Deutscher WM-Kader:Schock kurz vor der Nominierung

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Carolin Simon muss in der Nachspielzeit ausgewechselt werden. Am Samstag folgt die bittere Diagnose: Kreuzbandriss. (Foto: Heiko Becker/HMB-Media/Imago)

Verteidigerin Carolin Simon reißt sich unmittelbar vor der Bekanntgabe des WM-Kaders das Kreuzband und verpasst das Turnier. Bundestrainerin Voss-Tecklenburg benennt 23 Spielerinnen - die Mehrheit aus Wolfsburg.

Von Anna Dreher, Fürth

Martina Voss-Tecklenburg legte die Stirn in Falten. Im Pressekonferenzraum des Fürther Sportparks Ronhof hatte die Bundestrainerin eben über die jüngste Leistung ihrer Fußballerinnen gesprochen: ein enttäuschendes 2:3 (0:0) gegen Sambia im letzten Test vor dem Abflug nach Sydney zur Weltmeisterschaft. Dieses Spiel lieferte, wie es so schön heißt, jede Menge Erkenntnisse darüber, was sich beim deutschen Nationalteam noch verbessern muss, bis das Turnier losgeht: so ziemlich alles. Schließlich lautet das erklärte Ziel des EM-Finalisten von 2022, zum dritten Mal nach 2003 und 2007den WM-Titel zu gewinnen. Da sollte man sich eher nicht vom Weltranglisten-77. dreimal nach Ballverlusten auf die gleiche Art auskontern lassen.

Voss-Tecklenburg erkannte an, dass ihrem Team (wie überhaupt in diesem durchwachsenen Länderspieljahr) schlichtweg zu viele Fehler unterliefen und es auch gegen Sambia an Konsequenz und Körperlichkeit mangelte. Dennoch zeigte sie sich demonstrativ zuversichtlich. "Es liegt auch eine Chance darin, und die wollen wir nutzen. Vielleicht gucken die anderen jetzt ein bisschen weniger auf uns, vielleicht tut uns das gut", sagte sie. "Aber wir bleiben bei uns. Das ist das Einzige, was wir tun können."

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Das deutsche Nationalteam unterliegt im letzten Test vor der Weltmeisterschaft Sambia mit 2:3. Das Ergebnis reiht sich ein in ein durchwachsenes Länderspieljahr.

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Der Hauptgrund für ihre besorgte Stimmung war ohnehin ein ganz anderer: Gleich drei Spielerinnen nahmen nicht nur die Schmach der Niederlage, sondern auch den Schmerz von Blessuren mit - und brachten damit unerwartet die für Samstag angesetzte Benennung des finalen Kaders durcheinander. "Das wirft natürlich das ein oder andere Planspiel über den Haufen", sagte Voss-Tecklenburg am späten Freitagabend. "Das wollten wir genau nicht, damit werden wir uns heute Nacht noch auseinandersetzen."

Zur zweiten Halbzeit hatte sie Innenverteidigerin Marina Hegering und die fürs Mittelfeld so wichtige Lena Oberdorf auswechseln müssen. In der siebten Minute der Nachspielzeit blieb Linksverteidigerin Carolin Simon nach einem Zweikampf am Boden liegen und konnte nicht weitermachen. Ihr sei "das Knie durchgeschlagen bei der Aktion", lautete die erste Info der Bundestrainerin. Hegering erklärte, sie vermute eine Prellung ihres Fußes, "das tut bei jedem Schritt weh". Oberdorf kam mit dick einbandagiertem rechten Oberschenkel vom Platz, befürchtete aber "nichts Wildes".

"Dass das jetzt im letzten Spiel in fast der letzten Minute passiert, ist brutal", sagt die Bundestrainerin über Simons Ausfall

Die Nacht von Voss-Tecklenburg und ihrem Team dürfte kurz gewesen sein. Nach vielen Gesprächen im Trainingslager in Herzogenaurach wurde die Entscheidung dennoch pünktlich bekannt gegeben: Um 16 Uhr veröffentlichte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) am Samstag ein Video mit zusammengeschnittenen Fotos der 23 WM-Teilnehmerinnen auf seinen Kanälen. Kurz darauf folgte eine Mitteilung, inklusive Diagnose.

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Hegering lag mit ihrer Vermutung auf eine Fußprellung richtig, bei Oberdorf ist von einer muskulären Verletzung die Rede, Näheres wurde nicht genannt. Beide sind nominiert. Carolin Simon jedoch wird das Turnier in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) verpassen: Die Spielerin des FC Bayern hat sich das vordere Kreuzband gerissen. "Das nimmt uns emotional sehr, sehr mit. Das war eh ein schwerer Vormittag heute, weil wir das schon befürchten mussten. Caro wäre im Kader gewesen, sie hat sich ganz stark präsentiert", sagte Voss-Tecklenburg am Samstag. Simon war nach der WM 2019 lange nicht berücksichtigt worden und hatte sich in den vergangenen Monaten zurück gekämpft. "Dass das jetzt im letzten Spiel in fast der letzten Minute passiert, ist brutal."

Ansonsten gab es bei dieser Nominierung keine weiteren Überraschungen. Paulina Krumbiegel (TSG 1899 Hoffenheim) war mit muskulären Problemen bereits am Mittwoch abgereist. Sarai Linder (Hoffenheim), Tabea Sellner (VfL Wolfsburg) und Torhüterin Ena Mahmutovic (MSV Duisburg) wurden ebenfalls gestrichen. Sellner, die damals noch Waßmuth hieß, war zwar bei der EM 2022 dabei und wurde im Endspiel in der zweiten Hälfte eingesetzt, hatte in den vergangenen Monaten aber nicht überzeugen können. Janina Minge (SC Freiburg) wird zusätzlich mitreisen, um bei Ausfällen nachnominiert werden zu können. Bis 24 Stunden vor dem ersten Gruppenspiel kann laut Fifa-Reglement bei einem entsprechenden Nachweis eine verletzte oder kranke Spielerin ersetzt werden.

Enttäuscht von der spielerischen Leistung, schockiert von Carolin Simons Verletzung: Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. (Foto: Wunderl/Beautiful Sports/Imago)

Nach zwei Tagen Pause wird der DFB-Tross am Dienstag nach Sydney fliegen, das erste Gruppenspiel steht am 24. Juli gegen Marokko an, gefolgt von der Partie gegen Kolumbien am 30. Juli und am 3. August gegen Südkorea. Champions-League-Finalist VfL Wolfsburg stellt mit zehn Spielerinnen den stärksten Block, dahinter folgen Eintracht Frankfurt mit fünf und der deutsche Meister FC Bayern mit vier Spielerinnen. Chelsea ist mit drei Fußballerinnen vertreten, darunter Melanie Leupolz, die ihren Sohn mitnimmt und die einzige Mutter im Team ist. Sara Däbritz von Olympique Lyon gibt ein Vereinssolo. Erstmals mit der A-Mannschaft zu einem großen Turnier reisen Ersatzkeeperin Stina Johannes (Frankfurt), Chantal Hagel (Wolfsburg) und Sjoeke Nüsken (Chelsea).

Dass so viele Wolfsburgerinnen im Kader versammelt sind, brachte gegen Sambia allerdings noch nicht den erwünschten Effekt. Acht VfL-Spielerinnen standen in der Startelf. Vor Torhüterin Merle Frohms bildeten Felicitas Rauch, Marina Hegering, Kathrin Hendrich und - die normalerweise als Außenstürmerin auflaufende - Svenja Huth die Abwehrreihe. Im Mittelfeld lief zudem Klub-Kollegin Lena Oberdorf auf, vorne rechts Jule Brand. Die Defensive war dennoch zu instabil, die Offensive zu ineffizient. Die Deutschen rannten nach der Pause einem 0:2-Rückstand hinterher, ehe in einer turbulenten Nachspielzeit Lea Schüller (90.+1) und Popp (90.+10) ausglichen. Sambia machte die Euphorie zwei Minuten später wieder zunichte. Hendrich sprach von einem "Wachrüttler" zur rechten Zeit: "Es ist gut, dass das jetzt passiert ist und wir uns entsprechend einstellen können. Ich hoffe, dass uns das beflügeln wird, statt uns zu verunsichern."

Der erhoffte Aufschwung im fünften Länderspiel dieses Jahr ist ausgeblieben, was auch für die eigentlich geplante Weiterentwicklung nach der sensationellen EM gilt. Statt mit dem in England aufgebauten Selbstbewusstsein und starken Zusammenhalt die nächste Stufe zu erreichen, wirkt es im Moment eher, als trete das Team auf der Stelle. Die große Frage ist nun, was das bedeutet: Werden sich die Deutschen in Australien wieder früh auf den Heimweg machen müssen? Oder wiederholt sich vielleicht ein Muster? Vor der Europameisterschaft hatten die DFB-Frauen auch nicht überzeugen können - und erreichten dennoch das Finale.

Das deutsche WM-Aufgebot im Überblick:

Tor: Ann-Katrin Berger, Merle Frohms, Stina Johannes

Abwehr: Sara Doorsoun, Chantal Hagel, Marina Hegering, Kathrin Hendrich, Sophia Kleinherne, Sjoeke Nüsken, Felicitas Rauch

Mittelfeld/Angriff: Nicole Anyomi, Jule Brand, Klara Bühl, Sara Däbritz, Laura Freigang, Svenja Huth, Lena Lattwein, Melanie Leupolz, Sydney Lohmann, Lina Magull, Lena Oberdorf, Alexandra Popp, Lea Schüller

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