Sozialreform:Was sich durch die Kindergrundsicherung ändern soll

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Finanzminister Lindner und Familienministerin Paus haben informiert, wie die neue Kindergrundsicherung aussehen soll. (Foto: Florian Gaertner/Imago/Photothek)

Die Ampel hat sich nach langem Streit geeinigt. Verschiedene Leistungen für Kinder sollen in einer gebündelt werden. Was ändert sich nun für Familien? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Juri Auel und Nadja Lissok

Familienministerin Lisa Paus und Finanzminister Christian Lindner sind sich bei der Finanzierung der Kindergrundsicherung doch noch einig geworden: Für das Einführungsjahr 2025 plant die Ampelkoalition mit zusätzlichen 2,4 Milliarden Euro im Bundeshaushalt. Paus erklärte bei einer Pressekonferenz, sie gehe von einer zunehmend stärkeren Inanspruchnahme der Leistungen aus, deshalb werde die Kindergrundsicherung etwa 400 Millionen Euro mehr kosten als von Lindner ursprünglich geplant. Bis zu 5,6 Millionen armutsbedrohte Familien und ihre Kinder bekämen die Leistungen schneller, einfacher und direkter.

Finanzminister Lindner, der neben ihr auf dem Podium saß, sagte, er habe eigentlich mit zwei Milliarden Euro Mehrkosten für den ohnehin knappen Haushalt gerechnet. "Das erhöht den Handlungsbedarf, den wir im Haushalt 2025 haben werden, weiter", sagte er. "Weshalb ich die Prognose wage, dass es sich bei der Kindergrundsicherung mit Blick auf die nächsten Jahre um die letzte größere Sozialreform handelt, die noch in den Haushaltsrahmen des Bundes passt."

Worauf haben sich Grüne, SPD und FDP nun konkret geeinigt? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was ist die Kindergrundsicherung?

Die grundsätzliche Idee der Kindergrundsicherung ist es, die bisherigen finanziellen Leistungen Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag sowie die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes zu bündeln. Das heißt aber nicht, dass alle Eltern beziehungsweise Kinder denselben Betrag an Unterstützung bekommen.

Was soll die Kindergrundsicherung besser machen als bisher?

Ein zentrales Argument der Befürworter der Reform ist Übersichtlichkeit. Es gebe in Deutschland rund hundert familienpolitische Förderinstrumente, die unterschiedliche Ziele haben und nicht aufeinander abgestimmt sind, sagt der Ökonom Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Viele Familien wissen gar nicht, dass ihnen Unterstützung zusteht oder wie sie sie beantragen können. Mithilfe einer digitalen Plattform soll die Kindergrundsicherung hier Abhilfe schaffen. Die zentrale Anlaufstelle soll der "Familienservice", werden, eine neue Behörde bei der Bundesagentur für Arbeit.

Worüber gab es Streit?

Es ging um Grundsätzliches bei dem Thema - und ums Geld. Die FDP warnte davor, dass höhere Sozialleistungen an die Eltern nicht dazu beitragen würden, das Leben ihrer Kinder langfristig zu verbessern. Stattdessen solle man zielgerichtet in Sprachförderung, Schulen und Kitas investieren, um so den Kindern eine gesellschaftliche Teilhabe und somit einen Aufstieg zu ermöglichen.

Familienministerin Paus hatte zunächst zwölf Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt, ihre Forderungen dann auf bis zu sieben Milliarden Euro reduziert, während Bundesfinanzminister Lindner die Ausgaben bei zwei Milliarden Euro deckeln wollte. Der Streit zwischen den beiden Ministern eskalierte, indem Paus einen Gesetzesentwurf Linders, der Steuererleichterungen für Unternehmen vorsah, im Bundeskabinett blockierte. Die Botschaft lautete: Wer Steuern für Unternehmen senken will, hat auch mehr Geld für die Kindergrundsicherung übrig. Zum Teil seien es "wirklich sehr harte Verhandlungen" gewesen, gab Paus zu. "Aber es hat sich gelohnt." Nun stehe Linders "Wachstums-Chancen-Gesetz" nichts mehr im Weg, sagte sie bei der Presskonferenz.

Wie genau soll die Kindergrundsicherung aufgebaut sein?

Geplant sind ein Garantiebetrag, den alle Eltern bekommen, und ein Zusatzbeitrag, der sich an bedürftige Familien richten soll. Der einkommensunabhängige Garantiebetrag soll dabei das bisherige Kindergeld ersetzen. Der einkommensabhängige und nach Alter gestaffelte Zusatzbetrag soll für die Empfangsberechtigten den bisherigen Kinderzuschlag ablösen, den aktuell Familien mit kleinen Einkommen bekommen und der verhindert, dass diese Familien in den Bürgergeldbezug rutschen. Der dritte Baustein sind die sogenannten "Leistungen für Bildung und Teilhabe", die aktuell noch einen eigenständigen Posten darstellen und künftig auch Teil der Kindergrundsicherung sein sollen.

Allerdings steckt auch ein großer Unterschied zum bisherigen Kreis der Berechtigten in der Reform. Bislang nämlich steht der Kinderzuschlag nur Familien zu, in denen wenigstens ein geringes Einkommen erzielt wird - in denen also zumindest ein Elternteil einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Auf diese Weise soll die Erwerbstätigkeit für diese Familien attraktiver bleiben als der Wechsel in die Grundsicherung, sprich: das Bürgergeld. Nun aber sollen die bisherige "Mindesteinkommensgrenze" und der Nicht-Bezug von Bürgergeld als Voraussetzung für den Kinderzuschlag entfallen. Was ein Kind braucht, um am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben zu können, soll neu berechnet werden.

Was ist, wenn ein Elternteil unterhaltsberechtigt ist?

Unterhaltsleistungen und Unterhaltsvorschuss werden bei der Errechnung des Kinderzusatzbetrags zu 45 Prozent als Kindeseinkommen berücksichtigt. Beim Bürgergeld waren es bislang 100 Prozent, somit werden diese Kinder nun bessergestellt. "Um Erwerbsanreize zu erhalten", soll es auf höhere Unterhaltsleistungen auch mehr Abzüge geben. "Der Unterhaltsvorschuss wird künftig bis zum Schuleintritt ohne Mindesteinkommensgrenze gezahlt und für Schulkinder ab einer Mindesteinkommensgrenze ab 600 Euro" heißt es im Eckpunktepapier der Ampel.

Wer bekommt nun mehr Geld?

Zum einen setzt die Ampel darauf, dass mehr Familien als bisher überhaupt das ihnen zustehende Geld beantragen. Um den gestiegenen Lebenshaltenskosten gerecht zu werden, soll zudem das Minimum, was Kinder für eine Teilhabe an der Gesellschaft benötigen, neu berechnet werden. Außerdem soll Eltern, die den Zusatzbeitrag erhalten, obwohl sie arbeiten gehen, mehr als bislang unter der reinen Bürgergeld-Regelung von ihrem zusätzlichen Einkommen behalten dürfen. Anstelle von 80 bis 100 Prozent Abzugs der Leistung sollen es nun noch 45 Prozent sein.

Was sagen Sozialverbände zu der Einigung?

"Die Angaben zur Höhe des Kindergeldes sind vage", sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. "Die veranschlagten 2,4 Milliarden Euro Mehrkosten gehen wohl eher für Verwaltung drauf." Sollten arme Kinder am Ende nicht mehr Geld bekommen, würden sie arme Kinder bleiben. Ähnlich äußerte sich der Sozialverband VdK. "Ein Mini-Reförmchen wurde heute als der große Wurf präsentiert, aber das Gesamtvolumen und die dahinterstehenden Details sind mehr als enttäuschend", sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bezeichnet die Einigung hingegen als "echten Meilenstein". "Mit der Kindergrundsicherung wird endlich eine bürgerfreundlichere und leichter zugängliche Leistung geschaffen."

Ist die Änderung schon förmlich beschlossen?

Nein. Die Pläne von Paus und Linder müssen nun noch vom Kabinett sowie anschließend vom Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Bei diesem Prozess kann es noch zu Änderungen kommen.

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