Ausstellung in Rosenheim:Mut tut gut

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Jede Zeit, jede Gesellschaft hat ihre eigenen Heldinnen und Helden. Hier das während der Corona-Pandemie entstandene Graffiti "Supernurse" des Künstlers Uzey aus dem Jahr 2020 in Hamm. (Foto: Annette Kiehl, Westfalenspiegel/Uzey Tattoo)

Eine sehenswerte Ausstellung im Lokschuppen Rosenheim beleuchtet das Heroentum in all seinen Facetten.

Von Jürgen Moises

Er ist aufbrausend und rüpelhaft. Immer wieder gerät er in Raserei, wird teilweise wahnsinnig und sogar zum Mörder. Herakles, ein moralisches Vorbild? Nun, aus heutiger Sicht ganz sicher nicht. Den griechischen Halbgott zeichnen dafür andere Qualitäten aus, die ihn lange zum Prototypen eines Helden machten. So wie er sich in übermenschlicher Größe im Lokschuppen Rosenheim auf seine Keule lehnt, wirkt Herakles auf jeden Fall mit sich im Reinen. Als "Gott für alle Fälle" löst er mit seinem muskulösen Idealkörper Bewunderung aus. Und bewundert werden wollen sie ja, die Helden, oder nicht? In der Ausstellung " Heldinnen & Helden" im Lokschuppen gibt es jedenfalls reichlich davon. Dort geht es in einem weitreichenden Parcours durch die Heldengeschichte.

Weit mehr als 100 "Vorbilder und Idole von der Antike bis heute", so der Untertitel, werden im Lokschuppen präsentiert. Gezeigt werden 351 Exponate, darunter 192 Originale. Hinzu kommen 69 Medienstationen, davon sind 28 interaktiv und mit dem Smartphone verknüpfbar. Dort kann man virtuell mittels QR-Code auf eigene Heldenreise gehen, in Form eines Rollenspiels inklusive Avatar. Die zu bestehenden Abenteuer? Meist kleine Geschicklichkeitsspiele, keine großen Heldentaten, aber man lernt so einiges über Helden, ihre Gegner und die wichtigsten Stationen einer Heldenreise. Das lehrt einen aber auch die Ausstellung selbst, die nicht chronologisch aufgebaut ist, sondern thematisch alle wichtigen Facetten des Heldentums vermittelt.

Was die ausgewählten Heroen angeht, da ist der Ansatz äußerst breit. Das reicht von Comic-Superhelden und Sportlern über Wissenschaftler und Politiker bis zu Umwelt-Aktivisten und den während der Corona-Pandemie gefeierten " Alltagshelden". Laut der Leiterin des Lokschuppens, Jennifer Morscheiser, gaben Letztere auch mit den Anstoß für die Ausstellung. Zusammen mit den Superheldinnen und -helden, welche es seit Jahren in die Kinos schwemmt. Davon angeregt haben sich die Historiker Andrea Erkenbrecher und Thomas Forstner als Kuratorenduo auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage begeben, was einen Held zum Helden macht. Aber trotz der vielen Beispiele und Erkenntnisse: Eine klare Antwort gibt es nicht. Und das ganz bewusst.

Stattdessen erfährt man, dass die Heldenfrage von der Zeit, dem Kontext und der jeweiligen Gesellschaft abhängig ist. Das heißt: Jede Zeit, jede Gesellschaft hat ihre eigenen Heldinnen und Helden. Und am Ende sieht sogar wohl jede und jeder von uns etwas anderes als heldenhaft an. Das kann eine sportliche oder andere körperliche Höchstleistung sein wie bei Steffi Graf, Muhammad Ali oder dem Polarforscher Ernest Shackelton. Politischer Widerstand, wie ihn Sophie Scholl und Claus Schenk Graf von Stauffenberg gegen die Nazis oder Alexej Nawalny gegen Wladimir Putin geleistet haben. Oder auch eine herausragende wissenschaftliche Leistung wie bei der zweifachen Nobelpreisträgerin Marie Curie, die an den Folgen ihrer Forschungen starb.

Lebensgroß ist der originalgetreue Nachbau des Batmobils aus den Batman-Filmen von Tim Burton. (Foto: Axel Jusseit)

Dass sie ihr Leben für eine höhere Sache riskieren, das findet sich bei vielen Heldinnen und Helden. Und nicht selten zeigen sie uns dabei, was menschlich alles möglich ist. Aber das kann auch einschüchternd sein. Deswegen gibt es als "Entlastung" die Antihelden, wovon an filmischen Beispielen Mr. Bean, Forrest Gump oder der Dude aus "The Big Lebowski" präsentiert werden. Auch die ungewöhnlichen Comic-Figuren " Dragman", " Trachtman" und "Ladybug" entsprechen nicht so ganz dem klassischen Heldenideal. Und haben nicht auch Heroen wie Achilleus und Siegfried aus der Nibelungensaga ihre Achillesferse? Dass die deutsche Rezeption der Nibelungen wiederum dunkle Stellen hat, auch das wird in der Ausstellung thematisiert. Genauso wie der gewandelte Status von Kriegshelden.

Jeder Held braucht die richtige Waffe - im Falle von Muhammad Ali sind das die von ihm signierten Boxhandschuhe Everlast. (Foto: Bokeum Lee/LWL-Museen für Industriekultur. Westfälisches Landesmuseum)

Ebenbürtige Gegner und Versuchungen, die braucht es für eine "Heldenreise" ebenfalls. Und laut dem amerikanischen Mythenforscher Joseph Campbell zudem einen Mentor. Was die Gegner angeht, da gibt es etwa Darth Vader und zwei Stormtroopers aus " Star Wars" auf einer Mixed-Media-Zeichnung, eine Bildpostkarte von Siegfried im Kampf mit dem Drachen oder Joker und Riddler aus "Batman" als lebensgroße Figuren zu sehen. Lebensgroß sind auch der originalgetreue Nachbau des Batmobils aus den Batman-Filmen von Tim Burton und die Statuen von Din Djarin und Baby Yoda aus der Star-Wars-Serie " The Mandalorian". Dass ein Held außerdem die richtige Waffe braucht, zeigen die von Muhammad Ali signierten Box-Handschuhe oder Luke Skywalkers Lichtschwert als Original-Filmrequisite.

Wie man an Helden erinnert und sie richtig ehrt, ist ebenfalls eine wichtige Frage. Sie wird anhand einer Büste von Sophie Scholl, der Replik einer originellen 3-D-Skulptur von Nelson Mandela, dem Graffito "Super Nurse" von Uzey, Autogrammkarten, Briefmarken, T-Shirts, Comics, Getränkedosen oder einem Duschgel durchdekliniert. Und es wird dabei die weitergehende Frage gestellt, ob das Ganze für eine Inflation des möglicherweise entwerteten Heldenbegriffs steht oder im Gegenteil für seine Demokratisierung.

Dass man jedenfalls Lebensmittelretter genauso wie eine afghanische Drag Queen als heldenhaft wahrnehmen kann, belegen die Arbeiten von Fotografie-Studierenden aus Hannover am Schluss der Ausstellung. Und ist es nicht am Ende so, dass in der richtigen Situation, mit der richtigen Gelegenheit jede und jeder von uns zur Heldin, zum Helden werden kann? Für solche Fragen gibt die Ausstellung mehr als genug Anregungen. Das Gleiche gilt für den sehr lesenswerten, die Inhalte vertiefenden Begleitband und das Rahmenprogramm mit 60 Events. Dazu gehören Konzerte, Vorträge und ein dreitägiges " Fantasy-Lesefestival" im September.

Heldinnen & Helden, bis 15. Dezember, Lokschuppen Rosenheim, Rathausstraße 24, www.lokschuppen.de

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