Bilanz:Zwischen Sicherheit und Sehnsucht

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Die Tourismuszahlen für das Corona-Jahr 2020 spiegeln die Pandemielage wider. Städte verzeichnen erheblichen Schwund, ländliche Regionen trifft es nicht ganz so hart.

Von Florian Fuchs, Matthias Köpf, Olaf Przybilla und Lisa Schnell

Seit 2019 darf sich das Wassermanagement-System der Stadt Augsburg Unesco-Weltkulturerbe nennen. Die Stadt erhoffte sich davon Auswirkungen auf die Tourismuszahlen, mit Corona war dies jedoch bald Makulatur, zumindest fürs Erste. Gerade Städtereisen wurden in der Pandemie abgesagt, für Augsburg liegen dazu nun erste Daten für den Zeitraum Januar bis November vor: Die Zahl der Gästeankünfte ist im Vergleich zum Vorjahr auf 53,6 Prozent zurückgegangen, die Zahl der Übernachtungen um 49,4 Prozent. Nur rund 150 Kilometer südlich stellt sich in Oberstdorf die Situation anders dar: Zwar gibt es auch dort Einbußen, aber nur um 19 Prozent im Vergleich zu 2019.

37 Prozent weniger Übernachtungen im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet der Freistaat als beliebteste deutsche Tourismusdestination zwischen Januar und November 2020, das ist der Zeitraum mit den aktuellsten Daten. Darin eingepreist ist ein deutliches Land-Stadt-Gefälle: Wie Augsburg erging es auch Nürnberg und Regensburg mit Übernachtungsverlusten von bis zu 60 und 44 Prozent.

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Ländliche Regionen verzeichneten dagegen in den beschränkungsfreien Sommermonaten teilweise sogar touristische Rekordwerte, was das Minus aufs ganze Jahr betrachtet wenigstens abmilderte - wenngleich zum Beispiel Oberstdorf dennoch rund 90 Millionen Euro touristische Wertschöpfungsverluste in der Bilanz stehen hat. "In den A-Lagen haben die ausländischen Gäste gefehlt", resümiert der Geschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands Thomas Geppert.

In der Halbmillionenstadt Nürnberg etwa werden mehr als zwei Drittel der Hotelbesucher dem Bereich "Business" zugerechnet, kommen also als Messebesucher, Tagungsteilnehmer oder Geschäftsreisende. Weil das alles nahezu zum Erliegen kam, war der Besucherschwund enorm. Was die Branche besonders trifft, sind doch in Nürnberg die Bettenkapazitäten stark gestiegen zuletzt. Der Lichtblick für Tourismuschefin Yvonne Coulin: Im Sommer verzeichnete sie nur ein Minus von 45 Prozent, was gar nicht schlecht ist, verglichen mit anderen Städten. Der Grund? Nürnberg hat den Ruf, im Grünen zu liegen, die Fränkischen Schweiz ist vor der Tür. Das wollten dann doch einige nutzen.

Städte wie Nürnberg hofften, zum Beispiel mit dezentralen Volksfesten Touristen anzulocken. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Die meisten Urlaubsreisenden haben die Sehnsucht nach Natur aber tatsächlich auf dem Land ausgelebt. In der "Alpenwelt Karwendel", zu der sich die traditionsreichen Fremdenverkehrsorte im oberen Isartal rund um Mittenwald zusammengeschlossen haben, registrierten die Touristiker im Corona-Jahr 2020 rund eine Million Übernachtungen - 16 Prozent weniger als im Jahr davor. Insgesamt kamen um ein Viertel weniger Gäste. Immerhin haben die Sommer- und Herbstmonate zwischen den beiden Corona-Lockdowns die Jahresbilanz noch einigermaßen retten können. Denn in dieser Zeit kamen zwar nicht mehr Gäste als in früheren Sommern, aber mit durchschnittlich fünfeinhalb Tagen blieben sie um einen halben Tag länger als 2019. Urlaub auf dem Bauernhof war im Sommer besonders gefragt, die Auslastung stieg hierbei um 20 Prozent.

"Nachholeffekte gibt es nicht in unserer Branche."

Der Chiemgau verzeichnete im August sogar ein Plus bei den Ankünften, berichtet Claudia Kreier vom Chiemgau-Tourismus in Traunstein. Fürs gesamte Jahr rechnet sie mit einem vergleichsweise milden Minus von ungefähr zehn Prozent im Vergleich zu den knapp 790 000 Gästen im Jahr davor. Kreier vermutet, dass das an der sehr ländlichen Struktur im Chiemgau liegt. Deutsche Inlandstouristen waren dort auch schon vor Pandemiezeiten stets die weitaus größte Gästegruppe.

Die Verluste wettmachen können solche positiven Zahlen aber auch nicht, "Nachholeffekte gibt es nicht in unserer Branche", sagt Geppert vom Hotelverband. "Man kann Betten ja nicht doppelt belegen." So schwanden auch in Ostbayern im Bayerischen Wald die Besuche von Touristen. Gerade die Thermen haben dort mit gut 40 Prozent starke Einbrüche. Das liegt an der Pandemie, weil sie lange Zeit geschlossen waren, aber auch an dem älteren Klientel, sagt Ulrike Eberl-Walter von Tourismus Ostbayern. Ältere Gäste blieben natürlich öfter daheim, weil sie zur Risikogruppe gehören - und sie reagieren nicht so schnell.

In Rothenburg rechnet Tourismussprecher Robert Nehr mit 50 bis 75 Prozent Einbußen an Übernachtungen für die fränkische Vorzeigestadt, die nicht zuletzt bei Amerikanern und Japanern beliebt ist. Große Schatten liegen also auf Rothenburg, ein paar Lichtblicke aber gibt es schon auch. Im Sommer, erzählt Nehr, waren zwischen den Fachwerkhäusern viele Besucher anzutreffen, die das letzte Mal als Schüler - also zwangsweise - ein paar Stunden in dem Städtchen verbracht hatten. Damals blieb ein bestenfalls verzerrter Eindruck. In der Krise gönnten sich nun viele die Gelegenheit, die verblichenen Eindrücke mit der Gegenwart abzugleichen.

Rothenburg hofft deswegen auf einen "Langzeiteffekt" bei einheimischen Touristen - zumal nicht nur Romantiker, sondern auch Radfahrer das Städtchen in der Krise zunehmend für sich entdeckt haben: Rothenburg liegt an acht Fernradwegen. Auch Augsburgs Tourismusdirektor Götz Beck sieht Inlandstourismus langfristig durch die Krise im Vergleich zu Fernreisen gestärkt, was ihn zu Optimismus verleitet: "Das Bedürfnis nach Sicherheit beim Urlaub und bei Reisen wird künftig eine noch größere Rolle spielen als schon bisher."

© SZ vom 03.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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