AfD:"Infam und hinterfotzig"

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Joachim Herrmann (CSU) sieht Fortschritte bei der Arbeitsmarktintegration von anerkannten Asylbewerbern. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Trotz neuer Erkenntnisse zum Vorfall um Tino Chrupalla bleiben Fragen. Die AfD insistiert, ihr Co-Chef sei angegriffen worden, und macht politische Gegner dafür verantwortlich. Bayerns Innenminister widerspricht. Auch Wladimir Putin meldet sich zu Wort.

Von Christoph Koopmann und Johann Osel

Nach einem angeblichen Sicherheitsvorfall um AfD-Co-Chef Tino Chrupalla am Mittwoch in Ingolstadt wirft Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) der Partei vor, bewusst zu lügen und die staatliche Ordnung zu delegitimieren. Zuvor hatte die bayerische AfD-Spitzenkandidatin Katrin Ebner-Steiner mitgeteilt, die Polizei habe Kandidaten und Politikern der Partei erbetenen Schutz verwehrt: "Hat Herrmann die AfD für vogelfrei erklärt?"

Dies sei "frei erfunden", sagte Joachim Herrmann am Freitag der Süddeutschen Zeitung. "Das ist eine Unverschämtheit. Ich sehe das als Angriff auf unsere Polizei, mit dem Ziel, die Sicherheitsbehörden in Misskredit zu bringen und das Vertrauen in unseren Staat und in unsere Demokratie zu beschädigen." Recherchen in Landeskriminalamt und Innenministerium hätten keinerlei solche Anfragen seitens der AfD ergeben.

Generell würden das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter über Schutzmaßnahmen entsprechend einer individuellen Gefährdungseinschätzung entscheiden, sagt Herrmann. "Das ist keinesfalls eine politische Entscheidung, wie es die AfD fälschlicherweise darstellt, vermutlich um sich wie so oft in eine Opferrolle zu bringen." Bei dem Auftritt in Ingolstadt wurde Chrupalla von Personenschützern des Bundeskriminalamts begleitet, wie ein Sprecher der Behörde der Süddeutschen Zeitung bestätigte.

"Nadelstich am rechten Oberarm"

Schon am Donnerstagabend hatte Herrmann gesagt, es sei erschreckend, "wie infam und hinterfotzig die AfD im Landtagswahlkampf versucht, aus den Vorfällen bei ihrer eigenen Klientel Kapital zu schlagen, ohne die Ermittlungen abzuwarten". Da war die Aufregung um Chrupalla schon hochgekocht. Vertreter und Verteidiger der AfD sprachen direkt von einem Angriff, manche sogar von einem Mordanschlag auf ihren Spitzenmann, wüteten gegen ihre politischen Gegner, die einem solchen Angriff mit angeblichen verbalen Entgleisungen die Bahn bereitet hätten.

Chrupalla war am Mittwoch nach Ankunft bei einem Wahlkampftermin in Ingolstadt ins Krankenhaus gekommen, klagte über Schmerzen im Arm und Übelkeit. Am Freitagmittag meldete die AfD unter Berufung auf den Arztbrief des Klinikums Ingolstadt: Bei Chrupalla habe man einen "Nadelstich am rechten Oberarm" entdeckt. Das bestätigte die Staatsanwaltschaft wenig später. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Ermittlerkreisen erfuhr, hat die Polizei inzwischen dazu auch den behandelnden Arzt befragt. Dem zufolge handelt es sich bei dem Wort um eine Beschreibung des Verletzungsbilds auf Grundlage von Chrupallas Angaben, nicht um eine tatsächliche Feststellung eines erfolgten Nadelstichs.

Die AfD teilte weiter mit, bei Chrupalla sei "intramuskulär eine Infektion mit einer noch unbekannten Substanz" festgestellt worden. Der Staatsanwaltschaft Ingolstadt zufolge wurden allerdings bei der chemisch-toxikologischen Untersuchung - außer den verabreichten Schmerzmitteln - keine Substanzen entdeckt.

Darüber hinaus gebe es anhand der bisherigen Zeugenaussagen, darunter die von Chrupalla selbst und die seiner Personenschützer, "keine Grundlage" für die Behauptung, der AfD-Co-Vorsitzende sei mit einer Spritze in den Arm gestochen worden, als er vor der Wahlkampfveranstaltung Selfies mit Besuchern gemacht habe - das hatten AfD-Kreise zuvor verbreitet. Auch einen anderweitigen körperlichen Angriff hätten die Zeugen nicht wahrgenommen. Die Ermittlungen dauerten an.

Ramelow teilt das Bild einer Biskuitrolle, gefüllt mit blauer Creme. "Opferrolle" steht daneben

Dass die AfD den Vorfall schon am Mittwochabend als Angriff wertete, kritisiert nicht nur Bayerns Innenminister. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) teilte am Donnerstag auf dem Kurznachrichtendienst X ein Bild von einer Biskuitrolle, gefüllt mit blauer Creme, darauf das Logo der AfD. "Opferrolle" steht daneben. Dazu schrieb er: "Warum nur, warum fällt mir das heute ein?"

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Zuvor hatte es bereits Aufregung um einen abgesagten Auftritt von Chrupallas Co-Parteichefin Alice Weidel am 3. Oktober gegeben. Die AfD verbreitete, nach einem Vorfall an Weidels Wohnort habe sie sich an einen sicheren Ort begeben müssen. Der Spiegel aber berichtete, dass Weidel auf Mallorca war. Am Freitag teilte die AfD mit, Weidel sei damit dem "Rat" gefolgt, "sich daheim rar zu machen". Das für Weidels Schutz zuständige Bundeskriminalamt dementierte, dass die Absage des Wahlkampfauftritts auf sein Anraten hin geschehen sei. Und Bayerns Innenminister Herrmann sagt: "Gefährdungen in oder aus Bayern waren auch für unsere Sicherheitsbehörden nicht ersichtlich."

Tino Chrupalla hat das Krankenhaus nach Angaben der AfD noch am Donnerstag verlassen. Inzwischen hat er auch weitere prominente Unterstützung bekommen: Bei einer Veranstaltung in Sotschi erwähnte Russlands Präsident Wladimir Putin den Vorfall um Chrupalla. Solche Übergriffe deuteten auf "nazistische Methoden" hin, sagte Putin.

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