Populismus in Europa:Das sind die Europaskeptiker

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Sie stehen der EU eher skeptisch gegenüber: Nigel Farage, Marine Le Pen, Viktor Orbàn, Alexis Tsipras, Geert Wilders und Beppe Grillo (im Uhrzeigersinn). (Foto: N/A)

Warum sind Populisten in Ländern wie Frankreich, Ungarn, den Niederlanden und Großbritannien so erfolgreich? Welche Strategien und Ziele verfolgen sie? SZ-Korrespondenten stellen die wichtigsten Europakritiker vor.

Europas Bürger haben es so gewollt: Im nächsten Europäischen Parlament werden sehr viel mehr EU-Skeptiker sitzen ( das Ergebnis der Europawahl en detail). Dabei bilden die Kritiker keineswegs ein homogenes Lager: Es sind Vertreter vom linken und rechten Rand des politischen Spektrums dabei und sie bedienen vielfältige antieuropäische Ressentiments.

Manche lehnen den europäischen Einigungsprozess grundsätzlich ab, andere prangern einzelne Politikbereiche der EU an oder kritisieren die harte Sparpolitik. Doch alle haben erkannt: Die EU taugt als Feindbild, als Projekt der abgehobenen Eliten. "Wir da unten gegen die da oben", das ist der Duktus der Populisten.

Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung stellen die wichtigsten Köpfe und Bewegungen der Europaskeptiker in mehreren Mitgliedstaaten vor und beschreiben, welche Strategien die Akteure in ihrer jeweiligen Heimat verwenden, wer sie unterstützt und wie die anderen Parteien reagieren.

Marine Le Pen ist salonfähig geworden. In Paris, und mehr noch in Frankreichs Provinz. Im Norden, wo die alte Industrie weggebrochen ist und sich die Arbeiter von der Linken abwenden. Und im Süden und Südosten, wo traditionell konservative Wähler immer weiter in die Arme der Rechtsextremen driften. Bis zu 24 Prozent der Stimmen hatten die Demoskopen Le Pens "Front National" bei den Europawahlen prophezeit - und am 25. Mai lagen die europafeindlichen Nationalisten wirklich ganz vorne.

Salonfähig ist Marine Le Pen längst auch in Frankreichs Redaktionen. Nach ihrem Achtungserfolg bei den landesweiten Kommunalwahlen im März avancierte die 45-jährige Parteichefin zu einer Art Medienstar. Allen voran konservative Zeitungen wie Le Figaro boten ihr vor der Wahl viel Raum - und stellten selten kritische Fragen.

Marine Le Pen, die Vorsitzende des französischen Front National. (Foto: REUTERS)

Im Fernsehen darf sich Le Pen mittlerweile sogar aussuchen, mit wem sie redet - und mit wem nicht: "France 2" lud EU-Parlamentspräsident Martin Schulz wieder aus, als die blonde Frau mit der rauen Stimme drohte, wenn der Deutsche im Studio hocke, komme sie nicht. "Wir wollen sie unbedingt auf Sendung haben", räumte ein TV-Redakteur gegenüber den Mitarbeitern des deutschen Sozialdemokraten offen ein. Den Franzosen, dem sich Le Pen anstelle von Schulz stellte, schrie sie nieder.

Aber Le Pens Strategie geht auf. Die Europa-Abgeordnete ist die kühle, die kalkulierte Populistin. Ihr Vater Jean-Marie, der den FN einst gründete, provozierte noch mit antisemitischen und ausländerfeindlichen Sprüchen. Tochter Marine hingegen hat, seit sie im Januar 2011 die rechtsextreme Bewegung übernahm, die Partei von den schlimmsten Hetzern gesäubert, den Vater in die zweite Reihe gedrängt und den FN weichgespült.

Diese Strategie der "Entteufelung" ("dédiabolisation") ging auch deshalb auf, weil die bürgerliche Oppositionspartei UMP unter Ex-Präsident Nicolas Sarkozy zugleich nach rechts rückte. UMP-Wähler unterschreiben mittlerweile mehrheitlich typische FN-Positionen: etwa, dass Frankreich an zu viel Kriminalität und an zu vielen Ausländern leide.

Aber auch traditionelle Wählermilieus der Linken zieht es zum FN. Frankreichs wirtschaftliche Dauerkrise, über zehn Prozent Arbeitslosigkeit sowie der Frust über die etablierten Parteien beflügeln die Rechtsextremen. Schon bei der Präsidentschaftswahl 2012 hatte jeder dritte Arbeiter und fast jeder fünfte Franzose ohne Job für Marine Le Pen als Staatschefin votiert. Mehr denn je stimmen inzwischen auch Frauen und Jungwähler für den FN. Studien zeigen: Aus früheren Protestwählern sind inzwischen oft überzeugte Anhänger geworden.

Die Europawahlen wurden ein Heimspiel für Le Pen. Denn da kombinierte die Souveränistin zwei ihrer Lieblingsargumente: Dass nämlich Frankreich, könne es nur allein entscheiden, stärker wäre als "unter dem Joch des Euros" - und dass die Pariser politische Klasse das Volk verraten und an das "Elitenprojekt" namens EU verkauft hätte. Christian Wernicke, Paris

Geert Wilders schien alles richtig gemacht zu haben. Im Herbst hatte der Anführer der Partei für die Freiheit (PVV) ein spektakuläres Bündnis mit Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National und weiteren populistischen Gesinnungsgenossen geschlossen. Gemeinsam wollen sie die EU von innen aushöhlen.

Die Islamfeindschaft, mit der er bekannt wurde, hatte Wilders aus taktischen Gründen ein wenig zurückgestellt. Das neue Feindbild heißt Europa, und damit kommt der 50 Jahre alte blondgefärbte Politiker gut an bei seinen Landsleuten, die zunehmend skeptisch gen Brüssel schauen.

Umfragen sahen die PVV schon auf Platz eins bei der Europawahl. Dann folgte der 19. März: Nach der Kommunalwahl hatte Wilders Anhängern in Den Haag zugerufen: "Wollt ihr in dieser Stadt und in den Niederlanden mehr oder weniger Marokkaner?" Das Publikum johlte "weniger, weniger", woraufhin Wilders versicherte: "Das werden wir dann regeln." Das Land heulte auf: Diesmal sei Wilders zu weit gegangen, habe die Grenze zur Hetze überschritten, die ihm bisher vor Gericht noch nicht nachgewiesen werden konnte. Es gab Protest-Gottesdienste und Hunderte Strafanzeigen.

Die kalkulierte xenophobe Attacke hat den Blick auf Wilders geändert. Bisher hatten es die etablierten Parteien vermieden, ihn zu dämonisieren - aus Angst, ihn zum Märtyrer zu machen und dadurch noch mehr Wähler an die PVV zu verlieren. Nun bleibt nur harte Konfrontation. Selbst der rechtsliberale Ministerpräsident Mark Rutte, dessen Regierung sich vor Jahren noch von Wilders helfen ließ, schloss eine künftige Zusammenarbeit aus, "solange dies die Standpunkte der PVV sind". Von Wilders' Äußerungen habe er einen "schlechten Geschmack im Mund".

Geert Wilders ist das Gesicht der niederländischen "Partei für die Freiheit". (Foto: dpa)

Auch in den eigenen Reihen waren manche nicht bereit, diesen Radikalisierungsschritt Wilders' mitzugehen. Zwei Abgeordnete verließen die PVV-Fraktion im Parlament, die designierte Spitzenkandidatin für die Europawahl trat zurück, in der Provinz Friesland verließen zwei Fraktionsmitglieder die Partei. Von einer echten Meuterei allerdings konnte nicht die Rede sein. Hartgesottene Anhänger freuten sich vielmehr, dass Wilders keinen Grund sah, sich für "die Wahrheit" zu entschuldigen. Die Wähler sahen das anders: Die PVV wurde nicht die stärkste Partei, sondern kam nur auf Platz vier.

An seinen Zielen hat sich nichts geändert: Wilders will nicht nur den Euro abschaffen, sondern die ganze EU. Wirtschaftlich lohne sich das allemal für die Niederlande, sagt er. Damit spricht er noch immer vielen aus der Seele - auch wenn sie seine Fremdenfeindlichkeit vielleicht nicht teilen. Thomas Kirchner

Nigel Farage ist grundsätzlich gut gelaunt. Sein legendär breites Dauergrinsen hat er nur einmal kurz im Jahr 2010 verloren: Da hatte er gerade den Absturz eines Flugzeugs überlebt, das mit einem Werbebanner für die UK Independence Party (Ukip), deren Chef er ist, über Northamptonshire kreisen sollte. Doch schon nach wenigen Tagen war das Grinsen wieder fest in sein Gesicht gegraben, und in diesen Tagen ist es breiter denn je. Das liegt daran, dass seine europakritische Partei bei den Europawahlen stärkste Kraft in Großbritannien geworden ist.

Das Hauptanliegen der Ukip ist der schnellstmögliche Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Der 50 Jahre alte Farage zählte 1992 zu den Gründungsmitgliedern von Ukip und wurde in der britischen Politik lange belächelt. Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Unter den Konservativen um Premierminister David Cameron herrscht große Sorge, weil Ukip-Wähler mehrheitlich aus dem konservativen Lager kommen.

Dass diese am 22. Mai für Ukip gestimmt haben, können die Tories verschmerzen, weil Europawahlen auf der Insel nicht sonderlich ernst genommen werden. Die Konservativen fürchten jedoch, dass ihnen bei der Parlamentswahl 2015 in umkämpften Wahlkreisen die entscheidenden Stimmen fehlen könnten, wenn Ukip weiterhin erfolgreich in ihrem Lager fischt. Nicht zuletzt um eine Abwanderung der Stammwähler zu verhindern, hat Cameron Anfang 2013 eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs für 2017 angekündigt.

Farage ist Cameron in herzlicher Abneigung verbunden, seitdem der Premier die Ukip-Mitglieder als "Spinner, Irre und heimliche Rassisten" bezeichnet hat. Nie werde er mit Cameron zusammenarbeiten, sagte er. Allerdings hat Farage auch gesagt, er werde "einen Handel mit dem Teufel" schließen, wenn dieser das Land aus der EU führe. Nach dem großen Erfolg von Ukip bei den Europawahlen könnten die Konservativen so besorgt sein, dass sie sich 2015 beim Aufstellen von Kandidaten mit den Rivalen absprechen. Farage würde sich mit Freude darum bitten lassen - er wäre dann endlich wirklich wichtig im Land.

Nigel Farage, der Chef der Ukip-Patei. (Foto: Facundo Arrizabalaga/dpa)

Seit 1999 ist Farage Abgeordneter im EU-Parlament; er fiel dort anderem dadurch auf, dass er Ratspräsident Herman van Rompuy das "Charisma eines nassen Lappens" bescheinigte. Seine Abneigung gegen die EU hielt ihn nicht davon ab, seine deutsche Ehefrau in seinem Brüsseler Büro anzustellen und aus EU-Mitteln zu bezahlen. Außer der EU ist Farage die Windenergie ein Dorn im Auge, weil er findet, dass Windräder die britische Landschaft verschandeln.

Er tritt für deutlich strengere Einwanderungsgesetze ein und dafür, dass in Pubs in abgetrennten Räumen wieder geraucht werden darf, was damit zusammenhängen mag, dass Farage selbst Raucher ist. Zuletzt machte er von sich reden, indem er sagte, er habe mehr Respekt für den russischen Präsidenten Wladimir Putin als "für die Kinder, die an der Spitze Großbritanniens stehen". Christian Zaschke, London

Für den Griechen Alexis Tsipras wurde die Europawahl zum Triumph. Erstmals wird sein linkes Syriza-Bündnis zur stärksten Kraft, woraus Tsipras die Forderung ableitet, künftig bei allen wichtigen Regierungsangelegenheiten mitzureden.

Tsipras ist kein Euro-Skeptiker per se, aber er kritisiert die harten Spar- und Reformauflagen für sein Land vehement. "Griechenland war ein Versuchskaninchen", sagte Tsipras in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Mit dieser Schockdoktrin wollte man prüfen, wie viel ein Volk erträgt", meint der 39-Jährige, den sie in Griechenland auch einen "Wutfänger" nennen.

Denn Tsipras hat es in der Krise geschafft, den Stimmanteil seiner Partei Syriza so weit in die Höhe zu treiben, dass sie bei der Europawahl zur stärksten Kraft wurden und die regierenden Konservativen hinter sich ließen. Eigentlich ist Syriza ein Bündnis aus verschiedenen mehr oder minder radikalen linken Grüppchen und Gruppen, wobei keineswegs alle immer der Linie des Chefs folgen, etwa wenn er sagt: "Griechenland braucht Europa - und Europa braucht Griechenland".

Tsipras, der seine Karriere in der Kommunistischen Jugend begonnen hat, plädiert nicht für einen Euro-Austritt seines Landes. Er will aber die Politik der Euro-Zone ändern: mit einem "New Deal". Unter diesem Begriff hatte US-Präsident Roosevelt in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bahnbrechende Reformen zur Wachstumsförderung eingeleitet. Zudem verlangt Tsipras eine europäische Schuldenkonferenz, um Schuldenschnitte für den Süden durchzusetzen.

Alexis Tsipras, Chef der griechischen Syriza-Partei, in seinem Büro in Athen. (Foto: AFP)

Für die Kanzlerin findet er kaum je ein gutes Wort. Er wirft Angela Merkel vor, einseitig deutsche Interessen zu verfolgen - auf dem Rücken der in die Verarmung getriebenen Griechen. Weitere Sparauflagen lehnt Tsipras grundsätzlich ab. Sollte Syriza die nur noch mit hauchdünner Mehrheit regierende Koalition aus Konservativen und Sozialisten in Athen demnächst ablösen, dann will Tsipras die mit den EU-Geldgebern bereits vereinbarten Sparprogramme aufkündigen.

Diese Fundamentalopposition ist populär. Der jugendlich wirkende Parteichef erscheint vielen Griechen als Hoffnungsträger, stolz, schlau und mutig. Kritiker im eigenen Land werfen dagegen Tsipras vor, seine Vorschläge, wie das Land dann Beamte und Behörden, Schulen und Krankenhäuser finanzieren soll, seien praxisuntauglich und naiv. Tsipras wiederum träumt von einer absoluten Mehrheit für Syriza, sieht sich schon fast auf dem Stuhl des Regierungschefs und fordert Neuwahlen. Dies ist zumindest wahrscheinlicher, als dass Tsipras EU-Kommissionspräsident werden wird. Seine Nominierung als Spitzenkandidat der Linken nennt er "symbolisch und schmeichelhaft". Christiane Schlötzer, Athen

Dass sie gewinnen mit ihrem europaskeptischen Kurs, davon ist Beppe Grillo überzeugt. Der lautstarke Führer der Bewegung 5 Sterne (M5S) glaubt, dass sein "Movimento" bei der Europawahl 20 bis 25 Prozent erreichen und dabei der Regierungspartei PD Stimmen wegnehmen werde.

Doch es kam anders: Die sozialdemokratische PD erhielt bei der Europawahl die meisten Stimmen. Mit 21 Prozent kann M5S aber sehr zufrieden sein. Seit langem macht der 65-jährige Grillo kein Hehl daraus, dass er PD-Chef und Premier Matteo Renzi für ein besonders verabscheuungswürdiges, verlogenes Exemplar von Politiker und Produkt des alten Parteiensystems hält. Dieses mit allen darin aus den Angeln zu heben, ist das Ziel des erfolgreichen Berufs-Komikers mit dem grauen Wuschelkopf.

Dieses System hat er bereits durchgeschüttelt, als die 5 Sterne im Februar 2013 als zweitstärkste Fraktion in Italiens Abgeordnetenkammer einzogen. Dort sitzen nun lauter Leute, die zuvor nicht in der Politik waren. Grillo wurde nicht zum Parlamentarier, er lenkt sein Movimento von außerhalb. Ein bisschen links, ein bisschen rechts das Programm und in der Kritik treffend, das brachte den Erfolg.

Das Wahlergebnis war eine schallende Ohrfeige für die Parteien, die nicht völlig überraschte: Acht Jahre zuvor hatte Grillo sich mit einer Internetkampagne für ein "sauberes Parlament" ohne Vorbestrafte immer mehr in die Politik gewagt. Fast 340.000 Unterschriften sammelte er damals - und erkannte wohl als Erster in Italien, welch mächtiger Faktor für die Politik das Internet wird.

Beppe Grillo, der Gründer und Chef der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung. (Foto: Andreas Solaro/AFP)

Für ihn und die 2009 gegründete " Bewegung freier Bürger" 5 Sterne ist es das Medium, um alte Strukturen auszuhebeln und direkte Demokratie zu verwirklichen. Dass Grillo trotz aller basisdemokratischen Elemente auch diktatorisch über die Linie des M5S herrscht, sorgt öfter für Verdruss in den eigenen Reihen - diverse Parlamentarier wurden ausgeschlossen, denen das nicht passte. Die Kritik ist stets ähnlich: Es mangele an Informationen sowie an Transparenz.

Wer für M5S ins Europaparlament will, darf kein Freund der heutigen EU sein. Europa sei nur ein "bequemes Alibi" und für Grillo ist der Satz "Europa verlangt das" nur "ein Mantra, um jeden Blödsinn zu verhüllen - vom Fiskalpakt bis zum ausgeglichenen Staatshaushalt." Die Abschaffung letzterer sind zwei der sieben Punkte im Europaprogramm des M5S. Ein Referendum über den Euro gehört dazu, die Einführung von Eurobonds, Subventionen für die Landwirtschaft.

Im Wahlkampf zog Grillo wieder alle Register seines Showtalents. "Ein Gespenst geht um in Europa", stand im Vorstellungstext, "es heißt Euro." Mit der französischen Europagegnerin Marine Le Pen will Grillo aber nichts zu tun haben, das hat er klargemacht, als die alle Euroskeptiker aufrief, sich mit ihrer Partei zu vereinen. Andrea Bachstein, Rom

Unten schwenkten seine Anhänger ungarische Fahnen, oben ließ sich Viktor Orbán feiern. "Wir stehen am Beginn einer neuen und wundervollen Ära", rief der Premier, nachdem seine Fidesz-Partei bei der Parlamentswahl erneut eine Zwei-Drittel-Mehrheit errungen hat. Bei der Europawahl erhielt Fidesz 52 Prozent.

Der studierte Jurist kann Ungarn also weiter umbauen, die Macht zentralisieren und seinen nationalkonservativen Populismus verfolgen. Als Klammer dienen Orbán, diesem "Populisten neuen Typs", einfache Begriffe wie "Familie, Heim, Glaube, Ordnung, Nation" und wenn es ihm passt, dann werden die Eliten der EU attackiert. Die anderen Mitglieder der Union seien "Bürokraten des Imperiums" und handelten im Auftrag der internationalen Finanzmärkte. Zur Sanierung des Staatshaushalts hat die Fidesz-Regierung die Steuern für multinationale Konzerne erhöht: Auch wenn diese Jobs bringen, "attackieren sie doch ungarische Familien und schleppen Extraprofite außer Landes".

Der 50-jährige Orbán mischt schon seit Ende der achtziger Jahre in Ungarns Politik mit. 1989 forderte er als Student mutig den Abzug der sowjetischen Truppen - seine damals noch liberale Partei Fidesz ging aus einem Studentenbund hervor. Ein Jahr später wurde er Abgeordneter, führte Fidesz in eine konservativere Richtung und wurde 1998 der damals jüngste Ministerpräsident Europas. Wendig war Orbán schon immer. Wie er tickt, wurde sichtbar, als die Ungarn ihn 2002 abwählten. Der Premier war fassungslos und sagte: "Die Heimat kann nicht in der Opposition sein".

So denkt und handelt Orbán bis heute: Wer ihn kritisiert, der ist ein Vaterlandsverräter und kennt das Volk nicht. Der politische Gegner wird dämonisiert, diffamiert oder ignoriert - zu einer TV-Debatte mit seinem linken Herausforderer war der 50-Jährige nicht bereit. Seit er 2010 wieder Premier wurde, hat der Fidesz-Chef die Verfassung mehrfach geändert, ein strenges Mediengesetz durchgepaukt und Vertraute an allen Stellen des ungarischen Staats platziert. Nichtsdestotrotz gehört Fidesz und deren Europa-Abgeordneten weiterhin zur Europäischen Volkspartei, zu deren Mitglieder auch CDU und CSU zählen.

Viktor Orbán ist ungarischer Premierminister und Vorsitzender der Fidesz-Partei. (Foto: Bloomberg)

In diesem Klima gedeihen auch noch radikalere Kräfte: Die rechtsextreme Jobbik-Partei, die offen gegen Sinti und Roma hetzt, erhielt bei der Wahl Anfang April mehr als 20 Prozent der Stimmen - und bei der Europawahl knapp 15 Prozent. Dass das Image seines Landes im Ausland leidet und Künstler von "Orbánistan" sprechen, stört Ungarns starken Mann offenbar nicht - schließlich ist er überzeugt, dass nur er für sein Volk sprechen könne. Matthias Kolb

Das schillerndste und einflussreichste Mitglied der "Basisfinnen" (früher "Wahre Finnen") sitzt derzeit im Europäischen Parlament. Timo Soini gilt als starker Redner, er ist groß, kräftig und laut. Der 51-Jährige macht Eindruck mit einfachen Parolen wie "Wo die EU ist, da ist das Problem" und "Ich bin katholischer Christ. Per Definition kann ich kein Rassist sein."

Soini möchte nicht als Ausländerfeind gelten, auch wenn seine Partei Sammelbecken für Xenophobe ist. Sie ist außerdem konservativ, heimatverliebt, gegen die EU, gegen Schwedisch als Schulpflichtfach, gegen Abtreibung, gegen die Homo-Ehe.

Soini wird der größte Anteil an den jüngsten Erfolgen seiner Partei zugeschrieben, die mit ihm 2009 zum ersten Mal einen Sitz im Europäischen Parlament erlangt hat. 2011 zog sie mit 19 Prozent als stärkste Oppositionspartei ins finnische Parlament. Schwächer waren sie bei der Europawahl, hier holten sie 12,9 Prozent der Stimmen, die Basisfinnen wurden drittstärkste Kraft und konnten im Vergleich zur vergangenen Europawahl einen Sitz hinzugewinnen.

Timo Soini ist das bekannteste Gesicht der "Basisfinnen". (Foto: picture alliance / dpa)

Zu verdanken hat Soini dies vor allem der Euro-Krise. Die Europa-Kritiker nutzten für sich, dass Finnland - anders als Schweden und Dänemark - zur Euro-Zone gehört und so die Kosten der Schuldenkrise mittragen muss. Also versprach Soinis Partei, dass sich Finnland nicht an Hilfspaketen für Griechenland und Portugal beteiligen werde, wenn sie an die Regierung käme - und verfünffachte damit ihren Stimmenanteil im Vergleich zur vorherigen Wahl.

Auf ihrer Internetseite bezeichnen sich "Die Finnen" als führende "EU-skeptische" Partei Finnlands. "Die Partei glaubt, dass die Kosten einer EU-Mitgliedschaft für Finnland zu hoch sind", steht dort. Finnland solle seine Mitgliedschaft neu verhandeln und mehr Macht von Brüssel zurück nach Helsinki verlagern.

Für die Europawahl allerdings hat die Partei ihren stärksten Kandidaten verloren. Timo Soini fand in seinem Blog dafür markige Worte - dieses Mal aus der Bibel: "Meine Entscheidung ist, in Finnland zu bleiben. Widerstehe dem Teufel und er wird von Dir fliehen." Es sei eine große Versuchung gewesen, wieder zu kandidieren. Doch seine Pflicht sei nun, seine Partei in Helsinki zur Regierung zu führen.

Spitzenkandidat war stattdessen Juho Eerola, der bislang im finnischen Parlament saß. Früher war er Mitglied der Organisation "Finnish Sisu", die gegen Immigration und Multikulturalismus ist. Eerola trat aus, um Nachteile für sich und seine Partei abzuwenden. Er gilt als zuwanderungsfeindlich. Der Hauptfokus der Basisfinnen im Wahlkampf blieb dennoch die Kritik am Euro und dem Krisenmanagement der EU. Silke Bigalke, Stockholm

Morten Messerschmidt von der Dänischen Volkspartei ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments - und möchte seinen Job wohl am liebsten selbst abschaffen, ebenso wie die gesamte EU. In ihren Statuen steht seit 2002, man werde nicht erlauben, dass Dänemark seine Souveränität aufgibt: "Als Konsequenz lehnt die Dänische Volkspartei die Europäische Union ab."

Die Partei trifft damit offenbar den Nerv vieler Dänen: Bei der Europawahl wurde sie mit 27 Prozent stärkste Kraft, die regierenden Sozialdemokraten kamen nur auf 17 Prozent. Grund für den Erfolg der Partei dürfte die Sorge vieler Dänen um ihren Wohlfahrtsstaat sein; sie wollen ihre Sozialleistungen nicht mit Zuwanderern teilen.

Das sind gute Nachrichten für den 33-jährigen Juristen Messerschmidt, der erneut als Spitzenkandidat antrat. Auf die Frage, was seine wichtigsten Aktivitäten als Europaparlamentarier bislang waren, antwortete er im März in einem Interview: "Ich habe immer über die Notwendigkeit interner Grenzkontrollen gesprochen und für eine bessere Auswertung und Effizienz von Programmen und Projekten, die der EU-Steuerzahler zahlt." Und er habe immer "Nein" gesagt zu einer Erhöhung des Budgets und zu "einem unangemessenen Zustrom von Immigranten".

Messerschmidt hat sich in der Vergangenheit auch schon mal nahe am rechtsextremen Rand bewegt. Zum Skandal kam es 2007 als er im Tivoli in Kopenhagen volltrunken das Deutschlandlied anstimmte und den Hitlergruß zeigte. Er musste die Partei daraufhin vorübergehend verlassen. In einem anderen Interview sagte er 2006: "In Europa wird es - vielleicht nicht in 20 Jahren, aber in 30 oder 40 Jahren - eine muslimische Mehrheit in der Bevölkerung geben, wenn nichts getan wird. Das würde das Ende unserer Kultur und unserer europäischen Zivilisation bedeuten." Seine Partei lehnt einen Beitritt der Türkei zur EU klar ab.

Morten Messerschmidt, Spitzenkandidat der Dänischen Volkspartei für das Europaparlament. (Foto: Imago Stock&People)

Die Volkspartei war von 2001 bis 2011 an der Regierung beteiligt und setzte eine deutliche Verschärftung der Zuwanderungspolitik durch. Die konservative Koalition führte 2011 die Grenzkontrollen in Dänemark wieder ein. "Wir haben die Nase voll davon, dass morgens polnische, litauische und rumänische Laster leer über die Grenze fahren und abends voll mit geklauten Fernsehern und Stereoanlagen aus dänischen Ferienhäusern zurückkommen", sagte Messerschmidt damals. Eine neue Regierung schaffte die Grenzkontrollen kurz darauf wieder ab. Silke Bigalke, Stockholm

Parteichef Jimmie Åkesson verfolgt seit Jahren vor allem ein Ziel: Den Schwedendemokraten ein neues Image zu geben. Er wollte sie aus der rechtsradikalen Ecke holen - und wer dort blieb, den warf er raus. Früher waren die 1988 gegründeten Schwedendemokraten die Partei der Rassisten und Neonazis. Heute achtet Åkesson penibel auf seine Wortwahl, distanziert sich von radikalem Gedankengut, möchte die Partei in die Mitte der Gesellschaft rücken - und dort Stimmen gewinnen. Dass der eigene Parteinachwuchs sich mit der FPÖ und dem Front National verbündet, stört diese Taktik.

2010 zogen die Schwedendemokraten mit 5,7 Prozent ins Parlament ein. Bei der Europawahl holten sie sogar 9,7 Prozent und damit erstmals Sitze in Straßburg. In ihrer Heimat in Schweden spielten die Rechtspopulisten oft Zünglein an der Waage, weil dort eine Minderheitsregierung herrscht. Trotzdem vermieden es die anderen Fraktionen bisher streng, um ihre Unterstützung zu werben.

Beliebt ist der 34-jährige Åkesson nicht: Während einer Signierstunde in Stockholm im November warf ihm eine 60-jährige Frau eine Torte ins Gesicht und beschimpfte ihn als Faschisten. Sie ist dafür in Anfang April zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt worden - obwohl die Sympathien vieler Schweden auf ihrer Seite waren.

Jimmie Akesson, der Chef der Schwedendemokraten, im schwedischen Parlament. (Foto: AFP)

Hauptziel der Schwedendemokaten ist immer noch, die Einwanderung zu stoppen, oder diese zumindest stark zu beschränken. Bisher waren sie als EU-Gegner bekannt, möchten den Einfluss Brüssels auf die nationale Politik verringern. Åkesson zeigt sich auch hier flexibler und will den EU-Austritt nicht mehr zum erklärten Ziel machen: "Viele Unternehmer, die international tätig sind, werden dadurch verschreckt, dass wir so kategorisch Nein zu allem sagen."

Åkessons Spitzenkandidatin für Straßburg, Kristina Winberg, 48, war im Wahlkampf eher blass. Die dreifache Mutter arbeitet seit 15 Jahren in einem Reisebüro. Sie werde sich für eine verantwortungsbewusste Einwanderungspolitik, bessere Schulen und Altenpflege und eine sicherer Gesellschaft einsetzen, hieß es in ihrem Profil.

Schwedische Medien berichteten kürzlich von einem Scherz des Chefs der liberalen Volkspartei, Jan Björklund, über die EU-Kandidaten der Rechtspopulisten. Die würden in Brüssel sowieso Heimweh bekommen und sofort wieder nach Hause fahren. Sie werde wahrscheinlich tatsächlich Heimweh bekommen, wird Winberg zitiert. "Aber ich werde nicht nach Hause fahren werden, bis ich unsere Souveränität zurück erlangt habe." Silke Bigalke, Stockholm

Eigentlich war eine Doppelspitze geplant gewesen: der Dampfplauderer, Rechtsausleger und EU-Parlamentarier Andreas Mölzer, und der weniger bekannte, rhetorisch weniger begabte, aber auch weniger radikale Generalsekretär Harald Vilimsky. Es ist alles anders gekommen, weil die rechtspopulistische FPÖ ihren Frontmann Mölzer aus der ersten Reihe abziehen musste. Er hatte denn doch ein wenig zu viel über das "Negerkonglomerat" Europäische Union geredet und darüber, dass es selbst im Dritten Reich weniger Regeln und Bürokratie gegeben habe als in Brüssel.

Plötzlich begannen die Medien auch intensiver zu berichten, was für eine untätige Pflaume Mölzer im EU-Parlament in der vergangenen Legislaturperiode tatsächlich gewesen war. Und so wurde der Plan von Parteichef Heinz-Christian (HC) Strache, mit seiner Doppelspitze die ganz rechten sowie die moderaten FPÖ-Wähler zu erreichen, vom eigenen Mann torpediert. Mölzer wurde zurückgetreten.

Geschadet hat das der FPÖ nicht: Bei der Europawahl legte sie deutlich zu und kam auf 20,5 Prozent, das sind 7,8 Prozentpunkte mehr als bei der vergangenen Europawahl. Das ist viel, aber dann auch nicht wieder so viel. Denn die FPÖ wurde damit drittstärkste Kraft hinter den Regierungsparteien ÖVP und SPÖ; Demoskopen hatten einen Dreikampf um den besten Platz vorhergesagt.

Bei dem FPÖ-Spitzenkandidaten Harald Vilimsky handelt es sich um einen eher umgänglicher Wiener, mit dem man lange Smalltalk machen kann, bevor man merkt, aus welcher politischen Ecke er kommt. Mit Europa-Politik hatte der 47-Jährige im österreichischen Nationalrat bislang eher am Rande zu tun; er saß zwar im Unterausschuss EU, war aber in den vergangenen Jahren als Innenpolitiker hervorgetreten.

Harald Vilimsky ist nun alleiniger Spitzenkandidat der FPÖ. (Foto: Imago Stock&People)

Vilimsky, ein kantiger, grobknochiger Mann mit straff zurückgegeltem Haar, hatte sich als Verfechter von Law and Order schon mal mit einem Taser, einer Elektroschock-Pistole, beschießen lassen, um zu demonstrieren, dass das Gerät im Einsatz gegen renitente Häftlinge mindestens genauso harmlos sei wie gegen einen FPÖ-Parlamentarierer. Ganz offenbar funktionierte der Demonstrationseffekt nur bedingt, Vilimsky soll sich schmerzgekrümmt auf dem Fußboden gewälzt haben.

Der gelernte PR-Berater ist ein enger Vertrauter von HC Strache. Der hatte ihn vor etwa 20 Jahren in seiner Zeit in der Wiener Lokalpolitik kennengelernt, wo der junge Vilimsky Verkehrssprecher war. Er stieg mit Strache auf, folgte diesem in das Bundesparlament, wurde Generalsekretär. Den Job teilt er sich mit dem smarten und wendigen Herbert Kickl, der für die Öffentlichkeitsarbeit der Partei zuständig ist und als der skrupellosere von beiden gilt. Vilimsky, sicher kein Intellektueller, sondern eher Straches Mann fürs Grobe, kann aber durchaus ideologisch und rüde werden, wenn er von "Negativ-Zuwanderung" träumt oder gegen Asylmissbrauch hetzt.

Der engagierte Biker hat sich gleichwohl weniger als Strache, Kickl oder der frühere FPÖ-Übervater Jörg Haider als Scharfmacher betätigt. Gut möglich, dass das schlicht daran lag, dass er seltener im Rampenlicht stand. Gut möglich aber auch, dass sich der neue Spitzenkandidat der FPÖ für den EU-Wahlkampf tatsächlich manchmal ein wenig anstrengen musste, um so lässig und scheußlich radikal daherzureden wie sein Freund und Parteichef HC Strache.

Was Vilimsky in die Europa-Politik treibt, haben sich viele Beobachter gefragt - und zwei Antworten gegeben: Zum einen war es für den FPÖ-Chef durchaus nützlich gewesen, neben dem schwer kontrollierbaren Rechtausleger Mölzer ein moderateres Pendant in den Wahlkampf zu schicken - wie sich spätestens bei Mölzers Abgang bewies. Außerdem heißt es, wolle Vilimsky endlich aus dem Schatten der Männer, die ihn seit Jahren umgeben und fördern, heraustreten.

In jedem Fall plant die FPÖ im Europaparlament eine enge Kooperation mit dem Front National und dem Vlaams Blok. Dort wird sich Vilimsky sicher weiter als Gegner jener Miganten erweisen, die eine "unzumutbare Last für die Sozialsysteme" seien, und einem Einwanderungsstopp das Wort reden.Das hat er geübt, diesen Text kann er, ob in Wien oder Brüssel, im Schlaf aufsagen. Cathrin Kahlweit, Wien

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