Matteo Renzi:Neuanfang mit dem "Verschrotter"

Vier Regierungen in vier Jahren: Italiens Premier Letta ist zurückgetreten. Er wurde gestürzt von seinem sozialdemokratischen Parteifreund Matteo Renzi, der das Amt nun übernehmen soll. Wer ist der Neue mit dem wenig schmeichelhaften Spitznamen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Sabrina Ebitsch und Carolin Gasteiger

Italien wartet auf die vierte Regierung in vier Jahren: Nach dem klaren Votum seiner Partei gegen ihn am Donnerstag steht Ministerpräsident Enrico Letta vor dem Ende seiner politischen Karriere, am Nachmittag hat er seinen Rücktritt bei Staatspräsident Giorgio Napolitano eingereicht. Nun soll ein anderer das Land aus der Krise führen: Lettas Nachfolger wird wohl mit Matteo Renzi just derjenige werden, der konsequent an dessen Stuhl gesägt hat.

Wie kam es zum Sturz von Ministerpräsident Letta?

Lange war Regierungschef Enrico Letta nicht im Amt: Erst im April vorigen Jahres wurde er nach zähem Ringen zum italienischen Ministerpräsidenten gewählt. Und jetzt, nach gerade einmal zehn Monaten, zieht er wieder aus dem Chigi, dem römischen Regierungspalast, aus. Am Donnerstag kündigte Letta seinen Rücktritt an. Anlass waren wochenlange Sticheleien seines Parteigenossen Matteo Renzi.

Seit seiner Wahl zum Parteivorsitzenden der Demokratischen Partei (PD) im Dezember sägte Renzi am Stuhl des Premiers. Er kritisierte Letta immer wieder ebenso öffentlich wie öffentlichkeitswirksam und setzte ihn unter Druck - mit markigen Worten: "Die Batterie der Regierung ist leer, wir müssen entscheiden, ob sie aufgeladen oder ausgewechselt wird", hatte Renzi zuletzt festgestellt. In der gestrigen Entscheidung fand der parteiinternene Machtkampf seinen Höhepunkt.

In der Parteiversammlung am Donnerstagabend forderte der Chef der sozialdemokratischen PD vehement weitreichende Reformen, eine "radikal" andere Politik in Italien und eine Ablösung der Regierung - die verbliebenen Parteikollegen hatte Renzi dabei mehrheitlich auf seiner Seite. Lettas Anhänger hatten zuvor geschlossen den Saal verlassen.

Letta reagierte prompt auf das Votum seiner Partei und kündigte an, Staatspräsident Giorgio Napolitano am Freitag um seine Entlassung bitten zu wollen. Damit macht Letta den Weg frei für einen neuen Ministerpräsidenten, der aller Voraussicht nach Renzi selbst sein wird. Der hatte bereits - wenn auch ohne das Wort "Premierminister" auszusprechen - vollmundig angekündigt, Verantwortung übernehmen zu wollen. Wie es aussieht, ohne Neuwahlen. Denn dazu wäre die von Letta nicht realisierte, aber dringende Wahlrechtsreform nötig.

Was wurde Letta vorgeworfen?

Die Bilanz der zehnmonatigen Regierung unter Enrico Letta sieht bescheiden aus: Er gilt als nicht energisch genug. Dringend nötige Reformen hat er nach Meinung vieler zu zögerlich in Angriff genommen - allerdings auch wegen einer schwierigen Konstellation.

Angesichts des wackeligen Regierungsbündnisses betonte der scheidende Premier, er habe das maximal Mögliche geleistet. Renzi wurde jedoch mehr und mehr zur Speerspitze einer öffentlichen Meinung, die sich zusehends gegen Letta wendete. Am Mittwoch soll er Letta in einem als "offene Aussprache" deklarierten Disput im Palazzo Chigi unverblümt vorgeworfen haben: "Deine Regierung will keiner mehr."

Wer ist Matteo Renzi?

"Verschrotter" - in den Wirren der italienischen Politik kann so ein wenig schmeichelhafter Beiname schon mal zum Ehrentitel geraten. So nennen Freunde und Feinde den 39-jährigen Renzi, seitdem er vollmundig angekündigt hatte, die alte Polit-Garde Italiens überwinden zu wollen.

Das öffentliche Bild Renzis ist zwiegespalten: Den einen gilt der bisherige Bürgermeister von Florenz, zumal nach den als lähmend empfundenen Monaten unter Letta, als tatkräftiger Reformer, der nun dynamisch angeht, was Letta versäumt hat. Gerade die jungen Italiener hoffen auf ein charismatisches politisches Talent, weil Renzi forsch, frisch und unverbraucht daherkommt und klare Worte nicht scheut, ganz im Gegenteil.

Matteo Renzi TV

Grund zur guten Laune hat Matteo Renzi, der designierte Regierungschef Italiens

(Foto: REUTERS)

Immerhin hat er angekündigt, Italien müsse nun "aus dem Sumpf" gezogen werden. Aussagekräftig ist da auch eine word cloud aus Renzis Reden, die ein Blogger für die Zeitung Il Fatto Quotidiano erstellt hat: sehr klein erscheint hier lavoro, die Arbeit, verhältnismäßig groß dagegen rischio, das Risiko. Er ist fast ständig auf allen Kanälen präsent und wenn nicht, legt er via Facebook und Twitter selbst nach. Manch einer vergleicht ihn mit Tony Blair oder Gerhard Schröder mit seiner Basta-Politik.

Wie Renzi mit Berlusconi kungelt

Auf die anderen wirkt Renzi dagegen allzu populistisch und machtversessen. Sie werfen ihm Illoyalität gegenüber den eigenen Parteifreunden vor - ein Urteil, das sie nun angesichts des Dolchstoßes in Richtung Letta bestätigt sehen dürften. Die Zeitschrift l'Espresso warnt sehr plastisch vor einem Pfadfinder, der nun zum Kannibalen werde. Und gerade den Linken seiner Partei ist der als allzu weit rechts stehend verrufene Renzi verdächtig, weil er in der Vergangenheit keinerlei Berührungsängste mit dem gefallenen Ex-Regierungschef Berlusconi zeigte.

Er besuchte Berlusconi in seiner wegen der Bunga-Bunga-Partys berüchtigten Villa, tauschte sich politisch mit ihm aus und machte den eigentlich Ausgestoßenen so im Politbetrieb wieder ein Stück weit salonfähig.

Gegen heftige Kritik aus den eigenen Reihen zurrte Renzi mit dem wegen Steuerbetrugs verurteilten Berlusconi einen Entwurf für eine Wahlrechtsreform fest. Eigentlich ein Widerspruch angesichts der ausgegebenen Schlagrichtung, die alte Politikerriege ablösen zu wollen. Aber auf dem Weg an die Spitze scheint dem machthungrigen Renzi, der schon mit 34 Bürgermeister in der Toskana wurde, auch dieses Mittel recht, um im Berlusconi-Lager auf Stimmenfang gehen zu können.

Noch vor einem Jahr scheiterte er bei der Wahl zum Spitzenkandidaten der PD an Pier Luigi Bersani. Im Dezember wurde der Jurist dann aber mit überwältigender Mehrheit zum Parteivorsitzenden gewählt. Bisher war erwartet worden, dass Renzi erst bei künftigen Neuwahlen nach vorne drängt. Dass er nun bereits vorher Verantwortung übernehmen will und das Risiko des Scheiterns eingeht, dürfte auch bei seinen Kritikern auf Anerkennung stoßen. Denn das Risiko ist durchaus vorhanden: Auf günstigere Mehrheitsverhältnisse kann sich auch Renzi nur bedingt stützen. Seine Nähe zu Berlusconi dürfte ihm zwar Vorteile verschaffen, aber der Cavaliere ist alles andere als ein verlässlicher politischer Partner.

Wie reagieren die Medien in Italien?

In den italienischen Medien macht sich nach Lettas Rücktritt Resignation breit - darüber, dass eine Regierung in diesem Land anscheinend nicht auf einem üblichen Weg gewählt werden könne. "Im 'normalen' Europa werden Regierungschefs erst ins Amt gehoben, nachdem sie Wahlen gewonnen haben. Nicht in Italien", schreibt der Corriere della Serra.

Die Art und Weise, die Regierungsverantwortung in Hände von Menschen zu legen, "die bevorzugen, sich diese autokratisch zu nehmen, anstatt sie auf demokratische Weise zu bekommen, sagt viel über den Zustand der italienischen Politik generell", heißt es bei La Repubblica. Dass in der Vergangenheit fünf von fünf Usurpatoren einem Mitte-links-Bündnis angehörten, sage viel über den Zustand dieser Verbindung aus, heißt es weiter - ebenso wie die Tatsache, dass das Bündnis sich nicht den Wählern stellen wolle.

Die Wochenzeitung l'Espresso macht auf ein weiteres Phänomen aufmerksam: "Wir erleben das merkwürdige Paradox - ein weiteres! -, dass es einem Premierminister nicht gelungen ist, so zu regieren, wie er wollte, während der Vorsitzende seiner Partei nicht schnell genug an die Macht kommen konnte, bisher aber nicht die Möglichkeit dazu bekam. Bis jetzt." "Was in diesen Stunden geschieht, zeigt die Zerrissenheit der PD und ihre Anpassungsfähigkeit an die Politik", heißt es im Corriere.

Fassungslos über die PD gibt sich ein Kommentator von Il Fatto Quotidiano: "So ein Mix aus Unvermögen, Masochismus, Schuld, Arroganz, Psychodrama und Rausch der Allmacht war nur schwer vereinbar. Aber auch das hat die PD geschafft." In Italien gehe es schlimmer zu als in vielen Komödien, auch wenn es wenig zu lachen gebe.

Welche Herausforderungen warten auf Renzi?

Renzi wird es als neuer Premier nicht leicht haben, konstatieren verschiedene Beobachter in Italien. Angesichts seines Alleingangs auch innerhalb seiner Partei dürfte dem Espresso zufolge Renzis größtes Risiko die Einsamkeit sein.

Und er befindet sich in der Zwickmühle: Zum einen muss er ein Regierungsprogramm verfolgen, das die Mehrheit seiner Partei stützt. "Renzi hat anders als Letta klar die Mehrheit der Partei hinter sich und ist deswegen handlungsfähig", sagte die PD-Abgeordnete Laura Garavini nach Lettas Rücktritt. Aber kann Renzi die dringend nötige Reform der Institutionen voranbringen, wenn er als künftiger Regierungschef selbst die wichtigste Institution verkörpert? Auch dafür wird er eine Mehrheit brauchen. "Renzis Entscheidung, die er jetzt treffen muss, ist alles andere als leicht", heißt es dazu im Corriere della Sera.

Mit seinen 180-Grad-Wendungen - erst zu behaupten, die Regierung sei nicht in Gefahr, um kurze Zeit später selbst an die Macht zu streben - legt Renzi dem Kommentator von La Repubblica zufolge alle Anzeichen eines "Politikers der schlimmsten christdemokratischen Sorte" an den Tag. Vielmehr, so heißt es in der Tageszeitung Il Fatto Quotidiano, erwarten die Bürger, Aufklärung über den Zustand des Landes und die Ziele der Partei. "Eine PD, die von ihren guten Vorsätzen tatsächlich überzeugt ist, muss ihrem Land die Gründe der Krise darlegen. Sonst riskiert die entstehende Dritte Republik, zu einer Karikatur der Ersten zu werden."

In der italienischen Tradition waren dem konservativen Giornale zufolge immer diejenigen Regierungen am längsten im Amt, die nichts taten. Aber genau dieser Norm "Besser ruhig bleiben als zugrunde gehen" steht der Triumph Renzis nun entgegen. Da Letta allerdings in seiner Regierungszeit keine einzige seiner angekündigten Reformen verwirklicht hat, dürfte Renzi es in dieser Hinsicht nur besser machen können, kommentiert l'Espresso.

Sollte Renzi Premier werden, muss er zunächst einmal seinem machtgierigen Image möglichst bald Taten folgen lassen. Bald wird sich zeigen, ob er den oft versprochenen Ruck vollbringen wird.

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