Ski alpin:Deutschlands Abfahrer: Neue Führungskräfte gesucht

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Schnelle Schräglagen: Simon Jocher deutet bei den Super-G-Rennen in Garmisch-Partenkirchen sein Potenzial an. (Foto: Christophe Pallot/Agence Zoom/Getty Images)

Die Rücktritte von Thomas Dreßen und Josef Ferstl reißen im deutschen Abfahrtsteam eine Lücke. Einer, der sie füllen könnte, ist Simon Jocher. Doch der Grat zur Weltspitze ist schmal, wie der 27-Jährige schon erfahren hat.

Von Johannes Knuth, Garmisch-Partenkirchen

Knapp 50 Mal hat sich Thomas Dreßen in seinem Skirennfahrerleben auf eine Weltcupabfahrt gestürzt, aber es gibt auch ein paar Dinge, auf die der 30-Jährige weniger abfährt. Für Ehrungen etwa sei er "nicht so der Typ", sagte Dreßen, als sie ihn am Samstag in Garmisch-Partenkirchen in die Rennfahrerpension verabschiedeten. Aber da musste er durch: 2020 gewann er auf der Kandahar einen seiner fünf Weltcups in der Abfahrt, mehr hat kein anderer deutscher Skirennfahrer geschafft, also ehrten sie Dreßen jetzt noch mal mit einer Trophäe und warmem Applaus von 5000 Zuschauern. Viele hatten sich Dreßens Konterfei aus Pappe aufgesetzt. Könnte man ihn doch so leicht kopieren, mögen sich manche gedacht haben.

Das erste von zwei Wochenenden in Garmisch bot sich nun noch mal für eine Feldstudie des deutschen Abfahrtssports an, denn praktischerweise hatten sich hier dessen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf einem Fleck versammelt. Wie hell die Vergangenheit vor gar nicht langer Zeit funkelte, daran erinnerte nicht nur der Ehrengast Dreßen, sondern auch Josef Ferstl, der am Sonntag eine letzte, zeremonielle Schussfahrt bestritt.

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Abfahrer Josef "Pepi" Ferstl verabschiedet sich beim Heimrennen in Garmisch von der Bühne des Skiweltcups. Einst war er für viele der Sohn des Kitzbühel-Siegers Sepp Ferstl. Bis zu einem denkwürdigen Tag vor fünf Jahren.

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Das Kontingent der Arrivierten, die die Jüngeren mitziehen sollen, hatte sich somit mal eben halbiert, auf Romed Baumann und Andreas Sander. Doch die reihten sich auch in Garmisch weit jenseits der Spitzenplätze ein. Am nächsten kam diesem Zirkel noch Simon Jocher, der im ersten Super-G des Wochenendes 18. wurde, im zweiten, beim Sieg des Schweizers Marco Odermatt, mit zwölftbester Zwischenzeit aus dem Kurs kreiselte. Da war das Leitmotiv rasch abgesteckt: Was verheißt das nun für die Zukunft?

Können die Jüngeren sich so sehr in diesen Sport knien, dass es sie wieder in die Weltspitze trägt?

Josef Ferstl war in Garmisch insofern eine spannende Auskunftsperson, weil sich aus seiner Karriere lesen lässt, was für den Erfolg alles zusammenfließen muss. Er erinnerte noch mal daran, wie sehr die deutschen Abfahrer einst am Boden lagen, als er zum Team stieß; wie der damalige Abfahrtstrainer Christian Schwaiger erst die Kurventechnik der Fahrer festigte, damit auch den Kopf stärkte. Ferstl gewann als Erster aus dem Kollektiv einen Weltcup (2017 beim Super-G in Gröden), gefolgt von den Streif-Siegen von Dreßen und Ferstl, WM-Medaillen von Sander und Baumann. Aber je mehr sich die Verletzungen stapelten, desto mehr verlor Ferstl den Kontakt zur Spitze. Zugleich gingen ihm die Risiken seines Gewerbes immer näher: In Kitzbühel trank er zuletzt vor dem Start einen Kaffee mit Barnabas Szollos, Minuten später stürzte der Israeli so schwer, dass er sich Tage später bei Ferstl meldete, mit Platten im lädierten Kiefer.

Aus seiner Karriere lässt sich lesen was für den Erfolg alles zusammenfließen muss: Josef Ferstl bestritt am Sonntag eine letzte, zeremonielle Schussfahrt. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

All das hielt Ferstl aber nicht davon ab, für seine Nachfolger im deutschen Team einen Bildungsauftrag zu formulieren. Die Jüngeren, die schon länger dabei seien, "müssen jetzt auch ein bisschen liefern, ihre Gedanken ordnen und entscheiden, was sie wollen und was sie noch können", sagte Ferstl. Frei übersetzt: Können sie sich mit Kopf und Körper so sehr in diesen Sport knien, dass es sie wieder in die Weltspitze trägt?

Es fügte sich wunderbar, dass kurz darauf einer der indirekt Angesprochenen über die Kandahar-Piste preschte: Simon Jocher. Der 27-Jährige vom SC Garmisch führt noch eine recht klassische Wintersportbiografie mit sich; die skibegeisterten Eltern führten einen Bauernhof in Schongau, Jocher wuchs über die Nachwuchskader in den Spitzensport hinein. Als 19-Jähriger fuhr er vorrangig Slaloms und Riesenslaloms, ehe er spürte, dass ihn seine Kurventechnik auch im eisigen und schnellen Gelände befähigt. Von solchen Fahrern haben sie im Deutschen Skiverband nicht allzu viele, und Jocher, schwärmte Sportvorstand Wolfgang Maier schon vor drei Jahren, widme sich gewissenhaft und allürenfrei dem Sport, sei in seinem Jahrgang "mit der Beste der Welt".

Thomas Dreßen und Josef Ferstl wollen den einstigen Kollegen weiter helfen

Daraus entsprang bis jetzt eine recht handelsübliche Karriere eines Begabten: Mal fuhr Jocher so, als wäre er schon zehn Jahre länger im Geschäft, wurde Fünfter in der WM-Kombination 2021, brachte als Achter und Siebter in den Abfahrten von Gröden (2021) und Kvitfjell (2022) die Bestzeiten ins Wackeln. Und mal stürzte er schwer wie im vergangenen Winter in Beaver Creek und Aspen. Es dauerte bis zum vergangenen Sommer, ehe er alle Folgen und Schwindelgefühle "im Griff" hatte. Die Stürze habe er "jetzt nicht mehr am Start im Kopf", sagte Jocher in Garmisch, aber "die fahren natürlich noch ein bisschen mit".

Das sind die zwei Pole, zwischen denen sich solch eine Schnellfahrerkarriere bewegt: zwischen Respekt, weil Jocher auch mal kurz zweifelte, ob es mit ihm noch mal so wird, wie es mal war - und der Zuversicht einer potenziellen Führungskraft. Die Rücktritte von Dreßen und Ferstl seien "schon hart und traurig", sagte er, aber: "Jetzt müssen wir uns zeigen und die Lücke füllen." Indem er etwa seine Riesenslalomtechnik, mit der Odermatt und Cyprien Sarrazin derzeit die Speed-Disziplinen bestimmen, noch mehr festigt. Und ganz wird ihm der Rat der Altvorderen künftig nicht erspart bleiben: Er würde den Kollegen weiter "gerne meine Erfahrung irgendwie weitergeben", sagte Dreßen in Garmisch. Ferstl kann sich auch eine Trainerlaufbahn vorstellen.

Von den Kollegen aus den anderen Nationen gab es in Garmisch noch etwas Anschauungsmaterial - vor allem von den Franzosen, die vor wenigen Jahren in einem ähnlichen Tief steckten wie nun die Deutschen. Sarrazin, der Kitzbühel-Sieger, wird nur Elfter am Samstag und scheidet am Sonntag aus? Dann gewinnt eben Nils Allègre seinen ersten Weltcup, mit 30 Jahren.

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