platz zuwenden". Einen Neubau, den sich Mletzko "transparent, mit modernster, hochfunktionaler Architektur, einladend, barrierefrei" vorstellte. Kurzum: "ein großer Wurf".

14 Tage später äußerte sich Mletzko erneut, auch da werden Historiker auf eine schriftliche Quelle stoßen, und zwar das gemeinsame Papier, das CSU, SPD und Grüne am 10. Dezember vorgestellt haben. Ein zentraler Punkt: Der Standort am Wagner-Platz wird beibehalten, das Opernhaus saniert. Nun könnten Chronisten auf die Idee kommen, dass dies etwas diametral anderes ist - und an der Authentizität der Quelle zweifeln. Die aber ist echt. Mletzko bestreitet auch gar nicht, eine Kehrtwendung in einer Grundsatzfrage um gefühlte 167 Grad vorgenommen zu haben, binnen zweier Wochen. Aber so ist das gerade in Nürnberg: Das Thema ist groß, so groß wie es der Riesenbau auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände andeutet, der künftig Funktionsräume des Operninterims beherbergen soll. Und es wirbelt Nürnbergs Parteien durcheinander wie kaum etwas zuvor.

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Wie man sich Mletzkos U-Turn erklären kann? Er habe mal den "Kopf aus dem Fenster" gestreckt, sagt er. Habe dafür aber "deutliche Rückmeldungen" bekommen. Neubau statt Sanierung eines denkmalgeschützten Baus mit stadtbildprägender Silhouette? Im vom Zweiten Weltkrieg schwer gezeichneten Nürnberg - wo es nicht mehr viele Gebäude dieser Art gibt - war Mletzkos Vorschlag, der kaum anders denn als kommode Abrissvision zu deuten war, kein Verkaufsschlager. Hinter den Kulissen, so ist zu hören, soll sich der Fraktionschef auch von eigenen Parteileuten "deutlicher Rückmeldungen" erfreut haben. Radikalwende also, auch wenn Beobachtern schwindlig werden könnte angesichts der Rasanz.

Andere nervt die "Bedenkenträgerei"

Durcheinandergewirbelt wird auch die Partei, die die Historie der Stadt wie keine andere geprägt hat: die SPD. Da gibt's derzeit drei Haltungen: Die einen können sich grundsätzlich keine Oper auf dem früheren NS-Areal vorstellen, weder im Innenhof von Hitlers Hallentorso noch außerhalb - sie bevorzugten einen anderen Ort, Schöller-Areal oder Messe. Andere nervt die "Bedenkenträgerei", sie plädieren für eine neue, offensive Form von Erinnerungskultur, gerne auch mit Opern im NS-Torso-Innenhof. Eine Mehrheit kann sich zwar mit einem Interim an Hitlers Ruinen anfreunden, will aber den Aufführungsort - wie die Historiker vom Dokuzentrum - nicht im besagten Innenhof sehen. Die SPD hat dazu eigens einen Parteiausschuss einberufen, samt Resolution. "Wir haben es uns nicht leicht gemacht", sagt Parteichef Nasser Ahmed.

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Tatsächlich demonstriert die SPD Debattenkultur - und trotzdem bleibt ein Schönheitsfleck. Warum die Fraktionsspitzen den Kompromiss von CSU, SPD und Grünen eine Woche vor der Abstimmung per lockerem Plausch im Lokalradio verkündet haben? Das halten viele für einen demokratietheoretischen Treppenwitz - zumal viele dafür plädiert hatten, sich mehr Zeit zur Diskussion zu lassen. Stattdessen: Verkündung einer epochalen Entscheidung - das Interim kommt aufs ehemalige NS-Gelände - auf "Radio F", sieben Tage vor der Stadtratsdebatte an diesem Mittwoch. "Schräg", findet das jemand aus der Parteispitze, um Worte ringend. Fraktion und Partei funken in Nürnbergs SPD gerade auf, gelinde gesagt, nicht ganz identischen Wellen.

Am harmonischsten geht's in der CSU zu. Sie rühmt gerade ostentativ den SPD-Fraktionschef Thorsten Brehm, was in der SPD nicht alle ohne Argwohn zur Kenntnis nehmen. Zumal die Zerreißprobe zwischen den Rathauspartnern CSU und SPD erst bevorsteht. 2022 soll entschieden werden, wo exakt auf dem Ex-NS-Areal das Interim hinsoll. Die CSU ist klar fürs Innere des NS-Hufeisens, die SPD mehrheitlich vehement für einen Bau vor dem Torso. Ein Kompromiss? Schwer vorstellbar.

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