Abschied von Josef Ferstl:Der letzte deutsche Streif-Sieger

Lesezeit: 4 min

27. Januar 2019, Kitzbühel: Josef "Pepi" Ferstl legt auf der Streif eine denkwürdige Fahrt hin. (Foto: Joe Klamar/AFP)

Abfahrer Josef "Pepi" Ferstl verabschiedet sich beim Heimrennen in Garmisch von der Bühne des Skiweltcups. Einst war er für viele der Sohn des Kitzbühel-Siegers Sepp Ferstl. Bis zu einem denkwürdigen Tag vor fünf Jahren.

Von Korbinian Eisenberger

Am 27. Januar vor fünf Jahren wurde der schwerste mit Mythen überfrachtete Hügel der Skiwelt um ein Kapitel reicher. In Kitzbühel auf der berühmten Streifabfahrt stand der Super-G an - und ein Skifahrer namens Josef Ferstl ging mit Startnummer eins an den Start. Als der damals 30-Jährige gut 73 Sekunden später gesund und dem Vernehmen nach ziemlich rasant ins Ziel gerast war, plumpste er erschöpft auf den Sitz, den sie im Zielraum für den Führenden reserviert hatten. Ziemlich unaufgeregt wirkte er da noch, er war ja mit dieser Startnummer eher mehr als weniger der Testpilot für das restliche Starterfeld. In den kommenden 80 Minuten zeigte sich, was seine Zeit auf der Streif wert war.

Ferstl saß auf diesem Stuhl, mehrmals wollte er sich erheben, etwa als Vincent Kriechmayr so gar nicht kriechen wollte über den Hahnenkamm - aber dann vor dem Hausberg noch einen Umweg machte. Beim Franzosen Johan Clarey wurde es noch knapper, doch auch der hatte im Ziel acht Hundertstelsekunden Rückstand auf Ferstl. Und so saß Ferstl so lange auf seinem Sitz, bis irgendwann der letzte Mann die Streif hinabgerauscht war. Ferstl hatte dieses Rennen gewonnen.

SZ PlusLinus Straßer vor Kitzbühel
:Spiel mit dem Eis

Der Slalom ist die heimliche Königsdisziplin des Wintersports. Bei bis zu 50 Kilometern pro Stunde auf Blankeis gilt es, seine Skier zentimetergenau zu beherrschen. Wie gelingt das? Kamerafahrten auf der Piste mit dem Wahl-Kitzbüheler Linus Straßer, der seinen Sport liebt, aber auch verteidigen muss.

Von Korbinian Eisenberger

Diesen Sieg von Kitzbühel nimmt ihm keiner mehr, dem Pepi, oder "Ferschtei", wie sie ihn schon als Kind im Chiemgau riefen. Vor Kitzbühel hatte er 2017 den Super-G in Gröden gewonnen, elf Jahre war er im Weltcup, bei vier Weltmeisterschaften und zwei Winterspielen über die schwierigsten Abfahrtspisten des Planeten gedonnert. Am Donnerstag nun teilte Ferstl mit, dass nach Thomas Dreßen auch er seine Karriere beenden werde. Für seine letzte Fahrt hat sich der 35-Jährige Garmisch-Partenkirchen ausgesucht. Dort wird am Samstag (11.45 Uhr) ein Super-G gefahren, ohne Ferstl - das Rennen stand wegen des nasswarmen Wetters bis zuletzt aber auf der Kippe. Sollte der zweite Super-G am Sonntag (11.30 Uhr) stattfinden, würde Ferstl dort sein 191. und letztes Weltcuprennen fahren.

"Wenn der Kopf nicht mehr bereit ist, volles Risiko zu gehen, ist es an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen."

"Ich habe in dieser Saison noch einmal alles versucht, um mich wieder unter den besten Speedfahrern der Welt behaupten zu können", sagt Josef Ferstl. Das war ihm allerdings, anders als in den Vorjahren, kaum mehr geglückt. Rang 15 bei der verkürzten Abfahrt von Gröden Mitte Dezember war sein bestes Ergebnis dieses Winters: "Wenn der Kopf nicht mehr bereit ist, volles Risiko zu gehen, ist es an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen."

Ferstl, der für den SC Hammer im Landkreis Traunstein fährt, war als Kind einer, der auffiel. Das lag zum einen am Skihelm des jungen Pepi, bestehend aus einer weißen Gummischale, die rundherum mit Originalunterschriften der seinerzeit besten Skirennläufer der Welt verziert war: Hermann Maier, Lasse Kjus, Bode Miller. Die Kinder im Lift fragten den lässigen Burschen mit dem noch lässigeren Helm natürlich, wie es dazu kam. Und so erzählte Pepi den zweiten Teil der Geschichte, weswegen er im Kreis des Traunsteiner und Berchtesgadener Nachwuchsskizirkus schon damals den Status eines Prominenten hatte.

Durch seinen Vater Sepp Ferstl hatte der kleine Pepi früh Zugang zur Profiszene. Sepp Ferstl galt im Chiemgau seinerzeit längst als Ski-Ikone, er hatte 1978 und 1979 die Streifabfahrt gewonnen, das schon damals als wichtigstes Skirennen überhaupt galt. Im Moment, als sein Sohn Pepi auf Skiern stehen und fahren konnte, ging im Prinzip das neue Familienprojekt los. Das Projekt "Kitz".

Früher haben die Kinder gesagt: Schau, des ist der Ferstl, sein Papa hat auf der Streif gewonnen. Diese Zeiten sind vorbei

Ferstl entwickelte sich nicht zum animalischen Abfahrer wie etwa Hermann Maier, er wurde auch kein Lebemann wie Alberto Tomba, auch keine Überfigur. Er wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern Leni und Hannes in Waging am See, fährt "ganz gut" Bagger, weil Vater Sepp inzwischen eine Tiefbaufirma hat. Die zwei Streif-Siege des Seniors hielt man dem Junior ja stets vor - bis zu diesem Tag Ende Januar 2019.

Ferstls früherer Cheftrainer Mathias Berthold beschrieb ihn mal als "sehr talentiert". Tatsächlich zählte Ferstl mit nur 179 Zentimetern Körpergröße im Weltcup der Speedfahrer stets zu den kleineren Vertretern. Das kann Geschwindigkeit kosten, hat es bei ihm eventuell auch bisweilen, Ferstl aber wusste dies durch sein Talent und seine von Kindheit an geschulte Skitechnik zu kompensieren. Eher zum Problem wurden die zunehmenden Verletzungen.

Keiner für aufreizende Gesten, dafür schnell im Rennen und mit klarer Meinung: Josef Ferstl hat im Alpinsport Spuren hinterlassen. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Im Dezember 2015 erlitt er einen Kreuzbandriss, damit fing es an. Anfang 2021 stürzte er beim Heimrennen in Garmisch, verletzte sich am Sprunggelenk und verpasste die anschließende WM. 2022 stürzte er abermals in Garmisch, diesmal lautete die Diagnose: Oberarmbruch. Ferstl bekam einen Titanstift und zwölf Schrauben in den rechten Arm. In der vergangenen Saison machten ihm dann seine Hüfte und eine Entzündung im Becken zu schaffen. Ferstl fuhr und kämpfte weiter.

Bei einem Treffen in Gröden vor einigen Wochen hatte Josef Ferstl noch zuversichtlich geklungen. Überzeugt, dass er es noch mal schafft, in die Weltspitze. "Ich geh' an den Start, um aufs Podium zu fahren", hatte er gesagt. Nun endet die Karriere vorzeitig - und mit ihr auch langsam die Ära jener Abfahrer, die sich unter Berthold und dem heutigen DSV-Cheftrainer Christian Schwaiger aus den Niederungen der Szene in die Weltspitze katapultierten. In Garmisch, dem Heimrennen der deutschen Skifahrer, hat er jedenfalls einen würdigen Ort für seinen Abschied gewählt. Früher sagten die Kinder dort: Schau, des ist der Ferstl, sein Papa hat auf der Streif gewonnen. Am Wochenende verabschieden sie nun den Streif-Sieger Pepi Ferstl.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusLetztes Ski-Rennen von Thomas Dreßen
:Der ewige Kämpfer

Kein deutscher Abfahrer war erfolgreicher als Thomas Dreßen. Nun beendet der 30-Jährige dort seine Karriere, wo sie so richtig begonnen hatte: in Kitzbühel. Sein Rückzug erzählt viel über den Zustand des Alpinsports insgesamt.

Von Korbinian Eisenberger und Johannes Knuth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: