Sozialpolitik:Blockade bei Kindergrundsicherung

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Mit ihren Plänen für die Kindergrundsicherung stößt Bundesfamilienministerin Lisa Paus auf Widerstand. (Foto: Friedrich Bungert)

Das Projekt der Ampel gegen Kinderarmut stößt auf viel Kritik - auch weil Bundesfamilienministerin Lisa Paus dafür 5000 neue Verwaltungsstellen schaffen will. In der Koalition regen sich Zweifel an der Umsetzbarkeit.

Von Sina-Maria Schweikle, Berlin

Es sollte das soziale Prestigeprojekt der Grünen sein, einen "Systemwechsel" für Deutschland einleiten. Regelmäßig wiederholt Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), es gehe bei der Kindergrundsicherung um "das größte sozialpolitische Reformprojekt der Ampel". Doch seit Monaten tut sich: nichts. Stillstand. Dabei sprechen die jüngsten Zahlen zum Thema Armut für sich. Laut Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands waren im Jahr 2022 mehr als 14 Millionen Menschen in Deutschland von Armut betroffen. Mehr als jedes fünfte Kind ist demnach arm. Der Verband fordert von der Bundesregierung eine "entschlossene Armutspolitik" - dazu gehöre auch eine Kindergrundsicherung.

Dass die Kinderarmut in Deutschland bekämpft werden muss, darüber ist sich die Bundesregierung einig. Doch über das Wie wird in der Koalition noch heftig debattiert. Vor allem ein Kritikpunkt der Kindergrundsicherung hat die Politiker über das Osterwochenende beschäftigt: Nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums müssten im Wesentlichen 5000 neue Stellen geschaffen werden, um den geplanten Familienservice personell abzusichern. Wozu? Das Ministerium erklärt der Süddeutschen Zeitung, dass der geplante Stellenaufbau eine Bürokratieentlastung für die Bürger bedeute. Da diese momentan die Bürokratielast tragen, würden viele die Leistungen gar nicht in Anspruch nehmen. "Mit den 5000 Stellen soll es von der Holschuld der Bürger zur Bringschuld des Staates kommen." Damit werde es voraussichtlich deutlich mehr Anträge geben als bisher. Die Kindergrundsicherung könne - wenn sie alle erreiche, die finanzielle Unterstützung brauchen - bei bis zu 5,6 Millionen Kindern und Jugendlichen ankommen.

Die SPD spricht sich für eine schrittweise Einführung der Kindergrundsicherung aus

Mit der Kindergrundsicherung sollen von 2025 an bisherige Leistungen wie das Kindergeld, Leistungen aus dem Bürgergeld für Kinder oder der Kinderzuschlag gebündelt werden. Im September wurde der Gesetzesentwurf der Familienministerin Lisa Paus (Grüne) vom Bundeskabinett verabschiedet und im Anschluss dem Parlament vorgelegt. Ein großer Teil der Kinder, nämlich diejenigen, die bisher von den Jobcentern im Rahmen des Bürgergelds unterstützt werden, sollen künftig stattdessen vom neuen Familienservice Hilfen erhalten. Fachleute kritisieren dies, weil Familien im Bürgergeld sich damit an eine weitere Behörde wenden müssten. Erklärtes Ziel: Das Gesetz soll zum 1. Januar 2025 in Kraft treten.

SPD-Vize Sönke Rix zweifelt daran, dass das noch möglich sein wird. "Leider haben wir den Gesetzentwurf erst spät in dieser Legislaturperiode als Parlament erhalten. Und da die Kindergrundsicherung so komplex ist und der Regierungsentwurf unseren Zielen nicht ausreichend gerecht geworden ist, werden wir nicht umhinkommen, diese schrittweise einzuführen", teilt er der Süddeutschen Zeitung auf Anfrage mit. Man habe es mit einer der größten Sozialreformen der vergangenen Jahre zu tun, weshalb man "nichts übers Knie brechen" sollte.

Übers Knie gebrochen hat man das Thema Kindergrundsicherung nicht. Lange war das Projekt in der Bundesregierung umstritten. Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Lisa Paus hatten monatelang um die Finanzierung der Leistung gerungen. Paus rechnete mit Ausgaben in Höhe von zwölf Milliarden Euro. Doch Finanzminister Lindner bemängelte das Fehlen eines Konzeptes, das die Rechnung untermauerte. Er wollte zunächst nur zwei Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung einplanen. Letztlich plante die Koalition Mehrausgaben von 2025 an in Höhe von zunächst 2,4 Milliarden ein.

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Auch nach der Ampel-Einigung zu der Reform dürfte es noch Änderungen an den Plänen geben.

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Lisa Paus konnte bisher keinen akzeptablen Gesetzesentwurf präsentieren

Doch trotz finanzieller Einigung reißt die Debatte zwischen den Koalitionspartnern nicht ab. Christian Lindner kritisiert den geplanten Stellenaufbau des Familienministeriums. "Die Vorstellung, dass der Staat eine 'Bringschuld' bei Sozialleistungen habe, finde ich verstörend - erst recht, wenn dafür 5000 neue Staatsbedienstete eingestellt werden müssen." Der Staat sollte die Menschen nicht von Eigenverantwortung entwöhnen, sagte der FDP-Chef laut Deutscher Presseagentur. Vizefraktionschefin Gyde Jensen schließt sich seiner Kritik an. "In den bisherigen Verhandlungen konnte Frau Paus bisher keinen Gesetzentwurf präsentieren, der dem Ziel der Bekämpfung von Kinderarmut in irgendeiner Weise entsprechen kann." Umso schwerer werde es, "weiter seriös zu verhandeln, wenn man ein so fragwürdiges Verständnis von einer Bringschuld des Staates in der Sozialpolitik hat".

Für die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Silvia Breher, ist die Kindergrundsicherung die "größte sozial- und familienpolitische Mogelpackung der Ampel". Anstatt Bürokratie abzubauen, werde neue geschaffen. "Geld, das eigentlich Kindern und Jugendlichen zugutekommen sollte, wird in 5000 neue Stellen für den Familienservice gesteckt", so Breher. Um Kinderarmut zu begegnen, müssten Familien mit "einer pragmatischen ideologiefreien Politik gestärkt werden".

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